Malaika Mihambo - Das Brett nicht getroffen: Malaika Mihambo bei der EM in Polen 2019 Brussels Diamond League Brussels, Belgium September 06, 2019 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com
Rückschlag für Leichtathletin: Malaika Mihambo und eine heikle Angelegenheit – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die deutsche Weitspringerin Malaika Mihambo fliegt bei der Leichtathletik-Europameisterschaft am weitesten. Sie wird aber nur Zweite, weil sie zu früh abspringt.
Platz zwei, belohnt mit einer Silbermedaille – für Malaika Mihambo ist dies ein bittersüßes Ergebnis. In der polnischen Stadt Torun gewann die Weitsprung-Weltmeisterin von Doha 2019 am Samstagabend bei der Hallen-Europameisterschaft ihre erste Medaille in der Halle.
Doch das fühlte sich für sie wie eine Niederlage an. Die Ukrainerin Maryna Bech-Romantschuk erreichte im sechsten Durchgang, mit dem vorletzten Sprung des Abends, 6,92 Meter. Damit übertraf sie Malaika Mihambo um vier Zentimeter und verdrängte sie von Platz eins.
„Effektiv war ich die Beste, aber offiziell nur die Zweite“, konnte die 27 Jahre alte Malaika Mihambo hinterher konstatieren: „Ich habe es einfach nicht hinbekommen.“ Mit entschlossenem Anlauf und einem Riesensatz reagierte sie auf die Leistung der Ukrainerin – und flog 7,07 Meter weit.
„Relative Weite“, korrigierte ihr Trainer Ulli Knapp am Sonntag: „Man muss halt das Brett treffen.“ 29 Zentimeter vor dem Balken war Malaika Mihambo abgehoben, das ergab, vom Brett aus gemessen, lediglich 6,78 Meter; das zweitbeste Resultat für den finalen, ihren weitesten Sprung des Abends.
Für eine Athletin, die nicht nur Tempo und Schnellkraft trainiert, sondern auch Nervenstärke, ist dies ein Rückschlag. Dennoch: „Zu wissen, dass ich weit springen kann, macht mich glücklich und zeigt mir, dass ich vom Niveau her noch sehr gut bin“, urteilte sie über ihre Titelkämpfe: „Ich bin hungrig geblieben. Vielleicht ist dies für Olympia exakt die richtige Vorbereitung.“
Den Rhythmus nicht hinbekommen
Sie habe den Rhythmus nicht hinbekommen, stellte Knapp fest. Weil sie bei den wenigen Wettkämpfen, die in diesem Winter möglich waren, einige Male übergetreten sei, habe sie diesmal offenbar ein wenig zurückgezogen. Die Präzision beim Absprung ist eine heikle Angelegenheit. Malaika Mihambo rast derzeit mit einem Tempo von 9,80 Meter pro Sekunde (mehr als 35 Kilometer pro Stunde) dem Balken entgegen. Da ist es schon eine große Meisterschaft, den Fuß zum Absprung präzise auf den zwanzig Zentimeter breiten Balken zu setzen.
Das Timing scheint verlorengegangen, da die Weltmeisterin, nachdem sie im Jahr der verschobenen Olympischen Spiele ein Vierteljahr Pause machte, um Rückenbeschwerden auszukurieren, ihren Anlauf um vier Schritte verkürzte und erst seit wenigen Woche wieder mit zwanzig Schritten und damit höherer Geschwindigkeit anläuft. Schon in der Qualifikation, als sie im dritten Versuch mühsam 6,58 Meter erreichte, war sie brutto dreißig Zentimeter weiter geflogen. Ihr bestes Resultat dieser Titelkämpfe war, eigentlich, ein Sieben-Meter-Sprung. Zu den 6,88 Metern aus der Ergebnisliste gehören verschenkte 13 Zentimeter, die allein die Messgeräte und ihr Trainer sah.
Malaika Mihambo vergibt mit dem unpräzisen Absprung nicht nur Weite, die sie tatsächlich fliegt, sondern noch dazu den federnden Effekt des Balkens, der ein paar Zentimeter bringt. „Wenn sie das Brett so optimal getroffen hätte wie die Ukrainerin bei ihrem letzten Versuch, wären 7,05 bis 7,10 Meter drin gewesen“, sagt Knapp. So steht am Ende einer Saison, in der die Weltmeisterin aus Oftersheim nicht ein einziges Mal sieben Meter übertraf, eine für Athletin wie Trainer beruhigende Gewissheit: Man sieht es nicht in der Grube, nicht in den Ergebnislisten, aber Malaika Mihambo ist trotz eingeschränkter Sommer- und Winter-Saison immer noch eine Sieben-Meter-Springerin.
Eine Woche vor der deutschen Hallen-Meisterschaft stieß sich die Sportlerin so heftig an der Tür ihres Autos, dass sie eine Gehirnerschütterung erlitt und eine Woche pausieren musste. „Sie ist in Top-Form“, beteuert Knapp, dem die Athletin praktisch zugefallen ist, weil sie und ihr Entdecker und langjähriger Coach Ralf Weber sich getrennt haben, die Pandemie aber den Umzug nach Amerika verhinderte, wo sie bei Carl Lewis in Houston (Texas) trainieren wollte.
Umgekehrt zu Malaika Mihambo machte es in Torun der Dreispringer Max Hess. Bei vier von sechs Versuchen trat er über. Erst im sechsten Sprung übertraf der Student aus Chemnitz 17 Meter, um einen Zentimeter – und kam zum dritten Mal bei einer Hallen-Europameisterschaft auf Platz drei; hinter dem Portugiesen Pedro Pichardo (17,30 Meter) und Alexis Copelo (Aserbaidschan/17,04).
„Ein bisschen bitter“, fand auch er das Resultat: „Es lief so gut, dass ich beim Anlauf immer dichter ans Brett gerückt bin.“
Mit jedem einzelnen seiner Sprünge habe er 17 Meter erreicht. Relativ.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 7. März 2021
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.