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28
02
2018

„Unser Verein ist judenfrei!“ - de Gruyter

„Unser Verein ist judenfrei!“ – Dokumente zur Ausgrenzung von Juden im Sport – eine Quellensammlung – Prof. Detlef Kuhlmann

By GRR 0

Der 30. Januar 1933 ist ein politisch folgenschweres Datum in der Geschichte Deutschlands – auch mit unmittelbaren Folgen für den Sport. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme setzte die Arisierung der deutschen Gesellschaft ein.

Mit diesem Datum begannen Diskriminierung und Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden. Und damit einher ging ein Bruch in der deutschen Turn- und Sportbewegung: „Unser Verein ist judenfrei!“ lautet der Titel der Quellensammlung, die die beiden Hannoveraner Historiker Prof. Dr. Lorenz Peiffer und Dr. Henry Wahlig (inzwischen wissenschaftlicher Referent im Deutschen Fußballmuseum Dortmund) nach mühevoller Recherche im renommierten de Gruyter Verlag herausgegeben haben.

Die jetzt vorliegende Quellensammlung basiert auf wichtigen Dokumenten, mit denen die „Ausgrenzung im deutschen Sport“ (Untertitel des Buches) durch die Machthaber bzw. durch die Verantwortlichen in der deutschen Turn- und Sportbewegung – teilweise im vorauseilenden Gehorsam – umgesetzt wurde. Um den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus dem organisierten Sport, aber auch aus dem öffentlichen Sportleben anzustreben, gab es zwar Vorgaben und Beschlüsse kommunaler und staatlicher Einrichtungen bzw. des Nazi-Regimes als (quasi) juristische Grundlagen, deren Umsetzung erfolgte aber allein in Eigeninitiative und Eigenverantwortung der Sportverbände bzw. Sportvereine:

„Hier blieb es zunächst jedem Verein individuell überlassen, in eigener Verantwortung über das weitere Schicksal seiner jüdischen Mitglieder zu entscheiden“, ist bereits in den editorischen Vorbemerkungen über die Darstellung und den Aufbau der Dokumente nachzulesen.

Das Buch bietet eine bemerkenswerte Datenbasis – mehr noch: Um sich Art und Ausmaß der Ausgrenzung „lebhaft“ vorzustellen, muss man nur das geschlossene Buch zur Hand nehmen und die vordere Coverseite (im blassen Schwarz-Weiß gehalten) genauer betrachten.

Das Bild zeigt den Eingangsbereich des (Freiluft-) Schwimmbades Reichelsheim im südhessischen Odenwaldkreis (Wetterau) aus dem Jahre 1935. Links begrüßt uns durch das kleine, geöffnete Fenster der skeptisch dreinblickende Kassierer mit einer Zigarre in der rechten Hand noch halbwegs freundlich. Rechts können wir die aktuelle Wasser- und Lufttemperatur ablesen. Die ist gut und völlig ausreichend, um sofort bei ihm ein Billet zu lösen und um danach zügig mit dem Schwimmen zu beginnen. Aber dann springt da noch das Schild „Juden sind hier nicht erwünscht.“ ins Auge. Das Wort „nicht“ ist auf dem Schild unterstrichen. Die Eingangstür ist und bleibt geschlossen.

Der Band versammelt insgesamt 334 (!) Dokumente.

Sie beanspruchen nach Aussagen der Herausgeber des Bandes keinen Anspruch auf numerische, geschweige denn thematische Vollständigkeit. Sie bieten aber gleich wohl einen äußerst facettenreichen Überblick über den rechtlichen Rahmen, mit dem die Ausgrenzung von jüdischen Sportlerinnen und Sportlern im deutschen Turn- und Sportwesen seinerzeit betrieben wurde: „Turn- und Sportvereine wurden zu Vorreitern des Arisierungsprozesses der deutschen Gesellschaft“, schreiben Peiffer und Wahlig im Vorwort zu ihrer rund 40-seitigen Einleitung und geben zu erkennen, dass damit ein „Prozess der Selbstgleichschaltung des deutschen Sports begann“.

Die Dokumente verdeutlichen, welche Institutionen und Organisationen, aber auch welche Akteure jeweils vor Ort daran beteiligt waren, die Ausgrenzung von Juden vorzunehmen. Die Dokumente sind nach sog. Provenienzen geordnet – hierbei handelt es sich dann um Texte in der Autorenschaft staatlicher Organisationen, sodann speziell von NS-Organisationen, ferner aus der Turn- und Sportbewegung selbst sowie schließlich aus der Presse. Ziel der beiden Herausgeber ist es, „das sehr unterschiedliche Verhalten verschiedener Institutionen im deutschen Sport im Umgang mit ihren jüdischen Mitgliedern nachzuzeichnen und zu dokumentieren“. Bisherige Pauschalauffassungen können so mit einer differenzierteren Betrachtungsweise kontrastiert werden.

Peiffer und Wahlig geben der interessierten Leserschaft vorn im Band in der inhaltlichen Einführung u.a. auch Einblick in die Rolle der Deutschen Turnerschaft, der mit rund 1,6 Mio. Mitgliedern größte Sportorganisation im Jahre 1933, die sie als Vorreiter des Arisierungsprozesses beleuchten. An Beispielen ausgewählter Sportverbände (z.B. Deutscher Schwimmverband sowie Deutscher Ruderverband) und Sportvereine (z.B. Sport-Club Charlottenburg sowie Berliner Sport-Club) können sie auch belegen, wie schnell der sog. Arierparagraph im Winter bzw. Frühjahr 1933 eingeführt und umgesetzt wurde.

Peiffer und Wahlig verzichten darauf, die Dokumente jeweils inhaltlich zu kommentieren. Sie sind lediglich mit Quellennachweis verzeichnet, um den Kontext besser zu verstehen. Jedes Dokument steht für sich. Jedes Dokument muss einzeln und mit Bedacht gelesen werden. Nur so kann man sich in die Situation hineinversetzen, in der jedes Dokument verfasst wurde – und erst recht muss man sich dann immer wieder aufs Neue „lebhaft“ vor Augen führen, was jedes Dokument vom Wortlaut her ausgelöst hat: Es ging ursprünglich (also vor 1933) immer „nur“ um ein freudvolles und friedliches Sporttreiben, das die Menschen als gleichwertige Mitglieder in Vereinen vereint (oder in Badeanstalten versammelt) hat. Damit sollte fortan gebrochen werden.

Die Dokumente in ihren Tiefenstruktur bezeugen „den Verlust langjährig gewachsener sozialer Beziehungen und die plötzliche Abkehr von wichtigen Freunden“.

Die Dokumente sind jeweils in wenigen Zeilen verfasst und stechen dazu meist noch durch ihre juristisch-formal-klare Diktion hervor. Sie erzählen nicht. Aber sie schaffen Fakten: Ausschluss und Ausgrenzung sind die beiden Vokabeln, die über alle Dokumente gelegt werden müssen. Sie vermögen aber kaum etwas von der Intensität und dem Ausmaß des menschlichen Leidens und der Schicksale widerzuspiegeln, mit denen die jüdischen Sportlerinnen und Sportler fortan leben mussten, diskriminiert und verfolgt wurden.

Der Band schließt am Ende mit drei alphabetischen Registern: einem Namensregister, einem Ortsregister und einem Sachregister.

Wer also gezielt z.B. nach Julius Hirsch oder Hans von Tschammer und Osten suchen will, wer genau wissen will, was z.B. in Augsburg oder Wuppertal mit Jüdinnen und Juden passiert ist und wer sich speziell für das interessiert, was z.B. im Deutschen Kanuverband oder Norddeutschen Amateur Box-Verband geschah, der wird mit der dort hinterlegten Seitenangabe gleich auf das entsprechende Dokument geführt.

Prof. Detlef Kuhlmann in der DOSB Presse

Lorenz Peiffer, Henry Wahlig (Hrsg.): „Unser Verein ist judenfrei!“ Ausgrenzung im deutschen Sport. Eine Quellensammlung. Berlin/Boston: de Gruyter. 224 Seiten; 89,95 Euro.

author: GRR

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