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2020

Symbolfoto: - Engadin Skimarathon swiss-image.ch/Photo by Andy Mettler

Vor dem Skilanglauf-Weltcup 2020/21 Olympiasiegerin Therese Johaug: „Als würde ich an den Weihnachtsmann glauben“ – Von KLAUS BLUME

By GRR 0

Eigentlich wollten wir hier erzählen, mit welchem Elan die besten Skilangläufer der Welt in diese Winter-Saison gestartet sind. Doch die dafür vorgesehenen Rennen im lappländischen Munio wurden abgesagt – wegen Corona.

Ein Fehlstart? Munio werde wohl kein Einzelfall bleiben, befürchten sie in der Szene. Die Zuversicht auf einen spannenden Wettkampf-Winter sinkt; das Mißtrauen gegenüber dem Internationalen Ski-Verband (FIS) aber steigt. 
Ob sie sich einen Weltcup-Winter 2020/21 überhaupt vorstellen könne, fragten norwegische Zeitungen Rekord-Weltmeisterin Therese Johaug. Sie antwortete: „Das wäre, als würden ich an den Weihnachtsmann glauben. Außerdem: Diejenigen, die Corona hatten, waren hinterher müde und schlaff. Aber gerade in unserem Beruf leben wir von unserem Körper.“ Von einem gesunden Körper.
Markus Cramer, der deutsche Chef-Trainer der russischen Nationalteams, entrüstet sich: „Wegen Corona sollten wir eigentlich alle so wenig wie möglich reisen. Stattdessen müssen wir, planmäßig, noch vor Weihnachten in vier verschiedenen Ländern starten. Das ist umwerfend verrückt.“ Das heißt nämlich, in Finnland, Norwegen, der Schweiz und am 19./20. Dezember auch am Elbufer in Dresden.
Sprint-Weltmeisterin Maiken Casersen Falla aus Norwegen greift deshalb die FIS massiv an: „Sie setzt uns einem extremen Risiko aus. Wir werden durch viele Orte und Flughäfen reisen, an denen eine hohe Infektionsgefahr besteht. Was geschieht, wenn wir uns infizieren, daheim mit unseren Familien? Was, wenn ein gesamtes Team, wie aus Schweden oder Norwegen, mitten in der Saison in Quarantäne muss? Darauf gibt es keine Antwort, keine Erklärung.“ Es sind in der Tat winzige Orte und kleine Flughäfen, die eine winterliche Reiseroute im Skilanglauf markieren. Und oft liegen zwischen diesen Flugplätzen und den Wettkampforten mehrstündige Autofahrten durch menschenleere Gegenden. Ein Abenteuer – auch ohne Corona.
Deshalb meldet sich auch die dreimalige Olympiasiegerin Jelena Vaelbe zu Wort, jetzt Vorsitzende des russischen Ski-Verbandes: „Man sollte auch mal bedenken, dass ein Weltcup-Team aus jeweils sechzig Personen besteht: Aus Athleten, Trainern und technischem Personal. Alle bangen um eine Familie daheim, für die sie verantwortlich sind. Mir scheint, darüber hat bei der FIS niemand nachgedacht.“
Der Ärger ist groß, denn die Sorgen sind es erst recht. Schließlich stehen – bis zur Stunde – in diesem Corona-Winter – insgesamt 41 Weltcup-Rennen in acht verschiedenen Ländern auf dem Programm. Höhepunkt sollen die Nordischen Ski-Weltmeisterschaften vom 23. Februar bis 7. März in Oberstdorf im Allgäu bilden. In zwei Wochen fällt für diesen abenteuerlichen Winter im nordfinnischen Ruka der Startschuss – doch für wen?
Die Norwegerin Heidi Weng, bislang viermal Weltmeisterin und eine der zuverlässigsten Stützen der weltweit dominierenden norwegischen Nationalmannschaft, sagte dem Osloer „Dagbladet“: „Bisher bin ich aus Sicherheit einfach zu Hause geblieben, auch wenn es um Lehrgänge ging. Ich weiß nicht, ob es nicht das wirklich Richtige ist. Man muss sich ganz genau überlegen, ob man in diesem Winter überhaupt in den  Weltcup geht.“ 

Die Sorgen sind groß, nicht nur bei den Sportlern, auch in den wichtigen Verbänden, in Russland, Norwegen, Schweden und Finnland. Zumal der Skilanglauf in diesen Ländern ein Wirtschaftsfaktor ersten Ranges darstellt. Das zeigen schon diese Zahlen: Fast alle Verbände beziffern die Unkosten eines Weltcup-Winters (nicht mitgerechnet die Gehälter der Aktiven)  auf rund 500 000 Euro – bis auf Norwegen. In diesem ständig prosperierenden skandinavischen Königreich soll der finanzielle  Einsatz 19 (!) Millionen Euro betragen. Ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.

Das alles wissen sie beim Internationalen Ski-Verband (FIS), wo der Franzose Pierre Mignerey die Abteilung „Langlauf“ leitet. Er hält sich dennoch aus allem raus und sagt: „Natürlich wird dieser Winter für alle Beteiligten kompliziert. Sicherer wäre es natürlich, daheim zu bleiben. Doch kann das nicht für Berufssportler gelten.“ Aber wie will die FIS ihre Profis schützen? „Durch eine App, sie soll den Sportler über Covid-Tests informieren.“ 
Markus Cramer vom russischen Team entsetzt das alles. Er fordert deshalb: „Es ist Zeit für eine Änderung. Denn so, wie die FIS mit Athleten und deren Angehörigen sowie den Veranstaltern internationaler Wettbewerbe umgeht, geht es nicht weiter.“
Das wußte man freilich schon vor Corona.

Doch jetzt brennt es an allen Enden und Ecken – und zwar lichterloh.

Klaus Blume
Uhlenhorster Weg 2
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