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31
05
2020

Dr. Dr. Lutz Aderhold - Foto: privat

Stressfraktur (Ermüdungsbruch) im Laufsport – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Die ersten Ermüdungsbrüche wurden im 19. Jahrhundert bei jungen Rekruten im Mittelfußbereich vermutet, daher auch die Bezeichnung „Marschfraktur“.

Eine Stressfraktur, auch Ermüdungsbruch genannt, entsteht als Folge einer lang andauernden und sich ständig wiederholenden Belastung des Knochens. Dabei wird im Sinne einer Materialermüdung die Toleranzgrenze des Knochens überschritten.

Es handelt sich um eine Störung im Gleichgewicht von sich ständig auf- und abbauendem Knochengewebe. Die Dauerbelastung führt zur Ausbildung eines Risses und schließlich zur Bruchbildung, wobei dieser Knochenbruch selten vollständig ist.

Bei Sportlerinnen können auch Störungen des Menstruationszyklus mit verantwortlich sein. Ein niedriger Östrogenspiegel kann zur Verringerung der Knochenmasse (Osteoporose) führen und einen Ermüdungsbruch begünstigen (Korsten-Reck 2010; Barrack et al. 2013). In den letzten Jahren sind Female Athlete Triad (FAT) und relatives Energiedefizitsyndrom (RED-S) im Sport als relevante Ursachen in den Vordergrund gerückt (Mountjoy et al. 2014; Korsten-Reck 2016; Goolsby u. Bonequit 2017).

Läuferinnen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, haben ein geringeres Risiko für Stressfrakturen (Hulme et al. 2017). Die höchsten Inzidenzen finden sich beim weiblichen Geschlecht an der unteren Extremität sowie in Sportarten mit zyklisch wiederkehrenden Belastungsspitzen (Laufen, Turnen, Gymnastik, Tanzen, Ballett (Astur et al. 2016).

Förderlich für die Entstehung von Stressfrakturen sind:

  • die Zunahme des Trainingsumfangs oder der Trainingsintensität,
  • fehlende Regeneration,
  • ein unebener Boden,
  • ungeeignete Schuhe und
  • anatomische Fehlstellungen und funktionelle Defizite (Nielsen et al. 2012) sowie
  • Über- und Untergewicht bzw. Essstörungen (Vitamin-D- und Kalziummangel).

Merksatz

Ein Verlust von 5 % der Knochenmasse erhöht das Risiko einer Stressfraktur um 40 %!

Im Vergleich zu anderen verletzungsbedingten Knochenverletzungen sind Ermüdungsbrüche relativ selten, machen aber gerade bei Läufern bis 15 % der Verletzungen aus. Knapp 70 % aller Stressfrakturen kommen bei Läufern vor (Matheson et al. 1987; Rieger 2010). Stressfrakturen treten im Jugendalter häufiger als bei Erwachsenen auf. In abnehmender Häufigkeit sind davon betroffen: Schienbein (Tibia), Mittelfußknochen (Os naviculare, Ossa metatarsalia), Oberschenkel (Femurdiaphyse), Wadenbein (Fibula) und Becken (Ueberschär et al. 2018). Bei Läufern sind Stressfrakturen vor allem im Schien- und Wadenbein sowie im Bereich der Mittelfußknochen lokalisiert (Rizzone et al.; Welck et al. 2017). Auch Fersenbeinstressfrakturen kommen bei Läufern relativ häufig vor.

Die Beschwerden bei den Stressfrakturen beginnen meist schleichend. Der Sportler bemerkt anfangs nur einen leichten Schmerz unter Belastung, der in Ruhe wieder verschwindet. Bei einer Untersuchung zeigt sich ein punktförmiger Druck- und Klopfschmerz mit gegebenenfalls bgleitender Weichteilschwellung. Der einbeinige Hüpftest ist schmerzhaft.

TIPP

Schwellungen über Knochenabschnitten, die sich über Wochen nicht zurückbilden und unter Belastung Schmerzen auslösen, sollten Sie untersuchen lassen, um eine Stressfraktur auszuschließen.

Überlastungsschäden des Bewegungsapparates in Form von Stressfrakturen werden oft erst spät erkannt, da sich auch auf Röntgenaufnahmen in der frühen Phase (zwei bis drei Wochen) der Beschwerdesymptomatik oft keine Veränderungen feststellen lassen. Daraus resultiert dann in vielen Fällen die Fehldiagnose „Sehnenansatzschmerz-Tendinopathie“ oder „Knochenhautentzündung“. Die Röntgenuntersuchung ist deshalb nach weiteren zwei bis vier Wochen zu wiederholen. Im Falle eines Ermüdungsbruchs ist dann eine lokale Sklerosierung, eine periostale Kallusbildung oder eine Fissurlinie nachweisbar.

Die Knochenszintigrafie gilt heute nicht mehr als Methode der Wahl. Bereits wenige Tage nach Beginn der Beschwerden zeigt sie eine deutliche Anreicherung des Radiopharmakons, ist also sehr sensitiv. Diese Untersuchung ist nicht spezifisch, entzündliche Prozesse können ähnliche Befunde ergeben.

Demgegenüber erlaubt die Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie [MRT]) einen frühzeitigen und spezifischen Nachweis einer Stressfraktur (Fredericson et al. 1995; Wolff 2001; Kiuru et al. 2002; Engelhardt 2016; Mandell et al. 2017). Aufgrund der damit diagnostizierten Veränderungen kann eine Klassifizierung mit entsprechenden therapeutischen Konsequenzen vorgenommen werden.

Bei der Graduierung unterscheidet man: Grad I (periostales Ödem), Grad II (periostales Ödem, begleitendes Marködem in T2-gewichteten Bildern), Grad III (Marködem in T1- und T2-gewichteten Bildern), Grad IV (sichtbare Frakturlinie). Bei Grad I und II liegt eine Stressreaktion des Knochens vor. Es kann mit einer schnellen Ausheilung gerechnet werden. Bei Grad III und IV handelt es sich um eine Stressfraktur im engeren Sinne mit einer entsprechend längeren Behandlungsdauer.

Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer –Lutz Aderhold – Mit Beiträgen von Stefan Weigelt – ELSEVIER Verlag

Therapie

Anfänglich steht eine Schmerztherapie mit Analgetika und ggf. Antiphlogistika im Vordergrund. Die Behandlung von Stressfrakturen hängt vom Zeitpunkt der Diagnose, dem Grad der Schädigung und der Lokalisation ab.

Merksatz

Eine Laufpause ist für die Heilung unumgänglich.

TIPP

Bei konservativer Behandlung müssen Sie alle sportlichen Aktivitäten unterhalb der Schmerzgrenze praktizieren, d. h. Radfahren, Schwimmen und Aqua-Jogging sind meist möglich.

Niedrigrisiko-Stressfrakturen mit nachgewiesenem Frakturspalt im Bereich des Wadenbeins (Fibula), der Mittelfußknochen (II–IV), des Fersenbeins (Calcaneus) oder des Schambeins heilen unter Einhaltung einer Trainingspause nach sechs bis acht Wochen aus. Hochrisiko-Stressfrakturen am Schenkelhals, Wirbelkörper, Oberschenkelknochen (Femur), mittleren Schienbein, Kahnbein und Mittelfußknochen (I,V) benötigen eine längere Trainingspause (8–14 Wochen) und evtl. die Ruhigstellung beispielsweise in einem Unterschenkel-Walker oder eine operative Versorgung (Mayer et al. 2014; Mallee et al. 2015).

Physikalische Verfahren (extrakorporale Stoßwellentherapie, therapeutischer Ultraschall und Magnetfeldtherapie) können prinzipiell als adjuvante Verfahren eingesetzt werden (Griffin et al. 2014; Leal et al. 2015) und die Knochenheilung günstig beeinflussen. Teilweise wird zur Förderung der Heilung empfohlen, Kalzium, Magnesium, Vitamin D und Enzympräparate (Bromelain®, Wobenzym®, Traumanase®) einzunehmen.

Nach der Phase der Ruhigstellung kann unter physiotherapeutischer Behandlung mit einer Belastungssteigerung im Sinne eines Aufbautrainings begonnen werden.

Bei Leistungssportlern ist eine sportmedizinische Betreuung ratsam. Sportlerinnen mit Zyklusstörungen benötigen eine frauenärztliche Beratung. Für die Bildung von Knochengewebe braucht der Körper die Zufuhr von Kalzium, Eiweiß, Magnesium, Phosphor, Kalium, Fluorid, Mangan, Kupfer, Bor, Eisen, Zink, Vitamin A, B, C, D und K. Das ist eine lange Liste, aber mit magerem Eiweiß, gesunden Fetten, komplexen Kohlenhydraten und dunkelgrünem Blattgemüse nehmen Sie die meisten dieser Nährstoffe in ausreichender Menge zu sich.

Vorbeugung

Um Stressfrakturen vorzubeugen, denken Sie an ein angepasstes Trainings- und Regenerationsprogramm, ausreichend gedämpfte Laufschuhe und die entsprechenden Einlagen (Hotfiel et al. 2016). Eine Reduktion der Schrittlänge und Frequenzerhöhung kann die Belastung verringern (Edwards et al. 2009).

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

Die Literaturhinweise finden Sie in:

Aderhold L, Weigelt S. Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. München: Elsevier 2018.

https://germanroadraces.de/?p=150273

author: GRR