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Wada-Chef Witold Banka: „Die Amerikaner sollten bei sich zu Hause anfangen“- Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Wada-Chef Banka kritisiert: „Die amerikanische Regierung sprengt Regeln, die sie mit Gründung der Wada 1999 selbst geschaffen hat“
Im weltweiten Kampf gegen Doping geht es auch um Machtspielchen. Wada-Präsident Witold Banka spricht im Interview über Drohungen aus dem Weißen Haus, Gefährdung von Whistleblowern und den Kampf um politische Unabhängigkeit.
Das Weiße Haus will die Unterstützung mit 2,7 Millionen Dollar pro Jahr einstellen, weil es mit der Arbeit der Wada und der Besetzung der Gremien unzufrieden ist. Die Drohung beruht auf einem Report des Büros der National Drug Control Policy. Was sagen Sie dazu?
Wir sind sehr enttäuscht, denn dieser ONDCP-Report basiert nicht auf Fakten. Er ist voller Unkorrektheiten und irreführender Angaben; wir haben die Korrekturen dazu veröffentlicht. Uns hat dieser Angriff überrascht, denn noch wenige Tage vorher hatte ich eine ergiebige Diskussion mit James W. Carroll, dem Direktor des Büros der National Drug Control Policy; er ist Mitglied unseres Stiftungsrates. Er hat mich ins Weiße Haus eingeladen. In mehr als zwanzig Jahren Mitgliedschaft im Stiftungsrat haben die Vereinigten Staaten niemals in diesen Fragen ihre Stimme erhoben. Sie haben unserer Reform 2018 ebenso zugestimmt wie unserem strategischen Plan von 2020 bis 2024. Wenn sie so dringend den amerikanischen Kontinent in unserem Exekutivkomitee vertreten wollen, warum haben sie nicht im Februar an dem „Americas Region“-Treffen teilgenommen, auf dem dies entschieden wurde? Wenn sie mehr Plätze haben wollen, warum haben sie niemanden nominiert?
Was, glauben Sie, steckt dahinter?
Man könnte auf die Idee kommen, dass die Nationale Anti-Doping-Agentur Usada den Bericht verfasst hat. Kaum jemand weiß, dass vor einiger Zeit die finanzielle Förderung von Wada und Usada in einem Posten zusammengefasst wurde. Sie können nun selbst Ihre Schlüsse ziehen. Ich fürchte, dass eines der Ziele dieses Berichtes ist, die Finanzierung von Usada auf Kosten der Wada zu stärken und damit die Wada zu schwächen.
Wollen Sie damit sagen, dass Travis Tygart, der Vorstandsvorsitzende von Usada, Sie angreift, um die Finanzierung seiner Organisation zu verbessern?
Bleiben wir bei den Fakten. Sie sprechen für uns. Ich will keine persönliche Auseinandersetzung, sondern eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Organisationen. Wer das gesamte System verbessern will, sollte bei sich zu Hause damit anfangen.
Sie meinen die Amerikaner?
Ich spreche von den großen Ligen für Basketball und Eishockey, für American Football und Baseball. Sie alle unterliegen nicht dem Anti-Doping-Kodex der Wada. NBA, NFL et cetera sind übrigens auch ausgenommen vom Rodchenkov Act (einem Gesetz, das es den Strafverfolgern der Vereinigten Staaten aufgibt, Doper überall auf der Welt zu verfolgen und zu bestrafen, d. Red.). Und was ist mit dem Hochschulsport? Wir als Wada sind bereit, Usada dabei zu unterstützen, die Schwächen des Anti-Doping-Systems in den Vereinigten Staaten anzugehen.
Russische Leichtathleten haben nicht verhindern können, dass ihr Verband die Zahlung von gut sechs Millionen Dollar zur Strafe und für Ermittlungskosten an den Weltverband verweigert. Nun soll es keine neutralen Starter mehr geben und vielen russischen Athleten droht, dass sie nach den Olympischen Spielen von Rio 2016 auch die von Tokio 2021 verpassen. Wo steht die Wada in dieser Auseinandersetzung?
Als ehemaliger Athlet habe ich volles Verständnis für die Enttäuschung und den Ärger der Athleten. Ich respektiere aber die Entscheidung von World Athletics. Wir haben mit der Entscheidung nichts zu tun. Jedoch sind wir davon überzeugt, dass Russland seine Sport-Kultur ändern muss. Es ist kein Geheimnis, dass ich die einstimmige Entscheidung unseres Exekutiv-Komitees unterstütze, was Russland betrifft.
Sie meinen die Konsequenzen aus der möglichen Manipulation der Computerdaten des Moskauer Labors?
Der Cas wird über die Sanktionen entscheiden. Wir haben die komplexesten Ermittlungen in der Geschichte der Doping-Bekämpfung abgeschlossen und den Verbänden die Daten übergeben. Es ist wichtig, dass wir der Welt zeigen, dass wir auf diesem Feld führend sind.
Sitzen Sie in der Zwickmühle?
Wenn zwei Mächte wie Russland und die Vereinigten Staaten uns gleichermaßen angreifen, ist das vielleicht ein Indiz dafür, dass die Wada unabhängig ist und nicht vor mächtigen Ländern zurückschreckt. Ich versichere Ihnen: So wollen wir weitermachen.
Die Amerikaner verlangen größeren Einfluss in den Gremien, weil sie viel beisteuern.
Das macht nach meiner Überzeugung keinen Sinn. Wenn Regierungen in dem Maße vertreten wären, wie sie die Wada finanzieren, würde dies ganze Kontinente aus unseren Gremien ausschließen. Es würde die weltweite Doping-Bekämpfung schwächen. Außerdem: Würden wir dieser Forderung nachgeben, würde Russland im Aufsichtsrat sitzen. Ich bin mir nicht sicher, dass es das ist, was die Vereinigten Staaten von Amerika wollen.
Welche Ziele haben Sie?
Wir wollen athletenorientierter werden. Wir planen Hunderte von Gesprächen mit Athletenvertretern und ihren Organisationen, auch mit Athleten in Deutschland. Ich werde niemals zulassen, dass die Wada Teil eines politischen Spiels wird. Ich fühle mich als Präsident den sauberen Athleten verpflichtet. In diesem Geschäft ist kein Platz für Politik. Meinen Freunden in Amerika kann ich nur sagen: Lasst uns zusammenarbeiten und unsere wirklichen Feinde bekämpfen – die Betrüger.
Die Amerikaner wollen das allein tun. Das Repräsentantenhaus hat den Rodchenkov Act verabschiedet. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich sind wir nicht gegen solch ein Gesetz. Wir unterstützen Regierungen, die Anti-Doping-Organisationen stärken. Wegen dieses Gesetzes sind wir allerdings besorgt, und ich spreche nicht nur von der Wada, sondern von der Mehrzahl der Regierungen und Sportorganisationen. Abgesehen davon, dass es die meisten amerikanischen Ligen nicht berührt, untergräbt die Legislative in Amerika die Möglichkeit der Wada, zu ermitteln. Ein Beispiel: Grigorij Rodtschenkow, der Whistleblower in den Vereinigten Staaten, könnte von jedem Land juristisch verfolgt werden, das ein Gesetz wie den Rodchenkov Act schafft. Dies würde bedeuten, dass Whistleblowern möglicherweise Gefängnis in mehreren Ländern droht. Das würde kein hochkarätiger Whistleblower riskieren wollen.
Das Gesetz würde die Doping-Aufklärung einschränken?
Das ist das eine. Das andere ist, dass die amerikanische Regierung Regeln sprengt, die sie mit Gründung der Wada 1999 selbst geschaffen hat. Die Zusammenarbeit der Wada mit internationalen Organisationen wie Interpol, dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung sowie Europol könnte ebenfalls beschädigt werden.
Sie sagten, Sie wollen eine konstruktive Zusammenarbeit?
Auf dem letzten Treffen unseres Exekutivkomitees haben wir die Hoffnung auf einen Dialog mit dem amerikanischen Kongress ausgedrückt. Wir sind bereit, dieses Gesetz mit den Abgeordneten zu diskutieren. Wir brauchen die Amerikaner, aber die Amerikaner brauchen auch uns. Ich bin trotz der jüngsten Attacken der Überzeugung, dass die amerikanische Regierung eine große Rolle im Kampf gegen Doping zu spielen hat.
Zurück zum Kerngeschäft: Während der Corona-Krise konnte die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) wegen Reise- und Kontaktverbots keine Tests vornehmen. Ändert sich das jetzt wieder?
Zum einen möchte ich feststellen, dass die Anti-Doping-Organisationen für das Testen zuständig sind und nicht die Wada. Zum anderen darf ich Ihnen versichern, dass wir nicht geschlafen haben. Wir haben Richtlinien erarbeitet, die den Anti-Doping-Organisationen helfen sollen, in diesen schwierigen Zeiten Tests vorzunehmen. Wenn es um Menschenleben geht, tritt der Sport in den Hintergrund. Gleichwohl: Dies war und ist keine Zeit, uns übers Ohr zu hauen. Die Kontrollen sind nur eine von vielen Waffen im Kampf gegen Doping. Wir haben den biologischen Pass, wir haben die langfristige Analyse von Proben, wir haben eine Ermittlungseinheit, wir sind in ständigem Kontakt mit Anti-Doping-Organisationen und Sportverbänden. In der Mehrzahl der Länder werden die Corona-bedingten Einschränkungen gelockert. Wir werden bald wieder das normale Niveau von Kontrollen erreichen.
Die Vorsitzende der deutschen Anti-Doping-Agentur (Nada), Andrea Gotzmann, warnte vor wenigen Wochen, dass die Doping-Bekämpfer sofort alles tun müssten, um zu verhindern, dass Tokio 2021 zu einem Paradies für Doper werde. Wie groß ist die Gefahr?
Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles tun werden, um die Integrität des Systems zu erhalten. Wir beobachten auch die Lücken und ziehen unsere Schlüsse. Eine Innovation ist die Dried-blood-spot-Methode, die wir mit unseren Partnern weiterentwickeln. Ich glaube, sie wird viel verändern.
Die Nada in Deutschland hat sie eingesetzt, weil die Athleten die Tests selbst vornehmen können und in der Zeit, in der keine Kontrolleure kamen, etwas für den Nachweis ihrer Sauberkeit tun konnten.
Die Methode ist minimalinvasiv, sie ist so einfach wie der Selbsttest eines Diabetes-Patienten. Sie ist preiswert. Man braucht keine Kühlkette. Wir leiten derzeit ein internationales Pilotprojekt, mit dem wir feststellen wollen, welche Aspekte dieser Methode wir bereits für die Olympischen Spiele in Tokio 2021 einsetzen können.
Alle wissen: Testen allein reicht nicht.
Da haben Sie recht. Aus diesem Grund haben wir auch eine starke Ermittlungseinheit unter der Leitung von Günter Younger vom Landeskriminalamt München aufgestellt. Aber das reicht uns nicht. Wir kooperieren mit einer Hochschule, um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu prüfen. Wir wollen modernste Methoden entwickeln.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 3. Juli 2020
Michael Reinsch – Korrespondent für Sport in Berlin.