Alexandra Burghardt zeigte ihre Klasse bei den deutschen Meisterschaften. - Foto: Benjamin-Heller - DLV
Sprinterin Alexandra Burghardt: „Ich wusste, dass das in mir steckt“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Alexandra Burghardt steckte in einem Teufelskreis aus Ehrgeiz und Furcht. Dann kam Corona – und die Sprinterin konnte die Zeit bestens nutzen. Das Ergebnis sieht man bei den deutschen Meisterschaften.
Im Dezember erhielt Alexandra Burghardt eine Einladung von der Sporthilfe: zur Verabschiedung von ihrer aktiven Karriere. „Die haben mich abgeschrieben“, dachte die damals 26 Jahre alte Sprinterin. „Ich habe ihnen mitgeteilt, dass ich noch Großes vorhabe“, erzählte sie ein halbes Jahr später bei den deutschen Meisterschaften in Braunschweig
Da hatte sie nach dem Titel über hundert Meter in 11,14 Sekunden auch die 200 Meter gewonnen (23,15). Das war auch für die Athletin von Wacker Burghausen aus dem oberbayerischen Landkreis Altötting eine Überraschung. „Ich wusste schon länger, dass das in mir steckt“, erzählte sie. „Aber ich konnte es nie auf die Bahn bringen. Ich bin immer unter meinen Möglichkeiten geblieben.“
Sie steckte in einem Teufelskreis aus Ehrgeiz und Furcht. Kurierte sie ihre Verletzungen aus, würden andere ihren Platz einnehmen, startete sie mit Schmerzen in Knie, Fuß und Rücken, konnte sie nie ihre Leistungsfähigkeit zeigen.
Dass sie stark war, zeigte ihre Zugehörigkeit zur deutschen Staffel. Bei der WM in Peking 2015 lief sie an Position zwei, beim Gewinn der World Relays auf den Bahamas zwei Jahre später war sie Startläuferin. Doch öfter als im Rennen, besonders schmerzhaft bei den Spielen von Rio 2016, war sie die Ersatzläuferin, das fünfte Rad am Wagen. An internationale Starts in den Einzeldisziplinen war nicht zu denken.
„Dann wird’s problematisch“
Und nun das: Alexandra Burghardt ist die erste deutsche Sprinterin, die ihre Nominierung für die Olympischen Spiele sicher hat. Das hat sie auch der Pandemie zu verdanken. Als die Verschiebung der Spiele im vergangenen Jahr bekannt wurde, tat sie keinen Schritt mehr auf der Bahn, bis ihre chronische Entzündung der Patellasehnen auskuriert war. Fünf Monate Zeit nahm sie sich dafür. Statt zu rennen, trainierte sich die mit 1,81 Meter Länge überragende Athletin Kraft und Fitness an. Und legte sich die 100 Meter im Kopf neu zurecht.
„Man läuft gegeneinander, aber doch für sich“, erklärt die Meisterin ihre Sicht auf den Sprint. „Sobald man anfängt, gegen die anderen zu laufen, wird’s problematisch.“ Sie war stets überlegen auf den ersten sechzig Metern, schwächte sich aber, indem sie in der zweiten Hälfte des Rennens darauf wartete, eingeholt und überholt zu werden.
„Theoretisch brauchte man niemanden neben sich“, erklärt sie den gedanklichen Ansatz, das Rennen als Einzelwettbewerb mit Zeitnahme zu betrachten. Zum ersten Mal zog sie in Braunschweig ohne Zögern durch.
Selbst wenn sie die fehlenden Gina Lückenkemper, Tatjana Pinto und Lisa-Marie Kwayie besiegt hätte, hätte der Erfolg nicht mehr Glanz. Seit vier Jahren war keine deutsche Sprinterin mehr so schnell.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 8 Juni 2021