Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Unter Verdacht – Sportvereine sollen sich künftig registrieren – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Sportvereine sollen sich künftig registrieren, gegen Gebühr und unter Strafandrohung – für den Kampf gegen Geldwäsche. Auf die ehrenamtlich Engagierten kommt noch mehr Bürokratie zu.
Muss das sein? Und: Wem nützt das?
Im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung hat Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz einige Millionen Verdächtige ausgemacht: die Vorstände von rund 600 000 gemeinnützigen Vereinen, unter ihnen 90 000 Sportvereine. Der Entwurf des Gesetzes, mit dem er ihnen das Handwerk legen will, geht an diesem Mittwoch im Deutschen Bundestag in die erste Lesung.
Die rund 30 Millionen ehrenamtlich Engagierten in Vereinen und Verbänden sind auf der Palme. Nicht der unsinnige Verdacht empört sie, sondern die sinnlose Bürokratie – die ihnen ausgerechnet in einer Krise aufgebürdet wird, in der das Coronavirus Gemeinsamkeit und Gesellschaft, von Training und Spielbetrieb zu schweigen, seit gut einem Jahr verhindert.
„In dieser Zeit zeigt sich, wie sehr gesellschaftlicher Zusammenhalt eine gelebte Einstellung und Tugend ist“, schreiben deshalb die großen Organisationen der Zivilgesellschaft in einem Brandbrief an Scholz; neben dem Bündnis für Gemeinnützigkeit, dem Deutschen Kulturrat, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement sind dies auch der Deutsche Olympische Sportbund und die sechzehn Landessportbünde: „Nichts wäre schädlicher, als die organisierte Zivilgesellschaft, die Infrastrukturen von Engagement und gesellschaftlichem Zusammenhalt, gerade jetzt zu schwächen!“
Das geplante Gesetz zur europäischen Vernetzung der Transparenzregister und zur Nutzung von Finanzinformationen für die Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen schweren Straftaten schafft ein neues Vollregister, in das sich die Vereine, zusätzlich zum Vereinsregister an den Amtsgerichten, eintragen lassen müssen – gegen Gebühr, auch für die vergangenen Jahre, und bei Strafe für Unterlassung. Die Organisationen beklagen „bürokratiegewordenes Misstrauen“. Mehr als die Hälfte der Vereine in Deutschland haben Jahreseinnahmen von weniger als 10 000 Euro; die meisten verfügen nicht einmal über eine hauptamtlich besetzte Geschäftsstelle.
Das Modell des gemeinnützigen Vereins, wie er in Deutschland staatlich gefördert wird, ist zudem im Rest Europas unbekannt – was den Eifer, es einer europäischen Regelung zu unterwerfen, die für Unternehmen geschaffen wurde, geradezu absurd erscheinen lässt. „Die demotivierende Wirkung durch das Misstrauen und die unverhältnismäßige Bürokratisierung konterkarieren jegliche Bemühung um eine Anerkennungskultur für bürgerschaftliches Engagement“, klagen die Organisationen.
Dabei heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom März 2018: „Ein starkes Ehrenamt und ausgeprägtes bürgerschaftliches Engagement sind Markenzeichen unseres Landes.“ Als tragende Säule eines lebendigen und funktionierenden Gemeinwesens wird das Ehrenamt gelobt, das Anerkennung und Wertschätzung verdiene und deshalb mit Entbürokratisierung und gesetzlichen wie steuerlichen Erleichterungen gefördert werde. Diesem Geist ist die Anhebung von Steuerfreibeträgen entsprungen sowie die Gründung der Stiftung für Engagement und Ehrenamt in Neustrelitz mit einem Etat von 30 Millionen Euro und 75 Beschäftigten.
Und nun dies. „Hier werden Ehrenamtliche sinnlos mit Bürokratie belastet, verunsichert und demotiviert“, schimpft der Bundestagsabgeordnete Frank Steffel von der CDU. Der Unternehmer ist einerseits Finanzpolitiker, andererseits Präsident des Sportvereins Reinickendorfer Füchse Berlin. Ihn ärgert die Summe der Zumutungen für Ehrenamtler. „Viele Menschen engagieren sich gern, wenn sie den Eindruck haben, dies ist sinnvoll“, sagt er. „Wenn sie aber den Eindruck bekommen, dass sie fünfzig Prozent ihrer Zeit für Bürokratie oder den Papierkorb arbeiten, beenden sie ihr Engagement. Das darf nicht passieren.“
Ob Transparenzregister, Steuerprüfung durchs Finanzamt, Werbeverbot für Krankenkassen – für Steffel ist das Maß voll: „Ich habe den Eindruck, dass der Sport schlechter angesehen ist und schlechter behandelt wird aufgrund von Vermutungen, die mit dem wahren Leben in Sportvereinen nichts zu tun haben.“
Mahmut Özdemir, sein Kollege von der SPD, macht einen Spagat zwischen Parteidisziplin und Vertretung der empörten Basis. „Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat der Geldwäsche konsequent den Kampf angesagt und ein lückenloses und sehr wirksames Gesetz mit Meldepflichten in den Deutschen Bundestag gebracht. Ich wundere mich allerdings, was der für Sport zuständige Innenminister Horst Seehofer während der Befassung im Kabinett gemacht hat, wenn ich mir die Rückmeldung der Vereine ansehe“, schreibt er.
„Wir brauchen einen interessensgerechten Ausgleich, der den Turnverein in Duisburg-Homberg nicht mit der Investment-Bank gleichsetzt, wenn es um die frühzeitige Erkennbarkeit von Fehlverhalten bei Finanzflüssen geht. Das Vertrauen in die Vereine und die Finanzämter vor Ort kann einen viel interessengerechteren und den Verwaltungsaufwand senkenden Ausgleich erzielen.“
42 Tage eines Jahres muss sich ein mittelgroßer Verein ausschließlich um die Erfüllung bürokratischer Vorgaben kümmern; das entspricht, überwiegend nach Feierabend oder am Wochenende erledigt, sechseinhalb Stunden pro Woche. Das hat der Normenkontrollrat von Baden-Württemberg in seinem Empfehlungsbericht „Entbürokratisierung bei Vereinen und Ehrenamt“ im Oktober 2019 erhoben.
Jan Holze, ehemals ehrenamtlich Vorsitzender der Deutschen Sportjugend, kann als Geschäftsführer der Stiftung für Engagement und Ehrenamt bestätigen, dass die Regelungen des Transparenzregisters nicht nur die Sportvereine, sondern alle über 600 000 Vereine und 25 000 Stiftungen in Deutschland betreffen. „Ich bin zuversichtlich, dass es auch zukünftig für gemeinnützige Vereine und Stiftungen eine Gebührenbefreiung gibt.“
Dies ist nur eine der Forderungen, die DOSB, Landessportbünde und die anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen erheben. In diesen Wochen, so beschreiben sie es, würden in ganz Deutschland Gebührenbescheide des Bundesanzeiger Verlags für die Führung des Transparenzregisters zugestellt. „Mit Hinweis auf das Geldwäschegesetz wird von allen Vereinen die Entrichtung einer Gebühr rückwirkend für die letzten vier Jahre gefordert. Dabei bleibt häufig ungeprüft, ob die Vereine überhaupt schon seit drei Jahren bestehen“, heißt es. „Für viele Engagierte ist das ein Affront, zumal in den Anschreiben die Intention des Transparenzregisters nicht erläutert wird und auch eine Gebührenbefreiung für die gemeinnützigen Organisationen aufwändig ist. Gefühlt kommt der Vorgang daher einer Beweislastumkehr gleich.“
Über den Stopp der Gebührenbescheide und die Rückerstattung gezahlter Gebühren hinaus fordern die Dachorganisationen, die neue, eigenständige Meldepflicht nicht einzuführen. Schließlich führten Gerichte Vereinsregister, schließlich überprüfen Finanzämter die Vereine mindestens alle drei Jahre. Stattdessen sollten alle als gemeinnützig anerkannten Vereine automatisch von den Gebühren befreit werden. Eine entsprechende Änderung des Gesetzes verlangt auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme.
Darüber hinaus sollten Gesetzgebungsverfahren wie das aktuelle auf ihre Bürokratiebelastung für das bürgerschaftliche Engagement hin überprüft und angepasst werden. Überhaupt solle die Belastung für ehrenamtlich getragene Strukturen durch eine Verträglichkeitsprüfung für Engagement verhindert und abgebaut werden. Sie hofften sehr, schreiben die Verbände und Organisationen an Scholz, dass mit seiner Unterstützung die bürokratischen Stolpersteine aus dem Weg geräumt und das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt werden könne.+
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Mittwoch, dem April 2021
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.