Matthias Brandt: Blackbird. Roman. 3. Auflage. Köln 2020: Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Vom Aufwachsen mit Sport in den 1970er Jahren …Das Sportmotiv im neuen Roman „Blackbird“ von Matthias Brandt
Mit dem Namen Willy Brandt (1913-1992) können alle noch etwas anfangen. Willy Brandt war von 1969 bis 1974 der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, und zwar erstmals in einer sozialliberalen Koalition.
Matthias Brandt (geb.1961) ist der jüngste Sohn von Willy. Matthias Brandt kennen auch fast alle. Er ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Matthias Brandt, der in Berlin geboren wurde und in Bonn aufwuchs, hat sich inzwischen aber auch einen Namen als „junger“ Schriftsteller gemacht.
Er debütierte im Jahre 2016 mit dem (Jugend-) Roman „Raumpatrouille“. Jetzt ist „Blackbird“ erschienen. Beiden Romanen gemein ist, dass sie in den 1970er Jahren und in der Hauptstadt der (alten) Bundesrepublik (also in Bonn) spielen und vom Erwachsenenwerden handeln. Bei „Blackbird“ ist der 15-jährige Morten Schumacher, genannt Motte, die jugendliche Hauptfigur und quasi das alter ego vom damals etwa 15-jährigen Matthias.
Und was hat „Blackbird“ nun mit Sport zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts. Wer aber den Roman zu lesen beginnt, der wird immerhin schon auf Seite 9 vorn im erzählerischen Sinne mitgenommen zur anstehenden „Turnierfahrt“ von Morten, der zusammen mit Manfred, seinem besten Freund, den alle nur Bogi nennen, am Samstag zum Fußballturnier aufbrechen wollte. Aber dann beginnt ein ganz anderes Drama, was allerdings nur mit Bogi und nichts mit dem Sport zu tun hat.
Der Autor spielt uns aber zwischendurch immer wieder das Sportmotiv ein. Die „sportbetone“ Schlüsselszene lesen wir in Kapitel 10, ganz genau so etwa ab Seite 132. Wir befinden uns jetzt im Schulsport, zwar nicht direkt in einer Sportunterrichtsstunde von Morten, sondern „bei einer freiwilligen Nachprüfung“ von Mitschüler Walkenhorst, der zu einem 5.000m Lauf antreten möchte, um seine Note zu verbessern. Schlüsselfigur in der Schlüsselszene ist neben Walkenhorst jedoch der alte und strenge Erdkunde- und Sportlehrer Kragler, den uns der Autor Matthias Brandt schon vorher kurz vorgestellt hatte.
In Kraglers Sportunterrichtssunden geht es eigentlich mehr um „Leibesertüchtigung“ – denn wie sagte (nein: „brüllte“) Kragler doch gleich: „So Freunde, Körperschule!“ Und dann mussten alle ihre Runden um den Platz drehen. Und wie begrüßte doch Kragler gleich Morten, wenn dieser mal wieder zu spät kam: „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit, Schumacher“. Kragler hatte einen Spitznamen bei den Schülern. Für sie war er der „Nazikragler“.
Zurück zur Nachprüfung und mitten hinein in das 5.000-m-Rennen von Schüler Walkenhorst: „Walki rannte wie der Teufel, und Kragler war mächtig stolz darauf … Rekord, der Lorbass läuft Rekord … Klingeling, Walkenhorst! Rekord! Letzte Runde, jetzt noch mal Kasalla!“, feuerte ihn Kragler lauthals an. Und dann ereignet sich 50m vor dem Ziel das Unglaubliche: Walki bleibt auf der Zielgeraden einfach stehen, läuft nicht weiter bis in das Ziel. Es kommt zu einem Wortgefecht zwischen ihm und Kragler.
Morten, der das ganze nur beobachtet, bringt die Szene eine Seite später so auf den Punkt: „Walki hat den Kragler besiegt“. Aus dem neuen Stadtrekord, den Kragler sich selbst so gern auf die Fahnen geschrieben hätte, ist nichts geworden. Die verwirkte Leistung von Walki erinnert so ein bisschen an die Schlüsselszene in dem Roman von Alan Sillitoe (1928-2010) über „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“, in dem die Hauptfigur Colin Smith ebenfalls kurz vor dem Ziel als sicherer Sieger einfach ganz langsam läuft und die Konkurrenten an sich vorbeiziehen lässt, ganz zum Entsetzen seines Trainers, dem Heimleiter der Erziehungsanstalt.
Es gibt noch einige andere Stellen im wunderbaren Roman von Matthias Brandt, der kein Sportroman ist, wo der Autor aber immer wieder vom Sport erzählt: mal geht es nur um die Tennisplätze vom THC, wo Jacqueline Schmiedebach spielt, die Morten gern näher kennen lernen möchte, mal geht es um die Wagnis-Verweigerung beim Sprung vom Zehner, der kurzfristig doch wieder hinunter auf den Fünfer verlegt wird, mal wird die Aufführung der Rollstuhlfahrer der „Linedance-Tanzgruppe der Behinderten-Sportgemeinschaft Neuberg e.V.“ plakativ angekündigt etc. etc. Einmal ist es aber auch nur die numerische Nachricht: „Bayern hat drei zu zwei gespielt“.
Apropos Bundesliga-Fußball: Matthias Brandt ist bekennender Fan vom SV Werder Bremen, aber davon zu erzählen, ist dann eine ganz andere Geschichte.
Matthias Brandt: Blackbird. Roman. 3. Auflage. Köln 2020: Kiepenheuer & Witsch. 274 S.; 22,- €
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann