Blog
30
08
2019

Sifan Hassan bei der PK in Berlin - Foto: Horst Milde

Sifan Hassan und das Glaubensbekenntnis einer besonderen Läuferin: „Ich danke Allah!“ von KLAUS BLUME

By GRR 0

Mitten in ihrem Zürcher Hotel hatte ihr Management ein Höhenzelt aufgebaut. Denn es sollte hoch hinaus gehen beim ersten Diamant League-Finale 2019 am Donnerstag im Letziggrund.

Nach 1500 Metern blieben die Uhren für Sifan Hassan diesmal bei 3:57,08 stehen – für die, mit Abstand, beste Läuferin dieser Saison. Vielleicht sogar für die beste der Leichtathletikgeschichte?

Ihre Bandbreite, längst nicht voll ausgereizt, bleibt zwar verblüffend aber sie ist dokumentiert. Diese reicht von 800 Meter (1:56,81 Minuten) über 1500 Meter (3:55,30), eine englische Meile (4:12,33), 3000 Meter (8:18,49) und 5000 m (14:22,12) bis zum Halbmarathon (1:05,48 Stunden).

Ihr Trainer Alberto Salazar erwägt nun, Sifan Hassan bei den Weltmeisterschaften Ende September in Doha über 1500 und 10 000 Meter starten zu lassen. Ihr niederländischer Verband wird dem wohl zustimmen. Gewinnt sie auch dort, könnte sie endgültig zu einer einmaligen Persönlichkeit in der Frauen-Leichtathletik aufsteigen.

Vergleiche mit anderen Läuferinnen sind dabei kaum möglich. Weder mit den schnellen aber umstrittenen Chinesinnen der 1990er Jahre, noch mit den teilweise gedopten Athletinnen aus Russland. Auch Vergleiche mit der unglaublichen Sonia O‘ Sullivan und der großen Paula Radcliffe können nur unzureichend bleiben.

Vielseitig waren beide.

Sonia O‘Sullivan lief die 800 Meter in 2:00,09 Minuten und war bei Cross-Rennen kaum zu schlagen. Ihre Marathon-Bestzeit von 2:29:01 Stunden ist zwar beachtlich, hängt aber hinter Sifan Hassans Halbmarathon – immerhin dem achtschnellsten aller Zeiten – weit zurück. Dass man sie auf einer Briefmarke verewigt hat, dass sie Irland bei den Olympischen Spielen 2012 als Chef de Mission vertrat, sagt zudem viel über den Menschen Sonia O‘Sullivan aus.

Und die britische Deutschlehrerin Paula Radcliffe? Auch ihre Bandbreite reichte einst von den 800 Metern (2:05,22) bis zum heute noch bestehendem Marathon-Weltrekord von 2:15,25 Stunden aus dem Jahre 2003 – aber diesen außergewöhnlichen Label hat sie auf anderen Distanzen nie erreicht. Deshalb hint auch hier jeder Vergleich.

Und nun kommt die 26-jährige Sifan Hassan daher und wischt, was gewesen ist, scheinbar im Handstreich zur Seite. Zum Beispiel über eine Meile. Gelaufen ohne große Vorbereitung, weil sie – die strenggläubige Muslimin – zuvor den vierwöchigen Ramadan ohne Wenn und Aber ein- und ausgehalten hat. Das hieß, sie hat reduziert trainiert, weil sie stets erst nach Sonnenuntergang essen und trinken durfte. Und das schlaucht.

„Ich danke Allah!“ schreibt die gebürtige Äthiopierin bei Instagram, jetzt, nach ihren letzten schnellen Auftritten. Was nicht einfach nur dahin geschrieben ist. Sondern ein bewusstes Statement für die Öffentlichkeit sein soll. Denn im Gespräch erklärt sie, sie schäme sich, kein Kopftuch zu tragen und in kurzen Hosen und knappem T-Shirt vor aller Welt in einem Stadion zu laufen. Das alles sei nicht gut. Sie weiß, dass man in Europa, wohin sie einst ohne Familie geflüchtet ist, aber auch in ihrer neuen Wahlheimat, den USA, Muslime nur allzu gern in eine Schublade mit Islamisten steckt, doch das steckt sie einfach weg. Was soll sie dagegen tun?

Das ist die eine Seite der Sifan Hassan, die andere ist die der professionellen Läuferin aus dem Oregon-Projekt des amerikanischen Trainers Alberto Salazar. Was nachdenklich macht, weil Salazar in dem Ruf steht, auch schon mal mit nicht zugelassenen Substanzen gearbeitet zu haben.

Um ihre geschäftlichen Belange, und die sind nicht von Pappe, kümmert sich die niederländische Agentur des ehemaligen Stundenweltrekordlers Jos Hermens. Ein Sportvermarkter aus der allerersten Reihe. Dort sagt man, es sei in den letzten Jahren nicht immer einfach gewesen, mit Sifan Hassan zu arbeiten. Vor allem deshalb, weil sie manchmal tagelang nicht an ihr Handy gegangen sei. Doch das habe sich zu ihren Gunsten geändert. Sehr geändert.

Das kann aber nach den Olympischen Spielen 2020 urplötzlich wieder vorbei sein. Denn schon jetzt kündigt sie an: „Ich habe in den letzten Jahren alles für meinen Sport getan aber bald sind wieder Änderungen erforderlich.“

Morgen oder erst übermorgen?

Klaus Blume

author: GRR