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Vom „Gedächtnis des Sports“ – 15.000 Aktenordner im DOSB-Keller
Wie gut, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nach seiner Gründung vor fast 15 Jahren ein neues, geräumigeres Hauptquartier im Frankfurter Stadtwald hat bauen lassen. Wo sonst als in dem 2016 bezogenen Neubau hätte Ulrich Schulze Forsthövel als Sachwalter vom „Gedächtnis des Sports“ genügend Platz gefunden für die von ihm betreuten rund 15.000 Aktenordner?
Der Bestand vergibt aneinandergereiht bestimmt 1,5 Kilometer, aufbewahrt und gelagert ist er in einem Dutzend langer Roll-Regale im Keller der DOSB-Zentrale. Platz wird hier nicht nur für alle möglichen schriftlichen Unterlagen und Dokumente aus der Geschichte des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland (NOK) und des Deutschen Sportbundes (DSB) sowie für die seit Ende Mai 2006 aufgelaufenen Dokumente des neuen Dachverbandes benötigt.
Ebenso nützlich ist, wenn Interessenten hier die Möglichkeit haben, mit dem Archiv-Material zu arbeiten: Seien es in erster Linie die eigenen DOSB-Mitarbeiter selbst, seien es Sporthistoriker oder andere Wissenschaftler, Buchautoren, Journalisten oder auch Filmemacher und Studenten, die ihre Haus-, Diplom- und Bachelor-Arbeiten schreiben. Sie alle werden im „historischen Sport-Keller“ des DOSB je besser und schneller bedient, je präziser sie ihre Themen zu formulieren wissen. „Unsere Bestände sind zwar noch nicht vollständig inventarisiert, aber wo sich ein bestimmter Ordner oder eine Akte befindet, die gewünscht wird, das wissen wir genau“, sagt Ulrich Schulze Forsthövel. „Als es etwa um eine Studie zum Doping in Deutschland ging, herrschte hier Hochbetrieb. Zwei Forschergruppen aus Berlin und Münster waren damals ein paar Wochen quasi Dauergäste.“
Walther Trögers Nachlass wird beim DOSB zusammengeführt
Die Wissenschaftler konnten seinerzeit auch auf Unterlagen und Material aus den Privatbe-ständen von Walther Tröger zurückgreifen, welche beim „Gedächtnis des Sports“ bereits in den Gesamtbestand integriert sind. Nach dem kürzlichen Ableben des IOC-Ehrenmitglieds steht für Ulrich Schulze Forsthövel nun die Überführung von Teil des Trögerschen Gesamt-Bestandes in die Otto-Fleck-Schneise an. Mit ihm ist der „DOSB-Historiker“ seit fast vier Dekaden, seit seiner Zeit als Geschäftsführer beim Trägerverein des Deutschen Sportmuseums in Köln, eng und zuletzt immer freundschaftlicher verbunden gewesen. Das letzte gemeinsame Telefonat wurde an Heiligabend geführt, sechs Tage bevor Walther Tröger im Alter von 91 Jahren verstarb. Die eine, bereits vorsortierte und aufbereitete Hälfte seines Nachlasses hatte ursprünglich einen Raum mit 4,5 Meter mal 4,5 Meter Grundfläche und einer Höhe von zweieinhalb Metern gefüllt. Weiteres Material von ähnlicher Dimension befindet sich noch im Familienbesitz und soll demnächst in der DOSB-Zentrale zu einem Gesamten zusammengeführt werden und zum Beispiel die noch vorhandenen Lücken im NOK-Bestand füllen.
„Das ist ganz in seinem Sinne und sicher auch im Sinne seiner Familie. Wir waren schon seit über sechs Jahren im Gespräch darüber“, berichtet Ulrich Schulze Forsthövel. Er weiß am allerbesten, welche Arbeit jetzt mit der Übernahme dieses großen Nachlasses von Walther Tröger wartet. Allein aus seinen Perioden beim Internationalen Basketball-Verband FIBA (1964 bis 1994), als Sport-Direktor des IOC (1983 bis 1990), als IOC-Mitglied (1989 bis 2009) und als Präsident des NOK für Deutschland (1992 bis 2002) stammen überreichlich Unterlagen. Für das „Gedächtnis des Sports“ ist es ein wahrer Fundus. Nun gilt es, den beachtlichen Nachlass zu sortieren, zu bewerten und zu inventarisieren. Kurzum: für die Nutzung vorzubereiten. Eine beachtliche Herausforderung, erst recht für einen Einzelnen und erst recht angesichts anderer erschwerender Voraussetzungen. Weil „Mister Olympia“ in seiner langjährigen wie vielfältigen Tätigkeit im und für den Sport mehrmals seine Büros hatte wechseln müssen, hatte das für die „Aktenberge“ spürbare Folgen. „Nicht die Substanz dieser Sachen hat unter den Umzügen gelitten, aber ihre Ordnung“, weiß Ulrich Schulze Forsthövel von den unzähligen, teilweise nur mit einem Jahresvermerk versehenen oder überhaupt nicht beschrifteten Kisten und Kartons. Sie alle werden demnächst auszupacken, zu sichten und zu ordnen sein, bevor die eigentliche akribische Mission des Archivalischen beginnen kann.
Sporthistorische Beratung von Verbänden bis zu Vereinen
Diesen wichtigen wie immensen Nachlass seines „väterlichen Freundes“ zu bearbeiten, wird für den diplomierten Gymnasiallehrer sicherlich die bisher größte Herausforderung in seiner Profession im Dienst der Sport-Geschichte. Nach beruflichen Stationen beim Deutschen Sportmuseum in Köln, bei der Deutschen Olympischen Gesellschaft und dem Hessischen Turnerbund betreut er seit zehn Jahren führend das „Gedächtnis des Sports“. Wobei der 67-Jährige betont, dieses Projekt sei 2009 vom DOSB unter dem allgemeineren Rubrum „Wissens-Management“ ins Leben gerufen worden und sei unter dieser Überschrift entsprechend einzuordnen. Mit dem erklärten Ziel des DOSB, im Umgang mit der eigenen Geschichte als Dachverband des Sports voranzugehen und ganz praktisch dafür zu sorgen, dass den Mitarbeitern im „Haus des Sports“ schnell und effizient dringend benötigte Informationen, Protokolle oder andere Arbeitsmaterialien zur Verfügung stehen.
Zugleich sollen mit dem „Hausarchiv des Sports“ andere Mitglieds-Organisationen zur Nachahmung animiert werden. Sie sollen ihrerseits ähnlich verfahren und die eigenen historischen Wurzeln, die Chronik und die Vita über dem Alltagsgeschehen nicht außer Acht lassen. Entsprechend habe seine Tätigkeit „einen Dienstleistungs-Charakter“, darauf weist Ulrich Schulze Forsthövel ausdrücklich hin. Als eine Art „Wanderprediger“ sei er darum regelmäßig als sporthistorischer Berater mit Funktionären oder Mitarbeitern von Spitzenverbänden bis hin zu Vertretern einzelner Vereine im Gespräch.
Damit auch dort Bestände als sportliches Kulturgut aufbewahrt, gesammelt, gesichtet, geordnet und womöglich eigenständig-professionell archiviert werden wie es der Deutsche Turner-Bund (DTB), der Allgemeine Deutsche Hochschulsport-Verband (adh), der Deutsche Behindertensport-Verband (DBS) oder der Deutsche Kegler- und Bowling-Bund (DKB) bereits praktizierten. Ein gutes Beispiel für die Nutzung moderner Technik sei der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) mit seinem Vorhaben, sein Archiv den Nutzern alsbald digitalisiert zugänglich zu machen.
Hilfe von der Marburger Archiv-Schule ab Herbst
Ab Herbst dürfen die Verbände bei ihren geschichtsträchtigen Vorhaben auf zusätzliche Unterstützung rechnen. Dann sollen bei ihnen regelmäßig junge Leute von der Hochschule für Archiv-Wissenschaft in Marburg anklopfen. Mit der hessischen Archiv-Schule, die neuerdings einen speziellen Ausbildungszweig für sporthistorische Bestände auflegte, wurde eine Kooperati-on vereinbart. Die Studenten aus Marburg sollen für ihr Studium in der sporthistorischen Praxis ordentlich Futter an mehr oder weniger verstaubtem Blattwerk finden. Im Gegenzug begrüßen der organisierte Sport und sein Gedächtnis gern freiwillige Helfer, die sich fachlich versiert an der Erschließung, Auswertung und Archivierung von Akten-Material beteiligen. Zu Neudeutsch eine echte Win-Win-Situation.
Wichtig sei, bei allen Partnern ein Bewusstsein und ein Gespür dafür zu entwickeln, dass selbst im kleinsten Sportverein sportgeschichtliche Schätze schlummern können, lautet die Botschaft von Fachmann Ulrich Schulze Forsthövel. Wo die Kraft für eigene Archive fehlt, könne unter Umständen ein Bestand, für die Auslagerung aufbereitet, anderen Archiven angeboten oder dort einverleibt werden. Warum nicht die Bestände des örtlichen, für die Ortschronik bedeutsamen Sportvereins ins Stadt- oder Heimat-Archiv transferieren? Vom DOSB beispielsweise sei ein geringer Teil von Akten des organisierten Sports aus den 50er und 60er Jahren an das Bundes-archiv überführt worden. Die Einrichtung in Koblenz rangiert in Ulrich Schulze Forsthövels großem Netzwerk weit vorn wie die Deutsche Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sport-archiven und Sportsammlungen (DAGS), ein 2003 gegründeter gemeinnütziger Verein mit derzeit rund 70 Mitgliedern mit Professor Michael Krüger von der Universität Münster an der Spitze.
DOSB-Archiv im eigenen Hause bestens aufgehoben
Der „Herr der Akten“ würde sich freuen, wenn die rund 15.000 Ordner, die gegenwärtig im DOSB-Keller zu begutachten sind, auch fernerhin als geschlossene Sammlung an ihrem Platz im Frankfurter Stadtwald verblieben. Schließlich sei bei Übergabe von Beständen an ein staatliches Archiv stets zu bedenken, dass dann schon mal ein großer Teil davon ausgesondert wird. „Das wäre dann für immer verloren“, so Ulrich Schulze Forsthövel. Allein vor diesem Hintergrund ist das umfangreiche Archiv des DOSB und seiner beiden Vorgänger-Organisationen im eigenen Hause in der Otto-Fleck-Schneise bestens aufgehoben.
Was die NOK-Archivalien im DOSB-Keller anlangt, sind diese bereits weitgehend erfasst und archivarisch aufbereitet. Bei den DSB-Ordnern ist die Inventarisierung Stand heute bis Anfang der 60er Jahre vorangeschritten. Zusätzlich wird nun der umfängliche Nachlass von Walther Tröger zu integrieren sein. Vielleicht mit einem ersten sichtbaren Ergebnis schon im kommenden Jahr anlässlich eines sporthistorischen Jubiläums – zur Erinnerung an sein Bürgermeister-Amt im Olympischen Dorf bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München vor dann genau 50 Jahren.
An Papier, Ordnern, Akten, und historischem Material mangelt es dem „Gedächtnis des Sports“ wahrlich nicht – und seinen Sachwaltern nicht an Arbeit in den nächsten Jahren.
Andreas Müller in der DOSB Presse