Radrennen - Symbolbild - Foto: Horst Milde
TOUR DE FRANCE 2021 – Simon Geschke: Wie der Kapitän seinen Philosophen schützt – Von KLAUS BLUME
Auf der einen Seite Simon Geschke, der Veganer und bekennende Tierschützer, auf der anderen dessen Partner Guillaume Martin, „Sokrates auf dem Rennrad“ – so der Titel seines letzten Buches.
Diese Beiden, der 35jährige Berliner und der 28jährige Pariser, bilden die wohl eigentümlichste und bemerkenswerteste Partnerschaft auf der 108. Tour de France. Geschke, der die große Schleife zum neunten Mal absolviert „und jeden Pflasterstein persönlich kennt“, und Martin, dessen unbestreitbares Talent ihn bis auf einen Podestplatz in Paris führen könnte.
Hoffen jedenfalls dien Franzosen, denn beide treten gemeinsam für das vor einem Vierteljahrhundert gegründete ur-französische Profi-Team Cofidis in die Pedale. Eine Equipe, die gerade auf der Frankreich-Rundfahrt bei den Franzosen unter ganz besonderer Bobachtung steht.
Und damit auch Simon Geschke, der Sohn des Olympiazweiten von 1972 in München. Vor allem aber Guillaume Martin, der Sohn eines hoch geachteten Aikido-Lehrers,; einer, der in Nanterre sein Philosophiestudium beendet hat und nun nachdenkliche Kolumnen für Frankreichs Welt-Blatt „Le Monde“ zu Papier bringt. Auch während der Tour.
Was haben diese Beiden, der Tierschützer und der Feingeist, in der rauhen Welt des knallharten Profi-Radsports verloren? Oder konkreter gefragt: Was kann der Deutsche Simon Geschke in einem ur-französischen Team, wie Cofdis, überhaupt bewirken?
Tour de France – Logo: Veranstalter
„Die wollten mich als Capitain de la Route und zugleich als Aufpasser für Martin“, sagt Geschke. Capitain de la Route? „Das ist der verlängerte Arm der Mannschaftsleitung im Rennsattel. Ich habe zwar einen Knopf im Ohr und höre alle deren Anweisungen, aber ich muss vor allem auch urplötzlich selbst entscheiden, wie und warum ich auf einer Etappe unsere Taktik, also die von acht Fahrern, ad hoc ändere – ohne Rückfrage. Und dafür hinterher gerade stehe.“
Und für so etwas haben sich die Franzosen ausgerechnet einen Berliner geholt?
Geschke: „Ich habe ja sieben Jahre lang in der Schule Französisch gelernt, aber mein Abitur schon 2005 abgelegt, also hole ich viel mit einer Sprachapp am Handy auf. Klappt ganz gut. Und weil alles so gut bei Cofdis für mich klappt, habe ich jetzt meinen Vertrag noch einmal um zwei Jahre verlängert. Auch daran kann man sehen, dass die an mich glauben. Denn ein Zwei-Jahres-Vertrag für einen 35jährigen ist ja nicht selbstverständlich.“
Drei Wochen Tour de France – und das alles ohne Fleisch? Geschke lächelt nachsichtig: „Seitdem ich auf vegetarisches Essen setze, und das immerhin seit 2016, ist meine Leistungsfähigkeit immer mehr angewachsen. Man muss sich nur andere Eiweißquellen suchen. Aber es gibt ja nichts, was es nicht überpflanzliche Ernährung nicht gibt.“
Es ist schon ein eigentümliches Paar, das sich seit Sonnabend auf drei Wochen Tour de France einlässt – hier der bekennende Veganer Simon Geschke, dort der philosophierende Guillaume Martin. Bei der „Grand Boucle“ 2020 war Martin – ohne Geschkes Fürsorge – zwischenzeitlich sogar Dritter im Gesamtklassement, Paris erreichte er schließlich jedoch nur als Elfter.
Und dieses Jahr?
„Guillaume hat noch viel Potenzial. Erst einmal streben wir eine Platzierung unter den besten Zehn an. Das ist unsere Ausgangsbasis. Aber eigentlich möchte ich ihn unter die besten Fünf der Tour bugsieren. Denn er ist ein wirklich großes Talent.“ Und was bleibt am Ende dabei für Geschke übrig? „Wenn wir alles, was wir wollen, im Kasten haben, und es geht, in der zweiten oder dritten Woche, eine Gruppe vorzeitig weg, bin ich dabei – und kämpfe natürlich um den Tagessieg.“
So, wie 2015 auf der 17. Etappe?
„Darauf“, sagt er, „werde ich ja noch heute angesprochen. Ein Etappensieg auf der Tour de France – so etwas bleibt bei den Leuten für immer im Gedächtnis.“
Auch bei denen, die sonst für Sport nichts übrig haben.
Klaus Blume
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