Dr. Dr. Lutz Aderhold - Foto: privat
Therapie von Verletzungen im Laufsport – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Langfristig können Sportverletzungen nur vermieden werden, wenn die Belastungen in einem sinnvollen Verhältnis zur Belastbarkeit stehen. Ist es trotzdem zu einer Verletzung gekommen, stehen die Sofortmaßnahmen an erster Stelle.
Handelt es sich nicht um eine Bagatellverletzung, muss eine ärztliche Diagnostik mit anschließender Therapie folgen.
Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Sie permanent – in Ruhe und Bewegung – Schmerzen verspüren, sichtbare Zeichen einer Verletzung wie Schwellung, Rötung und Bluterguss vorliegen oder der Verdacht auf eine akute Verletzung wie Verrenkung oder Fraktur besteht.
TIPP
Falls die Möglichkeit besteht, sollten Sie anstelle eines Allgemeinmediziners einen Sportarzt aufsuchen, der sich mit Laufverletzungen auskennt.
Von Vorteil ist auch, wenn der Arzt selbst über Lauferfahrung verfügt und viele Läufer als Patienten betreut. Entscheidend ist, dass der Arzt die Verletzung richtig erkennt und die geeignete Behandlung veranlasst bzw. zum Spezialisten überweist. Dies kann ein Orthopäde oder auch ein Arzt für Innere Medizin bzw. Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Sportmedizin sein. Weitere geeignete Zusatzqualifikationen in Chirotherapie, Naturheilverfahren, Homöopathie und Akupunktur sind hilfreich. Für den Läufer sind Therapeuten, die sich speziell mit der Behandlung von Sportlern beschäftigen, meist die bessere Adresse.
Bei der Therapie ist es sinnvoll, wenn sich einzelne Maßnahmen übergreifend ergänzen:
- Arzt (Diagnostik und Behandlung bzw. Koordination),
- Physiotherapeut/Chiropraktiker (Behandlung muskulärer Dysfunktionen, Optimierung der Gelenkfunktion),
- Orthopädiemechaniker (Schuhzurichtung und Einlagen),
- Schuhverkäufer (individuelle Schuhauswahl),
- Trainer (Lauftechnik, Lauftraining, Athletik, alternatives Training),
- Ernährungsberater (belastungsgerechte Ernährung).
Die Diagnostik beginnt mit der Vorgeschichte (Anamnese), gefolgt von der Inspektion (Betrachten), der Palpation (Abtasten) und der Funktionsprüfung. Meist lässt sich aus diesen Befunden schon die Diagnose stellen. Ergänzend können Laboruntersuchungen (z. B. Blutbild) und bildgebende Verfahren (Röntgen, Knochenszintigrafie, Sonografie, Computertomografie, Magnetresonanztomografie) eingesetzt werden.
Eine sinnvolle diagnostische Maßnahme – insbesondere bei wiederkehrenden Verletzungen – ist die Bewegungsanalyse auf dem Laufband mit einer doppelten Kameraführung von hinten und von der Seite (Marquardt 2012). Die Untersuchung von Statik und Dynamik ist die Grundlage für lauftechnische Korrekturen. Gegenanzeigen (Kontraindikationen) für die Durchführung einer Bewegungsanalyse sind
- Schmerzen, Humpeln und Hinken beim Laufen,
- akute Entzündungszeichen am Bewegungsapparat.
Bei der Therapie muss man zwischen symptomatischer (Behandlung der Krankheitszeichen) und kausaler (Behandlung der Ursache) Therapie unterscheiden, wobei die Übergänge fließend sind.
Zur symptomatischen Therapie gehören die
- Entlastung (Belastung reduzieren, alternatives Training, Pause, Hochlagerung, Verbände),
- medikamentöse Therapie (Schmerzmittel, Antiphlogistika, Enzympräparate – Berg et al. 2005),
- physikalische Therapie (Kälte, Wärme, Wasser, Elektro, Magnetfeld, Ultraschall, Stoßwellen),
- Physiotherapie (Manuelle Therapie, Chiropraktik, Massagen) und
- ergänzende (komplementäre) Therapien (Akupunktur, Neural- und Infiltrationstherapie, Homöopathie – Meller 2002; Thomas 2002; Hoc 2007; Gerbing et al. 2013).
Die kausale Therapie umfasst
- die Beseitigung von fehlerhaften Bewegungsabläufen und Fehlstellungen,
- die Dehnung und Kräftigung der sportartspezifischen Muskulatur zur Überwindung muskulärer Dysbalancen sowie Mobilisationsübungen (Starrett u. Murphy 2015),
- die Optimierung der Ausrüstung (Schuhe anpassen und Einlagen anfertigen),
- die Verbesserung der Lauftechnik,
- den sinnvollen Trainingsaufbau (Wechsel von Belastung und Entlastung, alternatives Training) und
- die Unterstützung durch sportgerechte Ernährung und regenerative Maßnahmen.
Merksatz
Ziel der kausalen Therapie ist die Steigerung der Belastbarkeit und damit die Vermeidung weiterer Verletzungen.
Weitere Informationen zu den einzelnen Therapien finden Sie unter www.germanroadraces.de. Auf dieser Homepage werden auch weitere, hier nicht behandelte medizinische Aspekte, die den Laufsport betreffen, dargestellt.
TIPP
Verletzte und überlastete Gewebe brauchen Ruhe, damit sie eine Chance zur Heilung haben. Wenn Sie nach Ausheilung der Verletzung wieder ins normale Lauftraining einsteigen, kann der Schmerz Ihre Richtschnur sein. Die Restbeschwerden sollten mit jedem Tag geringer werden und sich nicht wieder verschlimmern.
Vielleicht fühlen Sie sich jetzt außer Form. Das ist aber kein Problem, denn nach relativ kurzer Zeit wird sich Ihr Leistungsniveau wieder deutlich verbessern. Haben Sie Geduld und bauen Sie langsam und stufenweise auf, steigern Sie zunächst den Umfang und dann erst die Intensität. Dies ist auch ein guter Zeitpunkt, einen Sportmasseur aufzusuchen, insbesondere nach einer Verletzung von Muskeln, Bänder und Sehnen. Sportmassagen können helfen, Verklebungen und Vernarbungen zu lösen und die Flexibilität zu verbessern.
Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer – Lutz Aderhold – Mit Beiträgen von Stefan Weigelt – ELSEVIER Verlag
Erstversorgung von Verletzungen
Die beim Läufer am häufigsten betroffenen Gewebe sind Muskeln, Sehnen und Bänder, Knochenhaut und Knochen.
TIPP
Als Frühwarnsignal sollten Sie Schmerzen immer ernst nehmen
Eine angemessene erste Behandlung vermeidet in vielen Fällen Verzögerungen des Heilungsverlaufs und Komplikationen. Bei jeder Verletzung kommt es zu einer Entzündungsreaktion mit den klassischen Symptomen: Schmerz, Rötung, Wärme, Schwellung und Funktionsstörung. Werden Muskeln, Sehnen und Bänder geschädigt, treten Gefäßzerreißungen und Einblutungen ins Gewebe auf. Die Folgen sind Schwellung, Spannungsgefühl, Druckempfindlichkeit und damit auch Schmerzen.
Die Erstversorgung von Sportverletzungen sollte nach dem Pech-Prinzip erfolgen!
● Pause – Abbrechen der Sportausübung
● Eis – Kühlung der verletzten Stelle
● C(K)ompression – Anlegen einer elastischen Binde
● Hochlagerung – z. B. des verletzten Fußes
Kommt es zu einer akuten Verletzung, z. B. durch Umknicken, kann durch sofortige Unterbrechung des Trainings bzw. Wettkampfs einer Verschlimmerung vorgebeugt werden (kein Weiterhumpeln). Eine sofort eingeleitete Kühlung durch Eis oder feuchtkalte Auflagen reduziert die Blutzirkulation und wirkt der Ausbildung eines Ödems und Blutergusses entgegen. Die Behandlung mit Kälte kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen: kaltes Wasser, Umschläge mit Alkohol oder essigsaurer Tonerde, Eismassage, Eispackungen und vorgeformte Kryomanschetten, Eistauchbäder, Kältegel und Kältespray.
TIPP
Weder kaltes Wasser noch Kühlelemente sollten direkt auf offene Wunden aufgebracht werden.
Nach Beendigung der Kältebehandlung kommt es zeitversetzt zu einer reaktiven Hyperämie. Das bedeutet: Die eng gestellten Gefäße erweitern sich, es tritt eine Durchblutungssteigerung und Überwärmung ein. Bei der Anwendung von Eiswasser (sog. Hot-Ice) soll eine reaktive Hyperämie vermieden werden (Müller-Wohlfahrt et al. 2010). Die Kryotherapie führt zu einer schnelleren Rückkehr zu Training und Wettkampf (Hubbard u. Denegar 2004; Collins 2008).
Merksatz
Eine Kühlung ist solange sinnvoll, wie die Schwellung eine zunehmende Tendenz besitzt, d. h. also in den ersten zwei bis drei Tagen.
Danach können zur Anregung der Durchblutung und Förderung der Resorption des Blutergusses Fluide, Gele und Salben angewendet werden.
Bei Umknickverletzungen am Sprunggelenk und bei Muskelrissen ist die Kompressionsbehandlung die wichtigste Maßnahme. Da Blut zu ungünstiger Narbenbildung führt, soll das das Eibluten in das Gewebe verhindert werden. Die leichte Kompression mit einer elastischen Binde wirkt einem vermehrten Blutaustritt aus kleinen zerrissenen Gefäßen entgegen. Damit ein Blutrückfluss gewährleistet wird, ist die Binde so anzulegen, dass der Druck von der Extremität zum Körper abnimmt. Die Zirkulation darf auf keinen Fall vollständig unterbrochen werden. Die Kompressionsbehandlung ist bei Sportverletzungen besonders wichtig, da sie sofort wirkt, im Gegensatz zur Kältetherapie, die erst nach einigen Minuten ihre Wirkung entfaltet. Eine sehr gute Kombination aus Eis und Kompression ist der Hot-Ice-Verband. In eine Schüssel mit kaltem Wasser werden Eiswürfel und die Binde für die Kompression gegeben. Wenn die Eiswürfel schmelzen, hat das Wasser genau die richtige Temperatur für den Verband. Der Verletzte darf den Verband nicht als unangenehm empfinden (nicht zu kalt, nicht zu eng). Die Hochlagerung soll die Blutzirkulation und damit die Schwellung und den Bluterguss vermindern.
Merksatz
Ein verletztes Bein sollte in Rückenlage in einem Winkel von mehr als 45° hochgelagert und unterstützt werden.
Nach der Erstversorgung einer akuten Sportverletzung ist in aller Regel eine Vorstellung beim Arzt ratsam. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn es zu ausgedehnten Blutungen, anhaltenden Schmerzen und Funktionsstörungen gekommen ist. Innerhalb der ersten 48 h nach einer Verletzung sollten keine Wärmebehandlungen und Massagen durchgeführt werden.
Wärmeanwendungen sind allerdings in der Prävention und Rehabilitation von großer Bedeutung.
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Die Literaturhinweise finden Sie in:
Aderhold L, Weigelt S. Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. München: Elsevier 2018.