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30
09
2020

Die Weltrkordstaffel Philipp Pflieger, Richard Ringer, Florian Orth und Johannes Motschmann - Foto: Horst Milde

Sportler, schaut auf diese Stadt – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Nicht nur der Marathon, der gesamte Berliner Profi-Sport rennt um sein Leben 

„Wir haben ein Zeichen für den Laufsport gesetzt“, sagte Johannes Motschmann, als er seine zehn Kilometer hinter sich hatte. „Wir sind für all die gelaufen“, ergänzte Richard Ringer, „die heute nicht mitmachen konnten.“

Große Worte dafür, dass anstelle der gut 50 000 Läuferinnen und Läufer, die stets am letzten Sonntag des Septembers in Berlin auf die Marathonstrecke gehen, diesmal die Läufer Motschmann und Ringer, Philipp Pflieger und Florian Orth unterwegs waren. Im abgesperrten Kreisverkehr rannten sie ohne Publikum abwechselnd um die Siegessäule herum, 105 Runden. Vier Sekunden unter der Weltrekordzeit, die der Kenianer Eliud Kipchoge vor zwei Jahren in Berlin auf 2:01,39 Stunden verbesserte, brachte ihre Staffel die Marathon-Distanz von 42,195 Kilometer hinter sich.

So unbedeutend die sportliche Leistung, so gewichtig das Zeichen.

Als ginge es darum, noch einmal zu rufen: Sportler der Welt, schaut auf diese Stadt, gab der Regierende Bürgermeister Michael Müller den Startschuss und ging der Fernsehsender der Region, RBB, mit Ü-Wagen, Moderatorenbühne und riesigem Kranwagen für die Draufsicht live an den Start. „Das Signal ist wichtig, dass es wieder losgeht“, sagte Müller. „Das Publikum kann wieder Sport erleben beim Istaf, beim Fußball und beim Marathon.“

Das klingt besser, als die Lage ist. Nicht nur den Berlin-Marathon musste dessen Veranstalter, die SCC Event GmbH, absagen. 2019 machte das Unternehmen mit siebzig Angestellten und sechzehn Großveranstaltungen vom Halbmarathon bis zur Team-Staffel knapp 19 Millionen Euro Umsatz. „In diesem Jahr ist die Geschäftsgrundlage vollständig weggefallen“, sagt Geschäftsführer Jürgen Lock.

Nicht nur der Berlin-Marathon, der gesamte Profi-Sport der Stadt rennt um sein Leben.

Vier Millionen Euro stellt der Berliner Senat Vereinen in Not zur Verfügung, zwei Millionen fließen mittels Stadtmarketing den großen Klubs – Hertha und Union, Alba und Füchsen, Eisbären und Volleys sowie dem Marathon zu.

Die Maskottchen der Berliner Hauptstadt-Clubs – Foto: Horst Milde

Verzweiflung und Zuversicht spiegelten sich in der Präsenz der Klubs und ihrer Maskottchen auf der Straße des 17. Juni, wenige hundert Meter westlich des Brandenburger Tors. Kaweh Niroomand, Geschäftsführer der Berlin Volleys und Sprecher der Profi-Klubs stieß ins selbe Horn wie Müller: „Wir zeigen, dass die Sportstadt Berlin lebt; darüber hinaus ist dies eine Anerkennung der Zusammenarbeit, die wir mit dem Senat begonnen haben und die uns sehr geholfen hat, diese schwierige Lage zu überstehen.“ Marco Baldi, sein Kollege vom Basketball, mahnt, dass die Sportlandschaft ein Aushängeschild Berlins sei. Auf die Frage, ob nicht auch der Marathon an den 200 Millionen, die der Bund den Profi-Ligen außer erster und zweiter Fußball-Liga zur Verfügung stellt, partizipieren sollte, erwiderte er: „Ich weiß nicht, ob dieser Überbrückungsfonds auf Dauer reicht. Wir müssen deutlich machen, was da kulturell und sozial verlorengehen könnte.“

Von den 25 Milliarden Euro, mit denen der Bund den Mittelstand unterstützen will, hat der Mittelständler Berlin-Marathon 25 000 beantragt – ein Tropfen auf den heißen Stein. „Was wir machen, ist auf der einen Seite Spitzensport und auf der anderen Breitensport“, sagt Marathon-Organisator Lock. „Darüber hinaus sind wir Wirtschaft, sind wir Tourismus. Beim Bund wird nicht ressortübergreifend zusammengearbeitet, deshalb fühlt sich niemand zuständig. Eigentlich brauchten wir einen runden Tisch, an dem alle gemeinsam überlegen: Wie kriegen wir das im nächsten Jahr gewuppt?“

Foto: Horst Milde

Soll im April wie üblich der Halbmarathon stattfinden, muss die Organisation jetzt beginnen. „Welche Garantien können wir erhalten, wenn auch dieser Lauf ausfallen muss?“ fragt Lock. Er fordert Flexibilität bei den Hygienebestimmungen. Seine Stadtläufe werden erst von 30000 Teilnehmern an wirtschaftlich. „Mit anderthalb Metern Abstand ist das nicht zu schaffen“, sagt er.

Sein Race-Director Mark Milde denkt darüber nach, alle Teilnehmer vor dem Start auf das Virus zu testen. Da dem Berlin-Marathon nicht die Zuschauer wegbrechen, sondern die zahlenden Teilnehmer, fordert auch der Präsident des Landessportbundes Berlin, Thomas Härtel: „Der Bund muss das Hilfspaket für die Profi-Ligen anpassen. Der Marathon und das Leichtathletik-Sportfest Istaf gehören da hinein.“

13 000 Läuferinnen und Läufer hatten die App heruntergeladen, mit der sie überall auf der Welt schauen konnten, wie weit sie in den 2:01,39 Stunden von Kipchoge kommen.

Das sind doppelt so viele wie die Petition für die Rettung der großen und kleinen Läufe in Deutschland unterzeichnet haben, zu der German Road Races aufruft, die Organisation der Veranstalter.

„Das ist rätselhaft“, sagt dazu der ehemalige Politiker Härtel, „der Sport ist wenig kampagnenfähig.“ Millionen laufen, aber nur sechstausend von ihnen fordern Hilfe für Läufe. Kann es sein, dass die Not noch nicht groß genug ist?

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 28. September 2020

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

„Der etwas andere Marathon-Tag“ – Der BERLIN-MARATHON 2020 im live-stream im RBB:

https://www.ardmediathek.de/rbb/video/rbb-sport/der-etwas-andere-marathon/rbb/Y3JpZDovL3JiYi5kZS9yYmItc3BvcnQtb25saW5lLzIwMjAtMDktMjdUMDg6NTU6MDBfNzgwZmFmZDQtNTkxNS00NjJmLTk5NzgtMTQwYWMxOGM3OTkwL3ZvZC1saXZlc3RyZWFtLWRlci1ldHdhcy1hbmRlcmUtbWFyYXRob24/

 

RETTET UNSERE LÄUFE – SAVE THE EVENTS – Foto: Victah Sailer

„Rettet unsere Läufe“ – Wir brauchen jede Stimme, um den Laufsport zu retten. Helfen Sie bitte mit und beteiligen Sie sich an der Petition!

Hier geht es zur Petition:

https://www.openpetition.de/petition/online/save-the-events-o-rettet-unsere-laeufe

Instagram: #SaveTheEvents – Rettet unsere Läufe

 

author: GRR