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11
05
2018

Der Achter, das Paradeboot. Foto: Bildachiv Heinrich von der Becke im Sportmuseum Berlin

Sportpolitik: Der DOSB sucht den Weg aus der Krise – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Statt der goldglänzenden Zukunft entgegenzustreben, herrscht Empörung im deutschen Sport: Wo bleibt der Geldsegen? Doch die Funktionäre haben die Politik nicht überzeugt.

Der Achter, das Paradeboot.

Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes, beschwor dieses Beispiel für das Zusammenspiel von Mensch und Maschinerie, von Kraft und Willen, von Harmonie, Eleganz und einer glorreichen deutschen Geschichte, um bei der Vollversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) vor einem halben Jahr für Gemeinsamkeit bei der Reform des Spitzensports zu werben.

Seit dem Etatentwurf der Regierung und dem Bericht des Bundesrechnungshofes in der vergangenen Woche ist deutlich: Statt einer goldglänzenden Zukunft entgegenzustreben, ist das Schiff leckgeschlagen.

Innenminister Thomas de Maizière, den Kaidel damals, im Dezember, als Steuermann umwarb, ist nicht mehr an Bord. Ebenso fehlt sein Abteilungsleiter Sport im Innenministerium, Gerhard Böhm. Und womöglich sitzt so mancher, der die Reform vorantreiben sollte, verkehrt herum auf dem Rollsitz. Dass Kanzlerin Angela Merkel den treuen Gefolgsmann de Maizière bei ihrer vierten Regierungsbildung den Ansprüchen der CSU opferte, trifft das Flaggschiff des deutschen Sports schwer.

Denn anders als im Sportlerleben war dieser Steuermann kein Leichtgewicht. Er war es, der die Spitzensportreform initiierte, indem er ein Drittel mehr Medaillen einforderte im Gegenzug für die großzügige Förderung durch den Staat. Und er war es, der dem Sport einen substantiellen und nachhaltigen Zuschlag auf die aktuell 170 Millionen Euro Spitzensportförderung versprach – zusätzlich zu den fast tausend Stellen für Athleten bei Bundeswehr, Zoll und Polizei und vor dem Hintergrund einer Etatsteigerung von 132 Millionen um gut 27 Prozent auf 168 Millionen Euro.

Was ist dieses Versprechen noch wert, da Horst Seehofer das Innenministerium um die Zuständigkeit für Bau und Heimat erweitert hat und den Sport, so scheint es, seinem Parlamentarischen Staatssekretär Stephan Mayer überlässt?

Dieser hat zwar durchgesetzt, dass der DOSB den nicht als Mannschaftskameraden, sondern als Gegenspieler empfundenen Böhm los ist; der Beamte wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Doch selbst Mayer muss überrascht worden sein von der Heftigkeit der Zurückweisung, die den Sport nun getroffen hat. Wenige Tage nachdem der CSU-Abgeordnete dem paralympischen Sport fast eine halbe Million Euro mehr für dieses Jahr und einen weiteren Aufschlag von vier auf elf Millionen Euro fürs nächste versprochen hatte, ließ das Finanzministerium wissen, dass 2018 mit keinerlei Zuwachs und im nächsten Jahr statt mit den erhofften mehr als 110 lediglich mit 30 Millionen Euro zu rechnen sei.

Und dann kritisierte auch noch der Bundesrechnungshof, dass der ausbleibende Forschritt bei der Spitzensportreform eine Erhöhung der Förderung nicht rechtfertige.

Da saßen sie nun mit ihrem gestrandeten Achter, die im Dezember 2016 auf ihrer Vollversammlung in Magdeburg einstimmig für die längst nicht zu Ende gedachte Reform gestimmt hatten.

Die Kontrolleure stiegen nicht ins Boot

Sie waren überzeugt gewesen, dass sie nur irgendwie mit ins Boot mussten, um eines Geldsegens teilhaftig zu werden. „Wenn keine Mittel fließen“, hatte Kaidel nach der Konferenz der Fachverbände im Sommer vergangenen Jahres in Berlin geurteilt, „kann es keine Reform geben.“ Nun dreht der Rechnungshof die Kausalität um.

Erst das Boot flottmachen, bedeutet das, dann wird gezahlt. „Der Sport soll 2018 mehr Geld bekommen“, hatte schon im September der CSU-Abgeordnete Reinhard Brandl in der F.A.Z. angekündigt. „Dafür müssen wir wissen, ob die Meilensteine und Ziele der Reform erreicht werden.“ Er und seine Kollegen waren es, die den Bundesrechnungshof um Hilfe gebeten hatten.

Die unabhängigen Kontrolleure stiegen nicht mit ins Boot.

Noch ist von Schiffbruch nicht die Rede. Doch zur Krisensitzung kommen Verbandspräsidenten und Geschäftsführer in Frankfurt am Main an diesem Mittwoch zusammen. Sie können nicht überrascht sein. Bevor er in Koblenz ins Boot gebeten wurde, hatte de Maizière gemahnt, dass der Sport seine Hausaufgaben nicht gemacht habe.

„Mehr Geld ersetzt nicht den Reformbedarf“, warnte er. „Eingespeist in das bestehende System, bedeutete mehr Geld einfach: weiter so.“ Damals schon sprach er an, was nun einer der Kernpunkte der Kritik des Rechnungshofes ist: die Aufweichung der Vereinbarung über die Reduzierung der Bundesstützpunkte. Haben die rund 440 Delegierten etwa nicht zugehört? Externe Evaluation, ist ein Fazit von de Maizières Umgang mit dem Sport, fürchte der Sport wie der Teufel das Weihwasser.

Die nächsten Zeugnisse kommen

DOSB-Präsident Alfons Hörmann hielt sich eine Zustimmung der Delegierten von „hundert zu null“ zugute und widersprach. Der Sport habe sehr wohl seine Hausaufgaben gemacht, sagte er, und da die Länder eine eigene Liste von Stützpunkten vorgelegt hätten, liege der Zwist bei diesen und dem Bund; der Sport sei Moderator. Noch im Sommer hatte er bei der Konferenz der Spitzenverbände gefragt: „Wie schaffen wir es, die notwendigen Schritte voranzutreiben, so dass die Etatreife gegeben ist?“

Viel hat der Sport nicht moderiert in den sechs Monaten seitdem, und mangelnde Etatreife hat dazu geführt, dass es nicht mehr Geld gibt in diesem Jahr. Mit der einstimmigen „Standortbestimmung“ der Vollversammlung von Koblenz verhält es sich ähnlich. Die Verzögerungen bei der Reform werden darin als kritisch bezeichnet, doch die Spitzenverbände hätten diese nicht zu verantworten. Hörmann formulierte das Basta in Koblenz so: Der Sport sei bei der Umsetzung der Reform an einem Punkt angelangt, an dem die Möglichkeiten des Sports endeten.

Dennoch meldete der DOSB im Mai, nach dem Gewinn von 31 Medaillen bei den Olympischen Winterspielen, optimistisch einen Förderbedarf an, der sich bis zum Olympiajahr 2020 auf jährlich 300 Millionen Euro summiert – plus Stellen.

Womöglich hatte den Sportfunktionären das Scheitern der ersten PotAS-Kommission nach nur einem Vierteljahr suggeriert, dass sie die sportfachliche Hoheit zurückerlangt und damit freie Fahrt zu großzügiger Förderung hätten. Als der Münsteraner Psychologe Bernd Strauß zurücktrat, übernahm der Potsdamer Sportwissenschaftler Urs Granacher die Leitung der Kommission und definierte seinen Auftrag erfrischend defensiv.

Er prognostiziere keine Medaillen oder individuellen Karriereverläufe, sagte er, sondern bewerte die Rahmenbedingungen. In wenigen Monaten kommen diese Zeugnisse für die Verbände des Wintersports: die nächsten Urteile, die den Sport eigentlich nicht überraschen dürften.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 9. Mai 2018

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR