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18
04
2021

Berliner Teamstaffel am Bundeskanzleramt (im Hintergrund) ©Horst Milde

Sport ins Kanzleramt! Ministerien fördern die Arbeit der 90 000 Vereine. Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Aber die Pandemie zeigt, dass die Bewegungskultur im Zweifel Verhandlungsmasse bleibt, falls sie nicht zur Chefsache wird.

Nach der Wahl im September, wenn die Ressorts neu zugeschnitten und vergeben werden, soll der Sport näher ans Zentrum der Macht rücken. „Der Sport ist oft Verhandlungsmasse bei den Koalitionsverhandlungen; mal geht er an Inneres, mal an Kultur, mal an Schule und Bildung, an Familie und Jugend“, sagt Thomas Härtel. „All dies kann man vernünftig begründen.

Aber der Sport wird dabei zu wenig ressortübergreifend beachtet.“ Härtel spricht als Präsident des Landessportbundes Berlin für seine Stadt. Doch am selben Tag, an dem Berlin sein Abgeordnetenhaus wählt und damit den Regierenden Bürgermeister oder die erste Regierende Bürgermeisterin, wählt Deutschland seinen zwanzigsten Bundestag und damit den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Was er für das Land Berlin fordert, empfiehlt Härtel auch für den Bund. „Der Sport hat in der Breite eine gesellschaftliche Aufgabe: Teilhabe, Inklusion, Integration, Bildung, Gesundheit bis zu Demokratieförderung und gesellschaftlichem Zusammenhalt“, sagt der SPD-Politiker.

Er war sowohl in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport als auch in der für Inneres und Sport Staatssekretär: „All das sind Themen, die der Sport in sich trägt. Es wäre sinnvoll, die Zuständigkeit für den Sport in der Senatskanzlei anzusiedeln.“ Und im Großen: die Zuständigkeit für den Sport im Bundeskanzleramt.

Als Beispiel dient Befürwortern einer solchen Organisation die Staatsministerin für Kultur und Medien. Monika Grütters, direkt dem Kanzleramt zugeordnet, leitet eine Behörde von 380 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und verfügt über einen Etat von mehr als zwei Milliarden Euro. Dazu kommen ein Konjunkturprogramm im Wert einer weiteren Milliarde und die schon traditionelle Großzügigkeit des Haushaltsausschusses. Von der Bedeutung der Kultur kann der Sport nur träumen.

Härtel empfiehlt als Beispiel die CDU/FDP-Regierung in Düsseldorf. Ministerpräsident Armin Laschet hat bei der Regierungsbildung für Nordrhein-Westfalen 2017 Sport zu einem Querschnittressort gemacht und in die Staatskanzlei geholt. Das gab es zuvor nicht in Deutschland. Andrea Milz, seine Staatssekretärin für Sport und Ehrenamt, stellte Laschet schon mal mit den Worten vor: „Sie unterrichtet Indoorcycling, Hot Iron und Zumba. Was immer das alles ist.“ Es ist Hobby- und Freizeitsport und die Berufung von Milz ein Zeichen, dass die Förderung von Spitzensport nicht mehr das einzige Thema ist, mit dem sich Politik befasst.

„Dies signalisiert, dass Sport Chefsache ist, dass er als großes zivilgesellschaftliches Thema gesehen wird„, sagt Christoph Niessen, der Vorstandsvorsitzende des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen (LSB): „Ganz pragmatisch erleichtert dies den Zugang zum Kabinett. Man ist nicht abhängig davon, ob der Minister oder die Ministerin, bei der man mit seinem Thema ressortiert, stark ist oder nicht. Das, was ins Kabinett eingebracht wird, wird immer mit der Richtlinienkompetenz eingebracht. Quasi ist der Ministerpräsident der Sportminister, einerlei ob er das persönlich ausfüllt oder delegiert.“

Noch ist nicht entschieden, ob Laschet überhaupt für CDU und CSU ins Rennen um die Kanzlerschaft geht. Sollten Wähler und Koalitionspartner ihn an die Spitze der nächsten Bundesregierung tragen, steht zu erwarten, dass er dem Sport auch national die Rolle zuweist, die dieser im Westen des Landes spielt. In Nordrhein-Westfalen sind nicht wenige davon überzeugt, dass etwa das Förderprogramm des Landes für vereinseigene Sportstätten mit einem Volumen von 300 Millionen Euro allein auf die Nähe des Sports zum Regierungschef zurückzuführen ist. Mag sein, dass der Geldsegen auch der vorerst gescheiterten Olympiabewerbung von Rhein-Ruhr zu verdanken ist – immerhin war und ist auch diese Chefsache. „Die Einflughöhe ist eine andere“, sagt Niessen, „als wenn Sport der zehnte Buchstabe in einem Buchstaben-Ministerium wäre.“ Mit einem Federstrich habe Düsseldorf zum Beispiel zehn Jahre währende Querelen zwischen der Sportstiftung des Landes und dem LSB gelöst; es ging ums Geld.

Neu ist die Idee von der Aufwertung des Sports im Bund nicht. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier berief 2009 Dagmar Freitag in sein Schattenkabinett. Sie hätte Staatsministerin für Sport im Kanzleramt werden sollen. „Gerade in der Pandemie wird einmal mehr deutlich, wie wichtig es wäre, dass es eine Stelle gibt in der Bundesregierung, die sich ausschließlich dem Sport widmet“, sagt Dagmar Freitag, die seit bald zwölf Jahren dem Sportausschusses des Deutschen Bundestages vorsitzt. In der Krise könne sich der Bund allein mit dem Spitzensport befassen. „Sport ist ein gesellschaftliches Phänomen, das als Kulturgut positiv gesehen wird“, sagt sie. „Das sollte auch in der Regierung entsprechend abgebildet sein – in der Kultur geht es schließlich auch.“ Für den Posten, sollte er geschaffen werden, steht Dagmar Freitag nicht zur Verfügung. Nach sieben Legislaturperioden im Hohen Haus stellt sie sich im September nicht mehr zur Wahl.

Bei einer Zentrierung des Sports im Kanzleramt würde zusammenwachsen, was zusammengehört.

Allein die Spitzensportförderung, nach jahrzehntealter Argumentation aus Gründen der nationalen Repräsentation durch Flagge, Hymne und Nationalmannschaften vom Bund finanziell unterstützt und vom Innenminister verantwortet, besteht aus viel mehr als der Förderung mit knapp 300 Millionen Euro aus dem Hause Seehofer. Da gibt es die wegen der Verschiebung der Olympischen Spiele auf gut neunhundert gestiegenen Förderstellen für Top-Athleten bei der Bundeswehr; mitsamt Infrastruktur in 15 Sportfördergruppen lässt das Verteidigungsministerium sich dies 46 Millionen Euro pro Jahr kosten. Auch Bundespolizei und Zoll, der zum Finanzministerium gehört, unterhalten Sportfördergruppen und unterstützen damit den olympischen Sport mit Millionen.

Sport in Afrika und Asien entwickeln und fördern, hier in den Regionen, dort in Flüchtlingslagern, das Außenministerium unter Heiko Maas wie das Entwicklungs-Ministerium von Gerd Müller. Die Staatsministerin für Integration, Annette Widmann-Mauz, überlässt den Sport zur Integration dem Innenministerium und fördert selbst Integration durch Ehrenamt und Engagement. Das Finanzministerium von Olaf Scholz fördert Sportvereine durch die Ehrenamtspauschale und fordert ihn mit dem geplanten Transparenzregister. Das Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier hat die Hilfe für Profivereine in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro auf den Weg gebracht und dem Innenministerium überlassen. Das Ministerium für Arbeit und Soziales von Hubertus Heil engagiert sich für Inklusion im und durch Sport sowie für die Rechte von Vertragsamateuren.

Das Familienministerium von Franziska Giffey unterstützt Sport als Feld gesellschaftlicher Teilhabe und verbindet ihn mit Pflege, Kultur sowie Inklusion. Das Gesundheitsministerium von Jens Spahn, das zuletzt Schlagzeilen machte, als es den gesetzlichen Krankenkassen die Förderung von Spitzensport verbieten wollte, fördert Bewegung in Prävention, Therapie und Rehabilitation. Das Umweltministerium von Svenja Schulze fördert Projekte zum Lärmschutz und zu Biodiversität auf Sportplätzen.

Kein Ressort ohne Bezug zum Sport: Darin spiegelt sich die Vielfalt des Sports, dessen Verankerung in der Gesellschaft und dessen Wert. Sport bietet dem Staat mehr als den Platz eines seiner Repräsentanten auf dem Podium und eine Position im Medaillenspiegel. Gilt da noch die Überzeugung von Horst Seehofer, dass der Sport am besten bei ihm aufgehoben sei, da das Wort des Innenministers Gewicht hat am Kabinettstisch? Was erst wäre möglich mit einem Regierungschef oder einer Regierungschefin mit Affinität zum Sport, welche man Angela Merkel trotz ihres lange zurückliegenden Besuchs in der Kabine der Fußball-Nationalmannschaft und trotz ihrer regelmäßigen Auftritte bei der Auszeichnung von Vereinen mit dem Goldenen Stern des Sports nicht nachsagen kann? „Eine Person mit Zugang zur engsten Runde der Kanzlerin oder des Kanzlers wäre extrem wertvoll für den Sport“, sagt Niessen: „Er würde viel mehr von dem erreichen, was er derzeit auf Bundesebene nicht erreicht.“

Der Berliner Härtel verweist auf die Nationale Strategie Großveranstaltungen, hinter der sich der Plan einer Olympiabewerbung Deutschlands verbirgt, und zugleich auf die Anerkennung der 90 000 Sportvereine als immaterielles Kulturgut. „Um die Frage zu beantworten: Wo steht Deutschland, wohin will Deutschland?, braucht man Rückhalt in verschiedensten Ressorts und vor allem bei der Regierungsspitze. Allein die Themen Teilhabe und Inklusion gehen quer durch alle Politikbereiche“, sagt er.

In den gemeinnützigen Sportvereinen würden ständig Entscheidungen getroffen. „Man darf das als Demokratiebildung nicht unterschätzen. Dies zu fördern ist eine politische Aufgabe. Diese Chance sollte man nutzen und den Sport beim Regierungschef oder der Regierungschefin ansiedeln.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 8. April 2021

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

 

 

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