Blog
13
05
2020

Das Hauptgebäude der DHfL auf der Nordseite des Deutschen Stadions. Foto um 1925. - Foto: Sportmuseum Berlin/Bildarchiv Forum für Sportgeschichte.

Vor 100 Jahren wurde die „Deutsche Hochschule für Leibesübungen“ als erste Sporthochschule der Welt in Berlin gegründet

By GRR 0

  Vorläufer der modernen Sportwissenschaft

Am 15. Mai 1920 wurde in Berlin durch den damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1871-1925) die „Deutsche Hochschule für Leibesübungen“ (DHfL) gegründet. Der Gründungsakt fand an der Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin, statt.

Ihren Standort hatte die DHfL zunächst im Deutschen Stadion, dem Vorgänger des Olympia-Stadions. Ab 1925 konnte die DHfL die neu errichteten Gebäude und Sportstätten im Deutschen Sport-forum nutzen, dem heutigen Olympiapark im Ortsteil Westend des Stadtbezirks Charlottenburg-Wilmersdorf.

Insgesamt 25 Studierende nahmen 1920 ihr Studium auf, das mit dem Abschluss eines Diploms endete. Das Studium selbst bestand aus praktischen und theoretischen Lehrveranstaltungen in folgenden vier Bereichen: (1) Übungslehre (z.B. Leichtathletik, Spiele, Rudern, Boxen), (2) Gesundheitslehre (z.B. Anatomie, Orthopädie, Bewegungslehre, Massage), (3) Erziehungslehre (z.B. Allgemeine Pädagogik, Theorie und Praxis des Trainings, Soziale Pädagogik und Kultur-politik) und (4) Verwaltungslehre (z.B. Vereinsverwaltung, Geschichte, Spielplatzbau, Sportjour-nalistik). Insgesamt kamen so mehr als 40 Lehrbereiche zusammen.

Viele der Studiengebiete gehören bis heute – wenn auch in anderer neuzeitlicher Terminologie – zum (modularen) Curriculum eines Studiums im Fach Sport. Das endet zwar im Zuge der so genannten Bologna-Reform nicht mehr mit dem Diplom in Sport bzw. Sportwissenschaft, sondern mit einem Bachelor- bzw. Masterabschluss und in einigen Bundesländern (z.B. Hessen, Sachsen) weiterhin mit dem Staatsexamen (für Lehrämter an Schulen). Andere Studiengebiete aus der damaligen Zeit sind nominell allerdings ganz verschwunden oder führen heute sogar zu eigenen Studienabschlüssen. Wiederum andere Studienbereiche (z.B. Sportökonomie) waren damals noch nicht angesagt.

Einer der prominentesten Absolventen der DHfL war übrigens der ehemalige Bundestrainer des Deutschen Fußball-Bundes, Sepp Herberger (1897-1977), der mit einer Arbeit zu dem Thema „Der Weg zur Höchstleistung im Fußballsport“ das Studium an der DHfL abschloss und später von Otto Nerz (1892-1949) die Ämter als Fachlehrer für Sport an der Reichsakademie sowie als Reichstrainer während der Nazi-Zeit übernahm. Als prominente Absolventen der DHfL, die selbst später in der Sportwissenschaft reüssierten, gelten z.B. Prof. Dr. Karl Feige (1905-1992), der spätere Leiter des Hochschulinstituts für Leibesübungen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, auch Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie in Deutschland (asp), sowie Prof. Berno Wischmann (1910-2001), der Gründer des Fachbereichs Sport an der Universität Mainz sowie des USC Mainz, gleichzeitig Cheftrainer der deutschen Leichtathletik-mannschaft bei den Olympischen Spielen von 1956 in Melbourne bis 1972 in München.

Erster Rektor der DHfL war der Berliner Chirurg Prof. Dr. August Bier (1861-1949), der Sportfunktionär Carl Diem (1882-1962) wurde zum Prorektor ernannt. Später übernahm der Chirurg Prof. Dr. Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) die Leitung der Hochschule, die 1934 geschlossen und ab 1936 durch die dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten (1887-1943) unterstehende „Reichsakademie für Leibesübungen“ des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen ersetzt wurde.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es vor allem von Diem Bestrebungen, das Gelände des vormaligen Reichssportfeldes als Standort für die Humboldt-Universität zu nutzen, wo dann auch der Sport bzw. die Leibesübungen hätten integriert werden können. Diese Überlegungen wurden aber (hochschul-) politisch schnell wieder verworfen. Von 1946 bis 1994 hatten die britischen Alliierten hier ihr Hauptquartier, was bis zum Mauerfall 1989 vollends von der (Berliner) Öffentlichkeit abgeschirmt war.

Nach deren Rückzug wiederum verfolgte der Senat von Berlin kurzzeitig die Idee, die „vereinte“ Berliner Sportwissenschaft (mit den bestehenden Instituten an der Humboldt- und der Freien Universität) als gemeinsamen Standort zusammenzuführen. Auch daraus wurde nichts – mehr noch: Das Institut für Sportwissenschaft der FU, damals eines der größten in Deutschland, wurde zur Jahrtausendwende „ersatzlos“ aufgelöst.

Als „heimliche“ Nachfolgerin der früheren DHfL sieht sich heute die Deutsche Sporthochschule (DSHS) in Köln. Die DSHS nahm am 7. Juli 1947 mit 100 Studierenden ihren Lehrbetrieb in Köln auf. Die Chronik auf der Homepage der DSHS, heute mit mehr als 6.000 Studierenden die mit Abstand größte Einrichtung in Deutschland auf dem Gebiet der Sportwissenschaft, geht bis in das Jahr 1920 zurück und verweist auf die Gründung der DHfL in Berlin.

Das Gelände des Deutschen Sportforums einschließlich des Haus des Deutschen Sports in Berlin in der Hanns-Braun-Straße am Adlerplatz wird inzwischen von verschiedenen Sportverbänden u.a. als Leistungszentrum (z.B. für Modernen Fünfkampf) sowie von einer Eliteschule des Sports und als Trainingsstätte vom Fußball-Bundesligisten Hertha BSC genutzt.

Hier ist derzeit neben der SCC Events GmbH, einer Tochtergesellschaft des Sport-Club Charlottenburg, die u.a. den BERLIN-MARATHON veranstaltet, auch noch das Sportmuseum Berlin untergebracht, dessen zukünftiger Standort am Glockenturm (Nähe Waldbühne) für die museale Nutzung gerade baulich vorbereitet wird.

Ein Nachtrag: Die DHfL hat nicht nur viele bis heute erkennbare sportwissenschaftliche Spuren hinterlassen, sondern sogar literarische – dazu ein Beispiel: In dem Roman „Sportmädel“ aus dem Jahre 1926 von Hugo von Waldener-Hartz (1872-1942) gibt es eine Szene, in der die Studienanwärter im Hörsaal begrüßt und auf die bevorstehenden Aufnahmeprüfungen eingestimmt werden. Dabei soll „gleichzeitig auch das Gesundheitliche nicht aus dem Auge“ verloren gehen: „Denn Ihre körperliche Kraft und Frische, sie sind und bleiben letzten Endes das Wichtigste für uns. Nicht um Höchstleistungen zu erzielen – sie gelingen immer nur einzelnen besonders Begabten -, sondern um ein gesundes Geschlecht heranzubilden, ist unsere Anstalt gegründet worden,“ lauten die Begrüßungsworte des Direktors (Nachdruck aus: 100 Jahre Handball. 50 handverlesene Texte zum Spiel, Hildesheim 2017: arete Verlag).

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

author: GRR