Blog
27
12
2018

Die Wettkampf-Lehre ist in allen Altersklassen nicht durch Vorträge zu vermitteln, Erfahrungen bleiben vor allem nach Siegen oder Niederlagen, nach psychophysischen Anforderungen auf den letzten Runden, nach Stürzen, nach erlittenen Schmerzen, nach gemachten Fehlern lange im Gedächtnis. - Foto: Kiefner-Foto

Wettkampf-Lehre: 2019 mehr anspruchsvolle Rennen gegeneinander – Lothar Pöhlitz

By GRR 0

© Lothar Pöhlitz – Wer Kurt Ring’s jährlichen umfangreichen Laufkalender einmal etwas näher betrachtet, findet auf den Seiten 5 – 23 des Jahrgangs 2019 allein vom Januar bis September 286 Wettkampfangebote – die natürlich nicht vollständig sein können, weil sie „Bayern-lastig“, nicht alle Veranstaltungen in den 16 Bundesländern erfasst.

Viele Angebote sind auf der einen Seite erfreulich, für den Leistungsbereich aber, das haben die letzten Jahre gezeigt, nicht ausreichend optimal. Sie gehen sich zu oft aus dem Wege, vor allem die die nach oben wollen.

Das Gegeneinander der Besten, der zweiten Reihe und des Nachwuchses, die Möglichkeiten wettkampfspezifischer Grenzbelastungen, Taktik- und Wettkampferfahrungen auszubilden wurden in der Vergangenheit unterschätzt, zumal unser Zugang zu den Rennen der Weltbesten bisher, von Ausnahmen abgesehen, versperrt war.

Die Wettkampf-Lehre ist in allen Altersklassen nicht durch Vorträge zu vermitteln, Erfahrungen bleiben vor allem nach Siegen oder Niederlagen, nach psychophysischen Anforderungen auf den letzten Runden, nach Stürzen, nach erlittenen Schmerzen, nach gemachten Fehlern lange im Gedächtnis.

Die besten Läufer, vom „armen“ Nachwuchs ganz abgesehen, sind nicht immer froh, wenn sie ins benachbarte Ausland fahren müssen um auf Gegner und toporganisierte Rennen zu treffen, um die vom DLV geforderten Normen zu schaffen. Das ist nicht nur eine Finanzfrage oder Zeitverschwendung, sondern behindert oft auch die Nachwettkampf-Regenerationsaufgaben und den so wichtigen Schlaf.

Dem Wettkampfsystem der Läufer würde eine neue Ordnung guttun

Es gibt deshalb eine Reihe von Gründen im Lauf-Team noch einmal über die notwendigen Voraussetzungen, Maßnahmen, Entscheidungen für alle Läufer nachzudenken, die vor allem den Bahn-Läufern, in ihrem Bemühen um Anschluß zum Spitzenbereich helfen würden.

Eine Reihe von wichtigen, anspruchsvollen Wettkämpfen außerhalb von Meisterschaften für die Kader aller AK gegeneinander – im Rahmen größerer Veranstaltungen die  unterstützenden Fans nicht rar sind – würde auch den Leistungsfortschritt des Nachwuchses beschleunigen, der in der Vergangenheit zu oft den Heimtrainern und Vereinen in kleinen Rennen dezentral „ihrem Schicksal“ überlassen wurden.

Zwei Beispiele aus 2018 liefern den Beweis das es anders geht.

In einem lange gewünschten einmaligen Rennen a l l e gegeneinander (!) – sogar mit ausländischer Konkurrenz – gewannen Elena Burkard und Samuel Fitwi die Rennen der Damen bzw. Männer beim Darmstadt-Cross und sicherten sich das Ticket für die Cross-Europameisterschaften im niederländischen Tilburg.

Und auch der Nachwuchs erfuhr einmal wo er, richtig gefordert, sich einordnen muß.

Nachdem es jahrelang in Deutschlands Sommer keine 10000 m Rennen für die Spezialisten mehr gab veranstaltete Kurt Ring am 23.Juni 2018 gegen 22 Uhr in Regensburg bei kühlen Temperaturen, null Wind und „künstlichem Licht“ die 25 Runden auf der Bahn.

Dabei gab es fünf 29er Zeiten und drei Frauen und ein Mann liefen die EM-Norm. Nun gibt es die erfreuliche Konsequenz der 10000 m – DM 2019 am 8.6.2019 in Essen. Hoffentlich nicht am Nachmittag bei praller Sonne.

Die Wettkampfstruktur muß auch der Formentwicklung dienen

Da kann man sich aber nur wünschen, dass das nur der Anfang einer hoffentlich längeren Phase anspruchsvolleren Trainings in „weniger wichtigen, aber doch aufgabenlösenden Wettkämpfen“ ist. Zu den würde auch eine Verdichtung der Wettkampftätigkeit in der Hallensaison und im Sommer gehören.

Aus den 8-9 Monaten der beiden Vorbereitungsperioden oder der zwei Makrozyklen kann mehr Leistung resultieren. Das ist durch mehr reizwirksame Belastungen zwischen 95-105% Geschwindigkeiten und qualitative Wettkämpfe der Besten gegeneinander möglich.

Natürlich wissen die jeweiligen Bundestrainer was sie ihrem Kader aktuell zumuten können und in Absprachen mit den Personal-Coaches festlegen welche Rennen wann, in „großen Veranstaltungen mit internationaler Konkurrenz“ wo hilfreich sind.

Und wenn dann für die Plätze 1-6 auch noch Prämien reizen würden, laufen „alle Läufer“ am liebsten in Deutschland. Da sind sicher in einem ersten Schritt 6-8 für die Mittelstrecken und 4-6 für die Langstrecken gute, anspruchsvolle Rennen – wie es in den 80iger Jahren schon einmal möglich war, nicht zu viel.

Zu solchen gemeinsamen Rennen der Kader könnten ja diejenigen eingeladen werden die sich für einen Kaderplatz weiter oben für das folgende Jahr „bewerben“.

Das beste Ergebnis beim Höhepunkt muß dann auch der Kopf wollen

Training im Leistungs- und Hochleistungssport zielt auf die höchste persönliche Leistungsfähigkeit – die neue persönliche Bestleistung beim jeweiligen Jahreshöhepunkt. Erfolgreiche Wettkämpfe sind das Ziel des Trainings, in jedem Alter und in jeder Leistungssituation.

Vor allem Schülern- und Jugendlichen macht es Spaß, wenn sie ihre übertragenen, realistischen Aufgaben erfüllen können und sich der Trainer und das Umfeld auch freuen. Außer Wettkämpfen mit Qualifizierungs-/Nominierungscharakter sind sie im Spitzenbereich Teil der Vorbereitung auf den wichtigsten Wettkampf des Jahres.

Im Nachwuchstraining haben sie – von Meisterschaftsrennen abgesehen – vor allem Ausbildungsziele zu erfüllen und dienen der Umsetzung der Prinzipien der Trainings- und Wettkampflehre.

Foto: Kiefner

Die Organisation der Wettkampfleistung ist eine Ausbildungsaufgabe

Das heißt dass die Mehrzahl der Rennen der Überprüfung des Ausbildungsstandes in der jeweiligen Ausbildungsetappe dienen sollen, also Test – oder Kontrollcharakter der entsprechenden aktuellen Lehrinhalte haben.

Dabei ist wichtig Schülern- oder Jugendlichen nur schon machbare Aufgaben mitzugeben, sie aber auch nicht in Rennen zu schicken (z.B. Konkurrenzsituation), in denen für sie die Enttäuschung vorprogrammiert ist. Kleinere Wettkämpfe mit Erfolgsaussichten, vor allem Siege erhöhen die Motivation für die folgenden Trainingswochen. Unter diesen Gesichtspunkt ist die Organisation der Wettkampfleistungen im umfassenden Sinne nicht nur alters-, sondern vor allem leistungsabhängig zu gestalten, sie ist Lehrauftrag.

Trainer sollten auch bedenken das junge, aber auch ältere Läufer weniger zwischen wichtigen und weniger wichtigen Wettkämpfen unterscheiden wie sie selbst, sie wollen einfach gut sein und sollen Aufgaben erfüllen, d.h. üben dürfen.

Deshalb sind Wettkämpfe nicht nur Teil der Trainingslehre, sondern auch psychophysische Aufgabenbewältigung, die von den Sportlern möglichst selbstständig vor-,  aber auch nachzubereiten sind. Das bedeutet auch, das Trainer und Familien im Laufe der Entwicklung immer weniger oft auf den Einlaufplatz gehören.

Dazu gehört auch das unerwartet negative Ergebnisse, Enttäuschungen, zuerst überschlafen werden sollten und sie erst beim nächsten Training – wenn sich die Rauchwolken verzogen haben – mit dem Sportler so zu besprechen das er/sie zum nächsten Rennen besser vorbereitet zurückkommen kann. 

Die Wettkämpfe ab Juni dienen der sportlichen Formentwicklung

Läufer deren Saison Rennen bis Ende August/Anfang September (z.B. ISTAF) einschließen sollten ihre Wettkampfperiode besser erst Anfang Juni beginnen und Zwischenwettkampfphasen einplanen.  Auch Unterdistanz- oder Überdistanzrennen nahe an der Wettkampfstreckenlänge unterstützen den Formaufbau. Dabei sollten die anderen „Neben-Ausbildungsaufgaben“ nicht übersehen werden und die Ganzkörper-Stabilität über die 3 Monate gesichert werden.

Nicht selten sieht man, vor allem von den Weltbesten, wie der eine oder die andere nach solchen „Trainingswettkämpfen“ auf dem Nebenplatz noch ein mittleres Intervallprogramm, einen kurzen schnellen Dauerlauf oder ein Fahrtspiel oder 12 Rasendiagonalen anschließen.

Scheinbar weniger wichtige Rennen sind individuelle Trainingsrennen (Stärken, Schwächen) die schon offensiv, aber auch nicht immer mit einer Zielzeit verbunden zu gestalten sind. Die Überprüfung der neuen Taktik, eines langen oder kurzen Spurts, des Tempogefühls für eine längere Strecke oder einer Tempowechsel-Taktik für das nächste wichtige Rennen sind wichtige Ausbildungs-Aufgaben im Aufbau einer Karriere.

Für wichtige Wettkämpfe gibt es diese Zusatzaufgaben

            *  die klimatischen Bedingungen beim Jahreshöhepunkt (EM, WM, OS) in die Vorbereitung einzubeziehen (Hitzeakklimatisation / Kleidung für Kälte oder Regen)

            *          die Zeitzonen zu berücksichtigen, auf Zeitdifferenzen vorbereiten

            *          die Höhenlage des Wettkampfortes zu berücksichtigen

            *          besondere Startzeiten (z.B. morgens) rechtzeitig zu simulieren

            *          auf Wettkampfserien (VL, ZL, HF, F) vorbereiten

  •  auf mögliche besondere Callroom – Situationen einstellen
  • Informationen vor Ort über die organisatorischen Bedingungen z.B. Fahrzeiten, Fußwege zum Einlaufplatz, ohne Heimtrainer

            *          Vorbereitung auf mögliche Dopingkontrollen nach Wettkämpfen

            *          auf die Klimaanlagen bei langen Flügen vorbereiten

  • Für jeden Wettkampf ist ein Plan zu erstellen, der situationsbedingt (Wetter Bodenbedingungen z.B. beim Cross, Taktik der Gegner) zu ändern ist (Spikes, Startzeit, Mahlzeiten, Startnummer, Bekleidung usw.)

Weniger Wettbewerb führt zu leichteren Siegen oder guten Platzierungen auf einem niedrigeren Niveau. Leichtere Siege führen zu abnehmenden Anstrengungen im Training.

„Aufbauwettkämpfe haben eine hohe Bedeutung für die Entwicklung der wettkampfspezifischen Leistungsfähigkeit. Sie sind aber so vor- und nachzubereiten, zu organisieren, dass das „Trainingsziel hohe Qualität“ auch realisierbar ist.

Innerhalb der Woche ersetzen sie dann eine Trainingseinheit entsprechender Qualität.“ (Lothar Pöhlitz LCA 1985)

Lothar Pöhlitz


*Lothar Pöhlitz – Dipl.- Sportlehrer für Leistungssport/Sportwissenschaftler/1971 – 1979 Leiter des Wissenschaftlichen Zentrums Lauf/Gehen im DVfL/DLV-Bundestrainer 1980 – 1988 i. R./3x Olympia-Trainer für Deutschland/Langjährig Dozent an der Trainerakademie und DLV-Trainerschule

         

 

author: GRR