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23
06
2020

Symbolbild - swiss-image.ch/Photo by Andy Mettler

Vielleicht schon in Berlin? Therese Johaug: „Der Marathon sollte mir gut passen“- Von KLAUS BLUME

By GRR 0

Mein Gott, was könnte diese Frau erreichen, würde sie doch nur richtig laufen können? Aber Therese Johaug kann es nicht. Sie setzt entweder mit dem ganzen Fuß oder zuerst mit der Hacke auf, um danach abrupt nach vorn abzurollen.

Jeder Orthopäde würde, ob dieser ungelenken Plackerei, mit Grausen jammern: Sie belastet doch ihre Knie und Hüften in unverantwortlicher Weise. Aber sei‘s drum! Mit dieser unorthodoxen Art erzielte die norwegische Skilanglauf-Olympiasiegerin bei den sogenannten „Impossible Games“ im Osloer Bislett-Stadion über 10 000 Meter mit 31:40,67 Minuten eine Weltjahresbestzeit, und zwar eine, an die bislang auch keine der schnellen Afrikanerinnen heran gekommen ist.

Warum die 31-Jährige trotz allem so schnell das Ziel erreicht hat? Die Schwedin Kajsa Bergqvist, ehedem Weltrekordlerin im Hochsprung, jetzt als Leichtathletik-Expertin beim Schwedischen Fernsehen (SVT) hoch angesehen: „Nur wenige auf der Welt haben die Lungen- und Herzkapazität, die Johaug besitzt. Sie hat nicht die echte Lauftechnik der Leichtathleten, aber sie hat einen unglaublichen Antrieb und sie wiegt fast nichts. Mit diesem Pfund wuchert sie.“ Sie habe überdies gehört, dass Therese Johaug am liebsten bei den Leichtathletik-Europameisterschaften 2022 in München starten möchte, doch ob das ihre Ski-Vertragspartner zulassen?

Käme es so, auf welcher Strecke würde sie dann in München starten? Der frühere norwegische Skilanglauf-Weltmeister Pal Gunnar Mikkelsplats (1982, 1985) sagt dazu im renommierten Osloer „Dagbladet“: „Therse hat eine enorme Kapazität. Sie kann sie umso mehr nutzen, je länger ein Rennen dauert. Gleichzeitig wird es schwierig sein, eine neue Top-Karriere zu starten, wenn man eine andere abgeschlossen hat.“ Therese Johaug sieht es ähnlich: „Nach meinem Erfolg im Bislett-Stadion möchte ich nun endlich eine längere Strecke testen. Der Marathon sollte mir gut passen – aber erst wenn meine Ski-Karriere vor bei ist.“

Und diese könnte sich, nach dem Willen ihrer wichtigsten Vertragspartner im Wintersport, noch bis zu den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking fortsetzen. Oder doch nicht?
Immerhin hat die Einkommens-Millionärin Therese Johaug auf jenen Brettern, die ihr bislang alles bedeutet haben, auch alles gewonnen, was es im Skilanglauf zu gewinnen gibt: Sie war 2010 Olympiasiegerin; sie erkämpfte 10 Weltmeistertitel, gewann dreimal den Gesamt-Weltcup und triumphierte in 38 (!) Weltcup-Einzelrennen – und zwar derart spielerisch und überlegen, dass der gesamten Konkurrenz schwindelig wurde.
Dass sie am 13 Oktober 2016 wegen der Benutzung einer Sonnencreme, die das Dopingmittel Clostebol enthielt, achtzehn Monate lang gesperrt wurde, hat sie zu keiner Zeit aus der Bahn geworfen. Ihre Popularität blieb selbst in jener Zeit in Skandinavien ungebrochen – und ihre Werbepartner hielten fest zu ihr.
Doch zurück zu Thereses verrückten Ausflug in die Leichtathletik, zu ihrer 10 000-Meter-Zeit von 31:40,67 Minuten. Es war ein Lauf, ganz und gar allein, ohne Konkurrenz aber auch ohne vorgespannte „Hasen“. Ein Lauf, in welchem sie keine Spikes, sondern Schuhe trug, die an jene Konstruktionen des Hauses Nike erinnerten, in denen die kenianischen Marathon-Spezialisten zu ihren Fabelzeiten gestürmt sind.
Beobachtet wurde sie dabei von einer anderen berühmten Norwegerin, von Ingrid Kristiansen, der 10 000-Meter-Welt- und Europameisterin von 1988 und 1986. Auch die Kristiansen gehörte einst als Skilangläuferin der norwegischen Nationalmannschaft an, bevor sie sich endgültig der Leichtathletik zuwandte.
Warum, fragte sie, sollte sich Therese Johaug erst nach Beendigung ihrer Ski-Karriere ernsthaft dem Langlauf zuwenden? Beides könne sie doch durchaus jetzt schon, gewinnbringend, miteinander verbinden.
Denn mit ihrer Zeit von 31:40,67 Minuten habe sie sich weit unter Wert verkauft, behauptet auch der Finne Harri Kirvesniemi, 1989 Weltmeister im 15 Kilometer Skilanglauf. Kirvesniemi, Ski-und Leichtathletik-Experte des finnischen Boulevardblattes „Ilta-Sanomat“ schätzt, Therese Johaug hätte, mit Spikes bewehrt und von „Hasen“ klug geführt, „bequem“ eine Zeit von 31:15 Minuten erzielen können. Er wisse, über was er rede, immerhin habe er 1981, nur in Turnschuhen und ohne spezielle Vorbereitung, die 5000 Meter in 13:54 Minuten zurück gelegt.
Therese Johaug kontert derartige Hochrechnungen so: „Ich habe im Bislett-Stadion kein Rennen bestritten! Das möchte ich mal gerade rücken. Es war lediglich ein Rekord-Test in eigener Sache.“ Und dann: „Aber ich muss jetzt irgendwann einmal einen Marathonlauf bestreiten.“
Natürlich dort, wo man besonders schnell laufen könne. Sonst habe die Sache ja keinen Sinn. Also in Berlin? Sie schweigt. Und wann wird es geschehen? „Wenn ich die Ski ins Regal gestellt habe.

Also nächstes Jahr? Sie lächelt – und schweigt.

Klaus Blume
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