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21
02
2019

Caster Semenya - Foto: Victah Sailer

Testosteron-Grenzwert: Ein monumentales Urteil für den Frauensport – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes stellt klar: Das Urteil des Sportgerichtshof zum Umgang mit Hyperandrogenämie wird verbindlich sein. Je nach Ausgang hätte dies weitreichende Konsequenzen.

Wird Caster Semenya in diesem Jahr laufen dürfen, wie sie ist? Oder wird die Olympiasiegerin über 800 Meter von London 2012 und Rio 2016 ihre natürlich erhöhten Testosteronwerte wieder mit Medikamenten reduzieren müssen?

Im März will der Sport-Gerichtshof in Lausanne (Cas) über den Grenzwert von fünf Nanomol (körpereigenes) Testosteron pro Liter Blut entscheiden, den der Weltverband der Leichtathleten (IAAF) erlassen und bis zum Urteil ausgesetzt hat.

Der Spruch soll das letzte Wort im Umgang mit hyperandrogenen Frauen sein.

Das jedenfalls kündigt Sebastian Coe an, der Präsident der IAAF. „Wir können nicht und wir werden nicht ständig zum Cas laufen. Dies wird eine verbindliche Entscheidung sein. Wir werden sie respektieren“, sagte er am Mittwoch der F.A.Z. in Berlin.

„Dies wird ein monumentales Urteil für die Zukunft des Frauensports. Sollte der Cas gegen uns entscheiden, hätte ich Befürchtungen für die Zukunft nicht nur einzelner Disziplinen in der Leichtathletik. Wie ich aus Gesprächen mit Präsidenten anderer Sportverbände weiß, warten sie mit angehaltenem Atem auf die Entscheidung des Cas.“

Die IAAF hatte auf eine Klage der indischen Sprinterin Dutee Chand hin 2015 seinen generellen Testosteron-Grenzwert von 10 Nanomol für Frauen aufheben müssen. Diesen, praktisch eine Lex Semenya, hatte die IAAF 2011 eingeführt. Auf Basis einer wissenschaftlichen Untersuchung erließ der Verband 2018 den neuen Grenzwert von 5 Nanomol. Er soll allein auf den Laufstrecken von 400 Meter bis eine Meile und ausschließlich für internationale Wettbewerbe gelten.

Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAFFoto: Victah Sailer

„Ein Reglement zu schaffen, das diesen Frauen erlaubt, mit reduzierten Testosteron-Werten an Wettbewerben teilzunehmen, ist nach unserer Auffassung nicht nur der vernünftigste Ansatz, sondern auch der fairste“, sagte Coe. Dies sei eine Gelegenheit für sie, ohne Stigma, ohne medialen Zirkus und mit einem Höchstmaß an Privatsphäre an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Eigene Wettbewerbe zu schaffen, neben denen für Männer und Frauen, würde sie isolieren und ihre Würde verletzen.

„Kein anderer Fall, ob sie besonders große Basketballspieler anführen oder Hochspringer mit langen Armen und Beinen, reicht auch nur an die Grenzen des Vorteils heran, den Testosteron weiblichen Läufern verschafft“, sagte Coe. „Unsere Aufgabe ist es, das Menschenmögliche zu tun, um Chancengleichheit zu schaffen und zugleich die Würde der Betroffenen zu wahren.“

Nach den Worten von Coe geht es nicht allein um die Südafrikanerin Caster Semenya. Mehr als hundert Leichtathletinnen mit „Differences of Sexual Development“ (DSD), zu denen Hyperandrogenämie gehört, hätten olympische Titel und Weltmeisterschaften gewonnen sowie Erdteil-, nationale und Weltrekorde aufgestellt.

Sebastian Coe war am Mittwoch Gast des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, der sich von ihm die Reform der IAAF erläutern ließ. Der Brite, vor der Weltmeisterschaft in Peking 2015 gewählt, sah sich zu der Neuorganisation gezwungen, als in seinem Verband Doping und Korruption aufflogen und sein Vorgänger Lamine Diack am Verbandssitz Monaco verhaftet wurde. Die nächste Herausforderung sei, das Wettbewerbssystem zu modernisieren, die Regeln verständlich zu machen und ein junges Publikum zu gewinnen, sagte Coe.

„Ich habe die Leidenschaft und die Freude, die viele Arbeit anzupacken, die noch getan werden muss“, erwiderte er auf die Frage, ob er sich vor der Weltmeisterschaft in Doha im September zur Wiederwahl stellen werde. Coe muss seine Kandidatur im März ankündigen.

Ob in Qatar der im November 2015 ausgeschlossene russische Verband mit einer Mannschaft zurückkehren wird, scheint ungewiss. Coe verwies auf die Verantwortung der unabhängigen Task Force unter Leitung des Norwegers Rune Andersen und die Bedingungen der IAAF. Zusätzlich zu den Daten aus dem an systematischer Manipulation beteiligten Anti-Doping-Labor in Moskau, welche seit Januar im Besitz der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) sind, erwarte die IAAF Zugriff auf die in Moskau gelagerten Doping-Proben verdächtiger Athleten.

„In Doha werden Russen starten“, sagte Coe. Rund siebzig werden von seinem Verband als neutrale Athleten anerkannt.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 14. Februar 2019

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

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