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2018

Aleksander Dzembritzki auf dem Carl-Schuhmann-Weg am Berliner Olympiastadion, das während der Leichtathletik-EM Berlin 2018 besonders im Fokus der Öffentlichkeit stand. Foto Juergen Engler

Sportvereine sind ganz wichtige Partner für Schulen – Interview mit Berlins Sportstaatssekretär Aleksander Dzembritzki

By GRR 0
  1. Sie sind seit einigen Wochen Staatssekretär für Sport. Was hat Sie in den ersten Wochen besonders beschäftigt?

Acht Minuten nach meiner Vereidigung Anfang Mai saß ich schon mit dem Sportsenator Andreas Geisel bei Hertha BSC. Es ging um den Stadionneubau. Auch die Leichtathletik-EM als Teil der European Championships in Glasgow und die Para Leichtathletik-EM gehörten zu den Themen, die mich gleich beschäftigt haben. Ebenso die Handball-WM im Januar 2019. Ich bin im Sport gut vernetzt und kenne mich gut aus. Aber mir wurde schnell bewusst, wie viel zu beachten ist, gerade wenn es um den internationalen Sport geht.

  1. Welche Schwerpunkte in der Sportpolitik möchten Sie setzen?

Berlin ist d i e Sportmetropole in Deutschland. Dieses Image muss weiter ausgebaut und deutschlandweit wahrgenommen werden. Das schaffen wir gemeinsam mit dem Landessportbund und den Verbänden. Jeder und jede soll Sport nach eigener Fasson betreiben können – Vereinssportlerinnen und -sportler und diejenigen, die nicht in einem Verein sind. Ich bin stolz, dass „Sport im Park“ im letzten Jahr als Pilotprojekt begann und dieses Jahr als „Stark im Park“ in ganz Berlin stattfindet. Das ist ein super Angebot des organisierten, kostenlosen Sports mit qualifizierten Übungsleiterinnen und -leitern. Zu den Schwerpunkten meiner Arbeit gehört auch die Sportinfrastruktur. Die Schulbau-Offensive ist auch eine Sportbau-Offensive, denn Berlin bekommt etwa 50 neue Sporthallen. Das ist gut. Gebraucht werden aber auch Sportflächen, Plätze für allerlei Sportarten von Fußball bis Rugby. Deshalb kommt es bei der Entwicklung von Kiezen darauf an, dass sich die Sportverantwortlichen in den Gremien auf Bezirksebene einbringen, damit Sport immer berücksichtigt wird.

  1. Sie waren lange Zeit Lehrer. Weshalb ist die Kooperation zwischen Schulen und Sportvereinen wichtig?

Schulen und Sportvereine können voneinander profitieren. Schulen erweitern ihr Portfolio. Es gibt nicht nur Fußball – Berlin ist zum Beispiel auch ein Wassersportzentrum. Das wissen viele gar nicht. Oberschulen können damit werben, dass sie AGs oder Grundkurse in verschiedenen Sportarten anbieten. Für Vereine ist die Kooperation mit Schulen – insbesondere mit Grundschulen – eine Chance, frühestmöglich Kinder und Jugendliche für ihren Sport zu begeistern. Eine AG – gerade in Wassersportarten – findet häufig nicht an Schulen, sondern in Vereinen statt. Die Kinder lernen den Weg dorthin kennen. Der bzw. die Eine oder Andere bleibt im Verein. Die Kooperation ist also ein wunderbarer Nachwuchsgenerator.

Wichtig ist auch der gesundheitliche Aspekt. Menschen und insbesondere Kinder sollen merken, dass Bewegung etwas Schönes sein kann. Das Zusammenspiel von Lernen und Bewegung hat sehr positive Effekte, sagen Neurowissenschaftler. Wer sich bewegt und dem Gehirn Sauerstoff zuführt, steigert seine Lernleistung.

  1. Was kann der Sport für den Erziehungsprozess von Kindern leisten?

Sport fördert die sozialen Kompetenzen. Sport baut Stress ab. Im Mannschaftssport werden weniger Leistungsstarke von der Mannschaft getragen und haben Erfolg. Sport heißt, mit Niederlagen umgehen. Sport heißt auch helfen – beim Gerätturnen Unterstützung geben, beim Sportklettern Vertrauen zur Person aufbauen, die das Seil sichert. Ich habe viele Jahre Freizeitfahrten mit Kindern begleitet. Daher kann ich auch als Vater aus Erfahrung sagen: Ja, sie machen Blödsinn. Aber diejenigen, die im Verein groß geworden sind, haben in der Regel gelernt, sich zu entschuldigen, wenn es angebracht war. Auch das ist Teil gelebten Fairplays. Und das lernt man am besten im Verein.

Vereine möchten junge Mitglieder binden. Das klappt gut bis sie 14-15 Jahre alt sind. Mit Beginn der Pubertät wird es dann oft schwierig. Andere Interessen rücken in den Mittelpunkt. Hier müssen Vereine Angebote machen, für die sich junge Menschen begeistern können. Sie können sich zum Beispiel als Übungsleiterassistentin bzw. -assistent um Jüngere kümmern und so lernen, Verantwortung zu übernehmen. Die Ausbildung gibt es beim Landesssportbund. Kompetenzen, die dabei vermittelt werden, sind auch im Berufsleben nützlich.

Vereine bringen Kompetenzen von außen ein und das wirkt auf die Kinder. Wenn zum Beispiel ein Maler den Jugendlichen zeigt, wie man renoviert, dann ist das etwas anderes, als wenn das der klassische Wirtschaft-Arbeit-Technik-Lehrer macht. Viele Sportlehrerinnen und  -lehrer waren früher selbst aktiv im Leistungssport, manche sogar sehr erfolgreich. Nur wenige Kinder wissen das. Wenn aber Vereine international bekannte Spitzensportlerinnen und -sportler mitbringen, dann werden sie von den Kindern anders angenommen. Dann sehen sie in ihnen Vorbilder, denen sie nacheifern wollen. Der Berliner Sport ist so vielfältig. Jedes Kind hat deshalb die Möglichkeit, seinen Lieblingssport zu entdecken und zu betreiben.

  1. Sie sind studierter Sportpädagoge und kennen den Vereinssport sehr gut. Sie waren Volleyball- und Basketball-Trainer beim VfB Hermsdorf. Im Skiverband Berlin bilden Sie Ski- und Snowboardübungsleiter aus. Sie sind ehrenamtlicher Vorsitzender des Kanuvereins „Wander-Paddler-Havel”. Was sind für Sie die größten Herausforderungen für den Vereinssport in Gegenwart und Zukunft?

Wichtig ist es, sich den veränderten Bedingungen zu stellen und mit der Zeit zu gehen. Wir haben Stand Up Paddling in unseren Verein aufgenommen. Damit sind wir kein Einsparten-Verein mehr. Leider kann ich mein Engagement im Verein aufgrund meiner neuen Tätigkeit nicht mehr vollumfänglich aufrechterhalten. Das lässt mein Amt einfach nicht zu. Aber die gesammelten Erfahrungen helfen mir natürlich ungemein.

Vereine, die wenig flexibel und nicht in der Lage sind, Schul-Kooperation zu pflegen, um für den eigenen Nachwuchs zu sorgen, werden in Zukunft große Probleme haben. Vereine sind im Wettstreit mit den modernen Medien. Wenn es nicht gelingt, Kinder, Jugendliche und junge Familien an Vereine zu binden, wird es schwer.

Wenn Vereine Angebote entwickeln und Hallenzeiten brauchen, muss geholfen werden. Deshalb bin ich froh, dass es die Schulbau-Offensive gibt. Die Hallen werden nicht nur für die Schulen gebaut. Ich setze mich dafür ein, dass dort, wo der Sport mehr Bedarf hat, auch größere Hallen gebaut werden, die nachmittags von Vereinen genutzt werden können. Die Sportmetropole Berlin kann nur weiter existieren, wenn es die Vereine gibt. Ein Beispiel ist das Volunteer-Programm für die Leichtathletik-EM. Die meisten Volunteers kamen aus den Vereinen.

  1. Es passiert sportlich viel außerhalb der Vereine: Sport im Park, in Fitnessclubs, in Ganztagsschulen oder individuell mit Fitness-Apps. Wie sollten sich Vereine gegenüber anderen Sportanbietern verhalten – abgrenzen, kooperieren, voneinander lernen?

Kooperieren. In Kitas, Schulen, aber auch Betrieben besteht die Chance, neue Mitglieder zu finden. Jeder Verein muss sein Profil der Zeit anpassen. Kleine Vereine werden schneller merken, dass Kinder und Jugendliche wieder austreten, wenn ihnen das Angebot zu verstaubt vorkommt. Großvereine mit mehreren Abteilungen sind im Vorteil. Mal macht Tennis Spaß, mal Geräteturnen, Tanzen oder Fußball – ein Großverein bietet das alles. Ich empfehle Fortbildungen beim Landessportbund oder bei den Bezirkssportbünden, wo es darum geht, wie sich Vereine zukunftsfähig aufstellen.

  1. Welche Auswirkungen hat der soziale Wandel in Berlin auf die Sportvereine – Migration, Gentrifizierung, neue Familienmodelle? Wie können sich Vereine darauf einstellen?

Berlin ist schon immer ein Schmelztiegel gewesen. Ich habe viele Jahre in Neukölln gearbeitet. Neukölln ist immer schon ein Bezirk, wo Migration eine große Rolle spielt. In Berlin gelingt die Integration im und durch den Sport seit Jahren. Nicht zu 100 Prozent. Wir haben Baustellen. Aber der Sport ist ein großer Motor. Ich danke den Übungsleiterinnen und -leitern, Trainerinnen und Trainern und Vorständen, die sich – auch sozial – sehr stark engagieren. Vereine, die das Thema ausklammern, werden nicht überleben. Unser Leben ist bunt und vielfältig und das ist auch der Sport. Ich bin Vorsitzender der Landeskommission Berlin gegen Gewalt. Sie unterstützt viele Projekte der Integration, der Inklusion und der Gewaltprävention. Es gibt viele positive Beispiele. Herausforderungen haben doch auch ihre gute Seite: Es kommen talentierte Sportlerinnen und Sportler mit Migrationshintergrund und bereichern die Vereine und unseren Sport.

  1. Wagen Sie eine Prognose: Wie sieht der Sportverein im Jahr 2050 aus?

Ich kann mir Berlin und Deutschland ohne Sportvereine nicht vorstellen. Ja, ich bin angesprochen worden: Die Ganztagsschule mache den Verein kaputt und behindere den Sport. Hier können Vereine Kooperationen anbieten. Schulen werden immer mehr versuchen, diese Angebote anzunehmen, denn sie sind darauf angewiesen. Ich bin für Multiprofessionalität in Schulen. In diesem Sinne sind Sportvereine ganz wichtige Partner. Ich finde Sport im Verein am schönsten. Auch wenn es aufgrund der Flexibilisierung der Arbeitswelt viele nicht-organisierte Individualsporttreibende in dieser Stadt gibt – sie werden irgendwann an ihre Grenzen kommen und merken, dass Sport in der Gemeinschaft vielleicht doch am meisten Spaß macht.

Ohne Sport in der Breite ist Sport an der Spitze nicht möglich. Wir brauchen das Angebot, das von unten organisiert wird. Auch 2050 wird es Menschen geben, die sich darum kümmern, dass das Vereinsleben funktioniert. Vereine mit Nachwuchssorgen können schauen, wie Vereine in der Nachbarschaft das Problem lösen und Angebote für Kinder und Jugendliche organisieren. Wer sich um Kinder und Jugendliche kümmert, wird auch noch 2050 gut aufgestellt sein.

  1. Das Sportstättensanierungsprogramm ist mit dem Doppelhaushalt 2016/17 auf 18 Millionen Euro erhöht worden. Aber 18 Millionen reichen nicht. Der Sanierungsstau ist viel größer. Setzen Sie sich für eine Erhöhung des Programms ein?

Selbstverständlich. Wir werden uns dafür einsetzen, dass das Programm in dem Umfang im nächsten Doppelhaushalt erhalten bleibt. Dann werden wir ausloten, welche Möglichkeiten es gibt, das Programm weiter auszubauen. Außerdem werden im Rahmen der Schulbau-Offensive, für die fünf Milliarden Euro zur Verfügung stehen, viele neue Sporthallen gebaut.

  1. Berlin ist eine wachsende Stadt. Der Bedarf an Sportanlagen ist groß. Viele Bezirke haben zu wenige Sportstätten. Das bestätigt eine Forsa-Umfrage, die der LSB im Frühjahr 2018 in Auftrag gegeben hatte. Der LSB fordert deshalb einen Stadtentwicklungsplan „Sport und Bewegung”. Inwiefern unterstützen Sie diese Forderung?

Wir unterstützen die Bezirke bei der Erarbeitung von Stadtentwicklungsplänen. Fünf haben dafür von uns jeweils 100.000 Euro bekommen. Pankow hat einen Sportentwicklungsplan. Die Pläne sind im Zusammenhang mit der Schulbau-Offensive wichtig. Wir müssen bis Jahresende wissen, wo der Sport mehr Flächen und mehr Hallen benötigt, sonst können wir den Bedarf nicht berücksichtigen. Bei der Kiezentwicklung sind wir mit anderen Senatsverwaltungen im Gespräch, zum Beispiel mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Es geht darum, Ausgleichflächen für den Sport zu finden, wenn an bestimmten Stellen aus Umweltschutzgründen keine Sportstätte gebaut werden kann. Der Stadtentwicklungsplan, der Sport und Bewegung einbezieht, den gibt es leider noch nicht. Die Gesundheitssenatorin, der Bewegung selbstverständlich auch sehr wichtig ist, und unser Haus sind dabei, gemeinsam ein Programm zu erarbeiten.

  1. Mit der Fördervereinbarung „Zukunftssicherung Sport” erhält auch der Nachwuchs-Leistungssport noch mehr Unterstützung. Warum ist Leistungssportförderung wichtig für die Gesellschaft?

Wir schauen immer alle zuerst auf die Spitze, auf die herausragenden Leistungen. Bei der Leichtathletik-EM war das Olympiastadion an bestimmten Tagen ausverkauft. So ein Event lebt davon, dass auch Lokalmatadore dabei sind. Robert und Christoph Harting sind Berliner Kinder. Spitzensportlerinnen und -sportler aus vielen Sportarten repräsentieren die Breite des Sports und tragen den Namen der Sportmetropole Berlin in die Welt. Spitzensport ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Veranstaltungen locken viele Gäste nach Berlin. Wichtig ist die Nachhaltigkeit dieser Veranstaltungen. Deshalb gab es die Rahmenprogramme „Laufen.Springen.Werfen.Berlin“ für die Leichtathletik-EM und vor einem Jahr „Berlin turnt bunt“ für das Internationale Deutsche Turnfest. Diese Programme sind nicht nur Werbung für die Leichtathletik und das Turnen, sie sind Werbung für den Sport insgesamt. Wir werden weiter Spitzensport fördern und Spitzensportveranstaltungen in die Stadt holen, um für den Sport in der Breite zu werben.

Das Gespräch führte Angela Baufeld in SPORT in BERLIN – September-Oktober 2018

author: GRR