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22
05
2018

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold ©privat

Veränderte Bewusstseinszustände und Langstreckenlauf – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Veränderte Bewusstseinszustände können entweder natürlich auftreten oder künstlich erzeugt werden und physisch oder psychisch begründet sein (Stoll et al. 2010).

Auslöser sind:

  • körpereigene Substanzen (Neurotransmitter, Endorphine, Endocannabinoide),
  • veränderte Aktivitätsmuster in bestimmten Hirnarealen,
  • Gehirnschädigungen,
  • psychische Erkrankungen,
  • Psychopharmaka und Drogen,
  • gezielte Aktivitäten (bewusste Atmung, Musik, Askese, Fasten, Hypnose, Meditation, Yoga, sportliche Aktivität u.a.)

Es gibt keinen generellen zentralnervösen Mechanismus für die verschiedenen Formen von veränderten Bewusstseinszuständen (Vaitl 2012).

Laufen kann verschiedene Formen der Bewusstseinsveränderung hervorrufen, die Überlappungsbereiche zeigen und nicht streng voneinander zu trennen sind. Die neurobiologischen und psychologischen Vorgänge sind erst in Ansätzen bekannt.

Endorphine und Runners High

Erstmals nachgewiesen wurden Endorphine 1975 von John Hughes und Hans Kosterlitz im Zwischenhirn des Schweins. Endorphine sind kurze Neuropeptide, vom Körper selbst im Gehirn gebildete endogene Morphine. Sie docken im Gehirn an die gleichen Rezeptoren an wie Opiate, was berauschende und euphorische Gefühle („Glückshormone“) auslöst.

Endorphine

  • regulieren Triebe und Gefühle,
  • unterdrücken Schmerzen,
  • beeinflussen Blutdruck, Hungergefühl, Darmtätigkeit und Atmung.

Auch auf die Produktion von Sexualhormonen sollen die Endorphine Einfluss nehmen. Endorphine sollen vor allem in Stress- und Notfallsituationen aktiviert werden und dafür sorgen, dass man bei Verletzungen keine oder weniger Schmerzen verspürt. Eine vermehrte Ausschüttung soll nach einem intensiven oder längeren aeroben Ausdauertraining erfolgen.

Aber auch positive Erlebnisse („Eustress“) und körperliche Anstrengungen wie Langstreckenlauf sollen durch die Ausschüttung von Endorphinen einen angenehmen Zustand (Runners High) hervorrufen. Jedenfalls wurden in den frühen 1980er-Jahren endogene Opiate und Neurotransmitter für diesen Zustand verantwortlich gemacht. Allerdings darf man das Runners High nicht auf die Endorphine reduzieren.

Das ist ein komplexeres Phänomen, das sich besonders im Mentalen abspielt und nicht gelöst ist. In den 1990er-Jahren dominierten kognitive Erklärungsmodelle (z.B. Ablenkung).

Als Voraussetzung zum Anstieg der Endorphine muss entweder die Belastungsintensität so hoch sein, dass ein Laktatwert von 4 mmol/l überschritten wird oder aber eine längere Belastungsdauer vorliegt (Hollmann und Strüder 2009). Wie Endorphine wirken, ist nicht vollständig geklärt. Sie sollen im Rückenmark durch hemmende Wirkung die Schmerzleitung unterbrechen und auch am vegetativen Nervensystem eingreifen.

Endorphine führen außerdem zu einer vermehrten Ausschüttung von Dopamin. Die Wirkung der Akupunktur soll teilweise auf die Aktivierung der Endorphine zurückzuführen sein.

Mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) konnte Prof. Boecker (TU München) zeigen, dass es nach einem 2-stündigen Langstreckenlauf  zu einer vermehrten Endorphinfreisetzung im Bereich des Frontallappens der Großhirnrinde und des limbischen Systems kommt (Boecker et al. 2008). Diese beiden Teile sind wichtig für die emotionale Verarbeitung. Übrigens sollen auch beim Lachen Endorphine ausgeschüttet werden.

Manche Sportler berichten, dass sie während oder nach einem anstrengenden Lauf zwar erschöpft waren, aber sich auch in einem rauschähnlichen Zustand befanden. Ob dies allerdings nur durch die Endorphine verursacht wird, ist umstritten. Endorphine scheinen Extrembelastungen erträglicher zu machen, was aber nicht dazu führt, dass man mühelos und ohne jegliche Strapazen die Strecke bewältigt (Aderhold 2018).

Suchtgefahr?

Auch die Frage, ob Endorphine eine suchtauslösende Wirkung haben können, konnte bisher nicht geklärt werden. Eine Erhöhung der Endorphinkonzentration soll erst nach einem mehrmonatigen Training eintreten. Aber selbst dann ist das Runners High nicht vorprogrammiert. So manch ein Läufer wird sein ganzes Leben für diesen Zustand rennen und das Runners High trotzdem nie erleben.

Neuere Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass auch intensive sportliche Betätigung nicht mit einer Erhöhung der Endorphinkonzentration einhergehen muss. Die Theorie, dass man durch Sporttreiben einen Rausch erzeugt und damit eine Sucht auslöst, ist nicht haltbar. Runners High kann man nicht auf die Endorphine reduzieren. Es ist auch nicht gesichert, dass Endorphine euphorische Stimmungsveränderungen durch Sport erklären (Stoll 1997; Stoll u. Rolle 1997). Aber es ist vorstellbar, dass Schmerzen durch Endorphine reduziert werden, was indirekt  mit dem Runners High verbunden ist.

Die Zusammenhänge scheinen doch komplexer zu sein. Auch wer nur 3-mal in der Woche eine halbe Stunde joggt, kann durchaus ein Runners High erleben und das hat dann nichts mit Endorphinen zu tun. Der Sachverhalt, dass Runners High häufiger im Wettkampf als im Training und dort stärker in Ziel-Nähe als im Wettkampfverlauf und oft erst nach dem Wettkampf auftritt, weist auf die Bedeutung von Kognitionen (Bewertung des Handlungsergebnisses) hin (Stoll et al. 2010).

Laufen stellt neuronal eine sehr komplexe Aktivität dar und so ist anzunehmen, dass es dabei auch zu Veränderungen in verschiedenen Neurotransmitter-Sytemen (Endorphine, Endocannabinoide, Serotonin, Dopamin, Noradrenalin) kommt (Stoll und Ziemainz 2012).

Flow

Geistige Prozesse, wie durch den Begriff „Flow“ beschrieben, scheinen eine besondere Bedeutung zu haben. Die Theorie besagt, dass in diesem Zustand ein Teil des Großhirns abgeschaltet wird und kognitive Vorgänge ausgeblendet werden. Dieses Herunterregulieren des Stirnlappens (Transiente Hypofrontalitätstheorie), der für das Funktionieren der höheren, kognitiven Zentren zuständig ist, kann einiges von dem beschriebenen Phänomen des Runners High erklären (Dietrich 2003, 2004, 2006; Dietrich u. Sparling 2004; Stoll et al. 2010): Schmerzlinderung, Verlust der Wahrnehmung von Zeit und Raum, fließende Aufmerksamkeit und ein Gefühl der Enthemmtheit.

Da körperliche Aktivitäten sehr hohe Anforderungen an die Informationsverarbeitung im sensorischen, motorischen und autonomen System stellen, kommt es zur Hemmung von Arealen, die weniger aufgabenrelevant sind. Es dominieren dann die Bereiche, die für Automatismen zuständig sind, der Läufer ist reflexionsfrei und hat den Eindruck, sich von ganz allein fortzubewegen. Dabei laufen ähnliche Vorgänge ab, wie bei einer Meditation. Man ist mental fokussiert, voller Tatkraft, aber gleichzeitig körperlich entspannt, alles läuft automatisch und mühelos (Draksal 2007; Engeser 2012).

Im Flow-Zustand werden die maximale Konzentration und damit die Grundlage für eine Spitzenleistung erreicht.

Unter Flow versteht man das Gefühl der Leichtigkeit und dem völligen Aufgehen in einer Tätigkeit. Es liegt eine Art rauschähnlicher Zustand vor, bei dem Körper und Geist mühelos zusammenwirken. Die Bezeichnung geht auf die Beschreibung von Csikszentmihalyi (Csikszentmihalyi 1975, 1990, 2000) zurück. Als Bedingungen für einen Flow-Zustand nennt er:

  • Ziel (die Tätigkeit muss sich auf ein klar definiertes Ziel beziehen),
  • Balance (es muss eine Balance zwischen Fertigkeiten und Herausforderungen bestehen),
  • Feedback (Rückmeldung, ob die Anstrengung verstärkt oder verringert werden muss).

Die Flow-Merkmale sind:

  • fokussierte Aufmerksamkeit,
  • Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein,
  • Gefühl der Kontrolle,
  • Verschwinden des Ichbewusstseins,
  • verzerrtes Zeitgefühl und
  • intrinsische Motivation (Autotelie).

Menschen, die leichter in den Flow kommen (Flow-Persönlichkeit) sind:

  • engagiert und zielorientiert,
  • intrinsisch motiviert (selbstbestimmt),
  • mit hohem Selbstwertgefühl (Überzeugung der eigenen Erfolgsfähigkeit),
  • optimistisch,
  • haben eine internale Kontrollüberzeugung (Überzeugung der Kontrolle über die Ereignisse im eigenen Leben),
  • sind meisterungsorientiert (Konzentration auf das Meistern neuer Fertigkeiten und den Prozess nicht das Ergebnis),
  • annäherungsmotiviert (Streben nach verbesserten Fähigkeiten und persönlichem Wachstum),
  • sehr gewissenhaft (selbstdiszipliniert, zuverlässig, ambitioniert, organisiert, initiativ) und
  • wenig neurotisch (emotionale Labilität, Angst, Nervosität, Passivität).

Csikszentmihalyi nannte Menschen mit diesen Eigenschaften autotelische Persönlichkeiten. Meist handelt es sich dabei um positiv strebende Perfektionisten, die Herausforderungen suchen und Fehler bzw. Misserfolge als Lern- und Wachstumsmöglichkeit sehen. Demgegenüber zeigt der selbstkritische Perfektionist ein vermeidungsorientiertes Verhalten mit dem Streben, Fehler zu vermeiden.

Laufen!… durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer –  Lutz Aderhold / Stefan Weigel

 „Oft gleite ich dahin, habe ein wundersames Gefühl vom Fliegen, bewege mich in einer Zwischenwelt, spüre so etwas wie die Leichtigkeit des Seins“ (Viktor Röthlin – Marathon-Europameister 2010; Däpp et al. 2010). Ein Flow-Zustand wird allgemein als angenehm und emotional positiv erlebt und mit Begriffen wie Freude, Stärke, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Wohlbefinden und Glücklichsein beschrieben.

Im Flow treffen Aufmerksamkeit, Motivation und Umgebung in Harmonie zusammen, wobei die Zeitwahrnehmung sich verändert.

Die Tätigkeit, z.B. das Laufen, geht wie von selbst, Herausforderung und Können befinden sich in Balance. Nicht mehr Sie laufen dann, sondern „Es“ läuft mit Ihnen. Voraussetzung ist eine gewisse Routine, so dass die Tätigkeit ohne Kontrolle wie von selbst abläuft. Dabei können situativ nur einzelne Flow-Komponenten mal mehr oder weniger intensiv oder häufig erlebt werden (Engeser 2012).

Flow gilt als hochgradig funktionaler Zustand, der sich positiv auf die Leistung auswirkt (Engeser 2012; Csikszentmihalyi et al. 2018). Dies konnte auch für verschiedene Sportarten nachgewiesen werden (Jackson u. Roberts 1992; Jackson et al. 1998). Studien mit Marathon- und Ultraläufern (Doppelmayr et al. 2005; Stoll u. Lau 2005; Schüler u. Brunner 2009, Wollseiffen et al. 2016) konnten ein Flow-Erleben registrieren, aber keinen Zusammenhang zur Leistung. Ufer (2017) konnte für Ultramarathon-Läufer nachweisen, dass bei optimaler Passung von Anforderungen und Fähigkeiten die höchsten Flow-Werte erzielt werden und damit die zentrale Annahme der Flow-Theorie für den Langstreckenlauf bestätigen. Je größer die Über-/Unterforderung war, desto stärker fielen die Flow-Werte ab. Außerdem korrelierte die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung sowie die objektive Laufleistung ebenfalls mit der Flow-Intensität.

Leider handelt es sich beim Flow nicht um einen Dauerzustand, sondern das Gefühl stellt sich nur temporär und in den meisten Fällen rein zufällig ein. Dieses Erlebnis lässt sich auch nicht erzwingen oder verlässlich vorhersagen. Experimentelle Untersuchungen haben aber gezeigt, dass Flow mit einem beanspruchungsgesteuerten Training bzw. Suggestion erzeugt werden kann (Reinhardt et al. 2006 u. 2008; Stoll u. Ziemainz 2009; Youssef 2013; Ufer 2017). Zwischen dem Einsatz von psychologischen Strategien und dem Flow-Erleben gibt es einen positiven Zusammenhang. Je öfter Emotions- und Gedankenkontrolle, Aktivierungs- oder Entspannungstechniken angewendet werden, desto häufiger und intensiver kommt es zum Flow-Erleben (Jackson 1995; Jackson et al. 2001).

Wie oft und intensiv wir Flow erleben hängt von vielen Faktoren ab, die Sie selbst beeinflussen können (Ufer 2017):

  • guter Trainingszustand und ausreichend Schlaf,
  • Vermeidung von Störungen durch technische Geräte,
  • Anpassung der Anforderung an die Fähigkeiten,
  • Nutzung mentaler Techniken.

Menschen mit einer guten Absorptionsfähigkeit, d.h. der Fähigkeit Ablenkungen auszublenden und sich zu fokussieren, gelangen eher in einen Flow-Zustand. Diese Fähigkeit kann durch gezielte Übungen verbessert werden (Swann et al. 2012; Vaitl 2012; Csikszentmihalyi et al. 2018).

Insbesondere Achtsamkeitstraining und Meditation helfen Ihnen, Ihre Aufmerksamkeit zu bündeln und aufrechtzuerhalten (s.u.).

Flow stellt sich am ehesten dann ein, wenn Fähigkeiten und Erwartungen im Einklang stehen (Kogler 2006, Draksal 2007). Eine zu niedrige Anforderung ist genauso wenig Flow-förderlich wie ein Zuviel an Stress (Ufer 2017; Csikszentmihalyi et al. 2018). Förderlich ist auch die Erinnerung an dieses ganz spezielle Feeling, eine klare Zielvorstellung und eine gewisse Lockerheit.

Flow-Erlebnisse sind angenehme und schöne Momente, an die man sich gerne erinnert und die ein Verlangen nach Wiederholung hervorrufen (Csikszentmihalyi u. Csikszentmihalyi 1991; Rheinberg et al. 2007; Partington et al. 2009; Vaitl 2012). Sie ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Können, Konzentration, starkem Interesse und hohen Anforderungen (Csikszentmihalyi u. Jackson 2000; Rheinberg 2004). Flow kann somit zu einem wichtigen Tätigkeitsanreiz, zu einer Motivationsquelle, die entsprechende Tätigkeit wie das Laufen immer wieder auszuführen, werden (Ufer 2017; Csikszentmihalyi et al. 2018).

Flow setzt eine aktive Tätigkeit voraus. Es ist das Glück der Selbstvergessenheit, wenn man eins wird mit der Tätigkeit (Csikszentmihalyi 2017). Flow passiert dann, wenn eben alles zusammenpasst und man mit Freude in seiner Tätigkeit aufgeht. Nur wenn man sich auf das momentane Tun konzentriert und nicht über Vergangenes nachgrübelt oder sorgenvoll in die Zukunft blickt, kann sich dieses Glücksgefühl einstellen. Manchmal ist es hinderlich, überhaupt etwas zu denken. Dann stellt sich ein Automatismus ein und man geht in der Bewegung einfach auf, alles scheint dann völlig mühelos (Aherne et al. 2011). Stefan Klein, der Autor des Buches „Die Glücksformel“ (Klein 2003) bekannte auf die Frage, was er nach allen Studien zum Thema Glück an seinem Leben geändert habe: „Ich bewege mich mehr“.

Trance

Seit alters her ist im Rahmen von rituellen Handlungen die rhythmische Stimulation (Trommel- und Tanzrhythmen) als eine Methode bekannt, veränderte Bewusstseinszustände herbeizuführen (Vaitl 2012). Ähnliche Reaktionen sind auch vom Techno-Tanz bekannt. Es treten außergewöhnliche  Gefühle von Leichtigkeit, Wärme, Energie, Glück, Freude und Ekstase auf. Diese Erlebnisse fasst man unter dem Begriff „Trance“ zusammen.

Trance (lat. Transitus = Übergang) ist eine zeitlich umschriebene Veränderung des Bewusstseins oder ein Verlust des Gefühls der eigenen Identität. Durch Konzentration auf einen Vorgang bei gleichzeitiger Entspannung und unter Ausschaltung des logisch-reflektierenden Verstandes kommt es zur Einengung der Wahrnehmung der unmittelbaren Umgebung sowie stereotypen Verhaltensweisen oder Bewegungen, die außerhalb der eigenen Kontrolle erlebt werden. Das Zeit- und Schmerzempfinden ist eingeschränkt und es können Halluzinationen auftreten.

Trance ist generell kein scharf abgegrenztes Phänomen sondern stellt ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe von induzierten Bewusstseinsveränderungen dar. Die Übergänge vom normalen Wachzustand zu verschiedenen Tracetiefen sind fließend. Für den Läufer sind die visuelle Imagination im Tagtraum, Selbsthypnose und autogenes Training sowie Atementspannung und Meditation von Bedeutung. Autosuggestive Techniken sind wichtige Teile des mentalen Trainings und regenerativer Maßnahmen.

Rhythmische Bewegungen des gesamten Körpers spielen eine große Rolle bei der Trance-Induktion. Als physiologischer Mechanismus, der hinter dem Zusammenhang zwischen Rhythmus und Trance-Zustand steht, wird eine Synchronisation von motorischen, respiratorischen, kardiovaskulären und elektrokortikalen Prozessen angenommen. Gerade lang anhaltende motorische Aktivitäten, wie sie beim Ultralauf auch in Kombination mit Schlafentzug (24h-Lauf) sowie Hitze-, Kälte und Schmerzreizen auftreten, können einen tranceähnlichen Zustand hervorrufen.

Eine Bewältigungsstrategie, um schwierige Situationen im Wettkampf und Training stellt die Dissoziation dar, bei der man sich gedanklich in eine andere Umgebung begibt. Man stellt sich z.B: vor, dass man an einem schönen Strand läuft (visuelle Imagination – Tagtraum) und versucht, die schönen Bilder wie in einem Film vorbeiziehen zu lassen. Durch diese Ablenkung werden Strapazen, Schmerzen und die empfundene Beanspruchung reduziert, was die Leistungsfähigkeit stabilisiert (Masters u. Ogles 1998).

Bei der Selbsthypnose versetzt man sich ohne Unterstützung von außen selbst in Trance. Dabei wird  der Aufmerksamkeitsfokus mit allen Sinnen auf eine entspannende Erinnerung oder Imagination gelenkt. In der Entspannungstrance können Sie entweder die Ruhe genießen oder mit Autosuggestionen an sich selbst arbeiten. Selbsthypnose hat viele Facetten. Autogenes Training und die Meditation stellen weitere Formen der Selbsthypnose dar.

Stress und permanente Hektik lassen uns häufig auch nachts nicht zur Ruhe kommen. Die Gedanken kreisen dann um die immer gleichen Probleme. Am liebsten möchte man einen Schalter umlegen und einschlafen. Bei unserem Alltagsbewusstsein haben unsere Gehirnströme eine Frequenz von 13 bis 21 Herz (Beta-Zustand). Entspannung erlangt unser Körper, wenn die Frequenz bei 8 –12 Herz (Alpha-Zustand – leichte Entspannung) oder 3 – 8 Herz (Theta-ZustandMeditation – tiefe Entspannung) liegt.

Es gibt aber einige Techniken, die es uns erlauben, auch tagsüber den Alpha-Zustand zu erreichen und abends das Einschlafen fördern. Eine Methode ist, sich auf die Atmung zu konzentrieren. Der Atem gilt als ein neutrales Meditationsobjekt. Dazu setzt man sich hin, schließt die Augen und achtet auf eine langsame und gleichmäßige Atmung. Durch die Nase langsam und vollständig einatmen. Dann bei leicht geschlossenen Lippen den Atem ganz langsam ausströmen lassen, bis die Einatmung durch die Nase wieder reflexartig erfolgt. Die Konzentration ist dabei nur auf den Atemrhythmus gerichtet, man stellt sich vor, dass mit jedem Ausatmen ein wenig vom Stress verfliegt.

Hören Sie einfach auf zu denken. Aufkommende Gedanken registrieren Sie, ohne sie zu bewerten und kehren wieder zur Konzentration auf die Atmung zurück. Genauso machen Sie es mit Gefühlen, die möglicherweise auftauchen. Ohne Bewertung haben Emotionen wenig Macht.

Eine weitere Technik ist die Verwendung eines Kunstwortes (Mantra). Dabei wiederholt man ständig ein monotones Wort, das absolut ohne Sinn ist. Alle anderen Gedanken werden dabei abgewiesen und immer wieder zu dem Kunstwort zurückgekehrt. Nach einer gewissen Zeit spürt man förmlich die Stille um sich herum, man fühlt Leere und Entspannung.

Die Konzentration auf körperliche Vorgänge (Atem) oder ein bestimmtes Wort bezeichnet man als Achtsamkeit, ein zentraler Punkt aller Praktiken der Meditation (Kabat-Zinn 2001; Hilbrecht 2010; Ott 2010; Huppertz 2011; Burkhard 2012, Vaitl 2012). Jon Kabat-Zinn ist der Begründer der Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) bzw. „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“. Diese Form der Meditation stellt eine konzentrative Meditationstechnik ohne Bewegung dar.

Achtsamkeit ist ein nichtwertender Bewusstseinszustand des gegenwärtigen Moments.

Achtsamkeit lässt Sie im Hier und Jetzt lebendig sein. Es ist die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment, ohne eine Bewertung vorzunehmen. Durch Bewertung werden unser Blick und unsere Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Achtsamkeit in Kombination mit Humor verhindert, dass wir uns und unsere Probleme allzu wichtig und ernst nehmen (Metzner 2013). Bedrohlichen Situationen wird dadurch der Schrecken genommen. Meditation vermindert nämlich die Sympathicusaktivität und erhöht jene des parasympathischen Nervensystems, was mit zunehmender Gelassenheit verbunden ist. So konnte man bei Meditierenden einen Substanzabbau im rechten Mandelkern (Amygdala) nachweisen, der mit einem verminderten Stresserleben korrelierte. Der Mandelklern ist unsere emotionale Zentrale für Angst- und Ärgerreaktionen (Rüegg 2011, 2013).

Durch ein achtsamkeitsbasiertes Training können die Fähigkeit zur Regulation von Emotionen, die Konzentrationsfähigkeit sowie der Flow-Zustand im Sport beeinflusst werden (Jekauc u. Kittler 2015; Jekauc et al. 2017; Ufer 20s17; Csikszentmihalyi et al. 2018). Achtsamkeitsbasierte Meditation hat sehr positive Auswirkungen auf unsere Zellen, die Telomer-Reparaturmechanismen werden verbessert (Epel et al. 2009; Jacobs et al. 2011; Carlson et al. 2015).

Wenn wir Zufriedenheit erreichen und im gegenwärtigen Moment leben wollen, müssen wir loslassen lernen. Ziel der Übungen ist deshalb die Unterdrückung gewohnter Denkverläufe und die Befreiung des Bewusstseins von eingeschliffenen Anschauungen sowie die Förderung der Konzentrationsfähigkeit. Dabei beobachten wir, ohne zu bewerten und konzentrieren uns auf den Augenblick der Wahrnehmung.

Die Schulung der Achtsamkeit führt zu einer neuen Sichtweise, weil sie dem Meditierenden die Kraft und Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks erschließt. Der gegenwärtige Augenblick ist die Zeit, in der wir leben. Vergangenes ist vorbei, Zukünftiges noch nicht geschehen. Die Bereitschaft, im Augenblick zu leben („live now“) fördert ganz allgemein unsere Gesundheit, fördert eine innere Ruhe und Gelassenheit. Auch mit Musik lässt sich dieser Zustand erreichen.

Alle Techniken sollten Sie tagsüber im Sitzen anwenden, denn im Liegen besteht die Gefahr, dass Sie einschlafen. Das Wichtigste ist, dass Sie sich dabei wohlfühlen und ungestört sind. Wählen Sie einen Platz, der Sie innehalten und Zur Besinnung kommen lässt. Schon nach einer relativ kurzen tiefen Entspannungsphase im Alpha-Zustand fühlen Sie sich erfrischt und geistig erholt.

Untersuchungen mit Kernspin haben gezeigt, dass Meditierende einen besonders aktiven linken präfrontalen Gehirnlappen besitzen, den Teil des Gehirns für eine positive Grundstimmung. Der Hippocampus, verantwortlich für Lernvorgänge, Gedächtnis und Verarbeitung von Emotionen, ist vergrößert, die Amygdala, ein Gebiet, was Angst und Stress kontrolliert, ist verkleinert  (Strunz 2012). Außerdem zeigt sich ein Anstieg von hochfrequenten Gammawellen, ein Zeichen für erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration. Meditierende haben weniger Stresshormone (Adrenalin und Kortisol) und mehr Antikörper im Blut. Meditation beruhigt das vegetative Nervensystem und senkt den Blutdruck. Regelmäßige Meditation erhöht die psychische Fähigkeit, mit Druck, starken Belastungen und herausfordernden Situationen besser umzugehen.

Meditationen mit Bewegung stellen Tai Chi und Qi Gong dar. Auch Die gleichmäßige Bewegung des Laufens unterstützt die Meditation. Laufen Sie ohne Ziel und Absicht und bleiben Sie im Hier und Jetzt. Finden Sie Ihren Rhythmus und gönnen Sie sich Langsamkeit. Fühlen Sie den Atem, das Herz, die Muskeln und die einzelnen Schritte. Nehmen Sie die Natur mit allen Sinnen wahr (Mipham 2013; Dudney 2017).

Fazit:

Veränderte Bewusstseinszustände treten im Langstreckenlauf spontan auf und können situativ bewusst herbeigeführt werden. Als Teil des mentalen Trainings und regenerativer Maßnahmen sind sie Bestandteil eines komplexen Trainingsprogramms.   

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

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Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

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author: GRR