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20
05
2021

Paul Angenvoorth (m), Lutz Philipp (r) und Günter Mielke (lks.) - Foto: Wilfried Raatz - wus-media

Vor 45 Jahren in Krefeld… Ein Rückblick auf die Deutschen Marathon-Meisterschaften 1976 – Paul Angenvoorth holte sich den Meistertitel

By GRR 0

  Er blieb dennoch bei der Nominierung für die Olympischen Spiele in Montreal außen vor

Einfach geht selten. So gab es einiges Gerangel im Vorfeld der Deutschen Marathon-Meisterschaften. Die Kaderathleten des DLV wetterten vergeblich gegen die vorgesehene Startzeit von 14.30 Uhr angesichts der zu erwartenden Hitze, schließlich ging es auf der Wendepunktstrecke an der Grotenburg-Kampfbahn nicht alleine um die nationalen Titel, sondern auch um die Olympiatickets und die bei Hitzegraden kaum zu schaffenden Olympianorm von 2:15:00 Stunden.

Zudem war auch ein Weltrekordversuch bei den Frauen angekündigt. Doch die Verbandsfunktionäre wehrten alle Argumente ab und beharrten auf der unsinnigen Startzeit angesichts der zu erwartenden Hitze.

Es war, wie es kommen musste, am 16. Mai war ein heißer Tag. „Der komplette April war übernatürlich warm, am Tag stets über 30 Grad. Wir haben uns für unsere langen Trainingsläufe morgens um 6 Uhr getroffen, denn später am Tag wäre es nicht mehr möglich gewesen, über 30 oder 35 Kilometer zu laufen”, erinnert sich Gerd Quack vom ausrichtenden KTSV Preußen Krefeld. Sein Verein schickte sich 1976 an, zum zweiten Mal nach 1966 die Deutschen Meisterschaften im Marathon in Krefeld auszurichten.

Anders als zehn Jahre zuvor sollte dies nicht mehr auf einem Rundkurs durch Verberg, Bockum und den Stadtwald geschehen, sondern auf dem Pendelkurs mit Wendepunkt in Traar. Diese Entscheidung ging allerdings zu Lasten der Zuschauer, die man 1976 bis auf wenige Hotspots vergeblich an der Strecke suchte. Zehn Jahre zuvor sah das noch anders aus: Nach übereinstimmenden Aussagen der Tageszeitungen peitschten seinerzeit 15.000 Zuschauer die Läufer Runde für Runde nach vorne – und sahen nach 2:24:56 Stunden Karl-Heinz Sievers einen Krefelder als Sieger.

Günter Mielke, der als einziger die Norm bislang unterboten hatte, galt als Favorit, auch wenn er in der Vorwoche wegen einer Viruserkrankung in der Freiburger Uni-Klinik behandelt wurde. Zudem zählten Wolf-Dieter Poschmann (Wattenscheid) und Karl Mann (Darmstadt). „Die große Unbekannte in diesem Rennen ist der 30-jährige Lokalmatador und Olympiateilnehmer von München, Paul Angenvoorth”, schrieb die WZ in ihrer Vorschau. Der Hülser im Trikot von Bayer Uerdingen hatte eine wechselhafte Marathon-Karriere vorzuweisen. 1968, bei seinem ersten Start bei der Deutschen Meisterschaft in Berlin über die 42,195 Kilometer, erreichte er in 2:22:49 h prompt den dritten Platz und hatte damit die Norm für die Spiele in Mexiko unterboten. Doch beim DLV entschied man sich für drei schnellere Marathonläufer mit Karl-Heinz Sievers.

Erst 1971 gelang Paul Angenvoorth in Manchester mit 2:18:57 Stunden ein beachtliches Comeback auf der Königsdisziplin der Leichtathletik. Die gute Form konnte er 1972 bestätigen und qualifizierte sich für die Spiele in München, wo er 2:20:19 nicht nur die schnellste Zeit eines Deutschen bei Olympischen Spielen lief, sondern mit Rang 16 auch für die beste Platzierung eines Deutschen über die Marathon-Distanz bei Olympischen Spielen sorgte. Und dies bei einer Vollzeitbeschäftigung bei Bayer – und den Olympiastart als Freizeitläufer.

1976 plagten Paul Angenvoorth schon fast zwei Jahre Probleme an den Leisten und konnte daher kaum Rennen absolvieren. Folglich war er aus dem Kader des DLV gestrichen worden, reiste zu Wettkämpfen auf eigene Faust und musste aus der Ferne mit ansehen, wie Mielke beim renommierten Marathon in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) im Frühjahr 1976 die Olympia-Norm knackte. Um überhaupt in der Heimatstadt dabei sein zu dürfen, lief er beim sehr kleinen Marathon in Heinsberg in 2:32 h die entsprechende Norm – sein erster Marathon nach über einem Jahr.

Der Startschuss für die 180 Starter fiel am 16. Mai „programmgemäß“ um 14.30 Uhr – und zwar ohne Mielke, der letztlich doch wegen seiner Virus-Erkrankung fehlte. Der größte Gegner für Paul Angenvoorth sollte daher das Wetter sein. Durchaus fokussiert, wegen der Hitze aber auch reserviert und missgelaunt, ging Angenvoorth das Rennen an. „Durch die Hitze hatte sich keiner getraut, schnell anzulaufen. Das kam mir sehr entgegen”, erinnert sich der heute 75jährige.

Durch den verhaltenen Start blieben sogleich einige wichtige Sekunden auf der Straße. So fehlte bei der 10 km-Marke mit 33:11 Minuten bereits über eine Minute auf die anvisierten 2:49:59. Die erforderliche Tempoverschärfung schaffte Angenvoorth zusammen mit Karl Mann, Anton Gorbunow und Hans Gulyas, sodass die 15 km-Marke mit 48:41 passiert wurde. Gerade Mann war es, der das Tempo forcierte, empfindliche Nadelstiche setzte und aus der Vierer-Gruppe schließlich ein Duo an der Spitze machte, das für den nächsten 5 km-Split 15:24 benötigen. Fünf Sekunden lagen die beiden Führenden bei Kilometer 20 nur noch hinter der anvisierten Zeit von 1:04:00, unter dem Jubel der Zuschauer an der Wende in Traar wurde diese praktisch im Soll von 1:07:05 erreicht.

Doch das Unheil nahm wenig später seinen Lauf.

„Wir haben hier einen entscheidenden Fehler gemacht. Anfangs haben wir wegen der Hitze absichtlich etwas langsamer, die Tempoverschärfung aber war zu stark”, so Angenvoorth in „Leichtathletik“. Kurz nach der Wende musste Karl Mann abreißen lassen, sodass Paul Angenvoorth alleine an der Spitze war.  „Das war hart. Zumal ich sowieso immer lieber hinterhergelaufen bin als vorne weg.” Mit den beiden Fünf-Kilometer-Splits von 15:50 und 15:56 Minuten bewies er beachtlichen Kampfeswillen und nährte die Hoffnung auf die Olympianorm. Mit seiner 30 km-Zwischenzeit von 1:35:51 Stunden lag er noch neun Sekunden unter der Norm und müsste für die restliche Strecke „nur“ 39:08 Minuten laufen für eine 2:15:00er Endzeit.

Angenvoorths Beine wurden aber schwerer, Wind, Hitze und die trockene Luft kamen dazu. Und die Kraft war weg. Die letzten 2,195 km lief er eher gemächlich und genoss die „Ehrenrunde“ in der Grotenburg-Kampfbahn mit den 3.000 Zuschauern. Nach 15jähriger Lauftätigkeit holt er mit diesem bravourösen Lauf seinen ersten deutschen Meistertitel – was für eine tolle Sache, zumal dieser in seiner Heimat gelungen war. Die Zeit von 2:15:56 Stunden war übrigens die schnellste jemals gelaufene Zeit bei einer Deutschen Meisterschaft. Da ist zunächst auch vergessen, dass er die Norm um 56 Sekunden verpasst hatte.

Hinter ihm platzieren sich neben dem aufopferungsvoll kämpfenden Karl Mann (ASC Wella Darmstadt/ 2:18:48) Jochen Schirmer (LG Jägermeister Bonn/ Troisdorf/ 2:19:13), Wolf-Dieter Poschmann (TV Wattenscheid/ 2:21:39) und Wilfried Hellwig (LG Jägermeister Bonn/ Troisdorf/ 2:22:38).

Auch die damals durchaus beachtete Mannschaftswertung wurde ein wahrer Krimi, den der ASC Wella Darmstadt (7:05:52) knapp vor der favorisierten LG Jägermeister Bonn/ Troisdorf (7:06:15) gewinnen konnte. Die Preußen aus Krefeld mit mit Gerd Quack (12./ 2:24:49), Paul Peeters (23./ 2:29:01) und Willi Roggenbach (27./ 2:30:10) wurden Vierter in 7:24:01 hinter LAC Quelle Fürth (7:22:56)

Etwas später kamen dann auch die ersten Frauen bei der Premiere ins Ziel. Eine Deutsche Marathonmeisterschaft hatte es für sie erstmals 1975 gegeben, damals aber noch unabhängig von den Männern. 1976 durften sie dann aber an gleicher Stelle starten. Dabei war es offenbar usus, dass man(n) über die Läuferinnen frozzelte, wie dies die WZ tat: „Beim Lauf der Frauen kam es offenbar nicht nur auf Schnelligkeit und Ausdauer an, sondern auch auf die äußere Erscheinung. Bei den 60 Teilnehmern des schwachen, aber schönen Geschlechts griff gar manche vor dem Start zum Schminkköfferchen!“

Der Frauenlauf stand unter dem Vorhaben der absoluten Favoritin und Titelverteidigerin Christa Vahlensieck (Barmer TV), den Weltrekord der Amerikanerin Jacqueline Hansen (2:38:19) knacken zu wollen. Da die Wuppertalerin zwei Wochen vorher eine Weltbestzeit über die 25 Kilometer mit 1:30:06 Stunden aufstellt hatte, glaubte auch ihre Freundin und einstige Mannschaftskollegin Manuela Preuß (spätere Angenvoorth) daran: „Ich traue Christa den Weltrekord zu. Ich will aber versuchen, so lange wie möglich, an Christa dranzubleiben. Mein Ziel ist es, unter 2:50 zu laufen, eine Traumzeit für mich läge bei 2:45 Stunden.”

Doch die beiden Medaillenanwärterinnen gingen angeschlagen in das Rennen: Vahlensieck plagte sich mit einer Zahnvereiterung und einer Fußverletzung herum, Preuss machte einer Bänderzerrung im Fuß zu schaffen. Dennoch konnten sich beide früh vom Feld der 57 gestarteten Frauen absetzen. Bis zur 20 km-Marke (1:14:53) liefen beide gemeinsam, dann zog Vahlensieck aber auf und davon zum erneuten Titel. Da hilft es auch nicht, dass Manuela Preuß bei Kilometer 26 von ihrem Verlobten Paul Angenvoorth überholt wurde. „Es hat mir zwar einen kleinen Auftrieb gegeben, ich wusste aber, dass ich Christa nicht halten konnte.”

Bis zu Kilometer 30 liegt Vahlensieck auf Weltrekord-Kurs, dann aber musste auch sie dem vorgelegten Tempo Tribut zollen. Den Weltrekord verpasste sie am Ende nur knapp. Ihre Zeit von 2:40:28 h bedeutete jedoch Weltjahresbestleistung. Und auch Preuß’ Zeit (2:43:00) war überaus beachtlich, denn sie steigerte sich um 12 Minuten. 1976 sollte sie damit die zweitschnellste Frau auf der ganzen Welt sein. Sehenlassen kann sich auch die Leistung der Dritten: Gerda Reinke (SCC Berlin) lief mit 2:56:55 ebenso Hausrekord und blieb ebenfalls unter der markanten Drei-Stunden-Marke.

Am Abend knallten bei der Siegerehrung im Haus Blumental zwar noch einige Sektkorken. Es blieb aber bei einer kleinen Feier, ins Krefelder Nachtleben zog es danach keinen. „Ich musste am nächsten Tag auch wieder arbeiten”, erinnert sich Angenvoorth. Für ihn war auch am Abend übrigens nicht klar, ob es für die Olympischen Spiele reichen sollte – auch wenn er ob seiner fabelhaften Leistung die Sache realistisch einschätze.

„Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das nicht reichen sollte”, so seine Meinung, der sich in der Folge Freunde, Familie und Verein, aber auch die Presse, Konkurrenten und sogar NRW-Innenminister Burkhard Hirsch anschlossen. Zurückhaltender waren nur die Offiziellen, die schließlich Angenvoorth und Mielke am 10. Juni zu einem verpflichtenden 25-Kilometer-Lauf nach Griesheim bei Darmstadt beorderten. „Dort zu starten, war der größte Fehler meiner Laufbahn”, sagt Angenvoorth noch heute, denn es endete bei erneuter Hitze für ihn in einem mittelschweren Fiasko. Sieben Kilometer hielt er mit Mielke mit, dann musste er einen Gang zurückschalten. Im Ziel hatte Günter Mielke mit 1:17:34 Stunden mehr als eine Minute Vorsprung auf den enttäuschten Zweiten (1:18:44). „Ich sehe keine Chance mehr. Nach normalen Überlegungen ist der Fall erledigt. Für mich sind solche Temperaturen Gift!“

Der DLV nominiert tatsächlich nur Mielke für die Spiele in Montreal, bei denen ein anderer Deutscher Geschichte schreiben sollte. Denn während Mielke sich schon kurz nach dem Start eine Fußverletzung zuzog und angeschlagen als 54. von 60 Finishern das Ziel erreichte, gewann Waldemar Cierpinski für die DDR das erste Marathon-Gold. Für Angenvoorth, der selbst mit seiner Krefelder Zeit in Montreal Elfter geworden wäre, blieb die Teilnahme an den Spielen in München damit ein einmaliges Erlebnis.

Nach einer erneuten langen Verletzungspause gelang ihm Herbst 1977 noch einmal ein Comeback mit dem dritten Platz bei der Marathon-DM in Berlin in persönlicher Bestzeit von 2:15:42 Stunden. Seine Ehefrau Manuela wurde mit 2:38:09 Stunden hinter Christa Vahlensieck, die in neuer Weltrekordzeit von 2:34:47 Stunden gewann, erneut Zweite.

Und Berlin brachte für die Angenvoorths zudem einen weiteren Erfolg: Mit ihren beiden Zeiten waren sie 1977 das schnellste Ehepaar der Welt. Kurz vor der Europameisterschaft 1978 in Prag musste Paul Angenvoorth diese wegen Leistenbeschwerden absagen.

Im Winter beendete er nach 439 Wettkämpfen seine langjährige und gewiss erfolgreiche Karriere.

Wilfried Raatz nach Material von „LokalKlick, Online-Zeitung Rhein-Ruhr“

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