The altar of the Kaiser Wilhelm Memorial Church in Berlin - Photo: Horst Milde
Osterpredigt 2021 … brannte nicht unser Herz? – Von den marathonlaufenden Pfarrern Peter Burkowski und Lars Charbonnier
„Bleiben Sie gesund, indem Sie laufen!“ Ihnen musste das eigentlich keiner sagen.
Seit über 15 Jahren laufen sie regelmäßig. Sie wissen beide, wie gut es ihnen tut. Gemeinsam die Zeit laufend zu verbringen, tut ihnen gut, und alleine laufen auch. Sicher, im Winter ist es immer schwerer. Und Corona steckt ihnen in den Knochen.
Die Trainingsanreize fehlten ja eh; schon fast ein ganzes Jahr, kein Lauf fand statt. Allenfalls virtuell konnten sie an Wettkämpfen teilnehmen, aber so richtig motivierend war das nicht. Besser als nichts, natürlich, und trotzdem… Manchmal war die Couch dann doch attraktiver als noch mal die Laufsachen anzuziehen. So viel Disziplin war nötig in den ganzen Monaten der Pandemie, um die Arbeit zu schaffen, die Kinder gut zu begleiten, die eigene Kräfte und Sorgen in der Balance zu halten. Da fehlte sie dann manchmal zum Laufen… und dann kamen immerhin die ersten Frühlingsanzeichen.
Und die Ausschreibung: Marathon durch Wald und Flur am Ostermontag, Teilnehmerinnenzahl stark begrenzt, unterschiedliche Startzeiten, gültiger Selbsttest. Sie haben beide einen Platz bekommen!
So sitzen sie nun beide im Auto auf dem Weg zum Lauf. Jens, der seit acht Jahren einer florierenden Firma im Softwarebereich vorsteht, und Marion, die seit 20 Jahren als Gymnasiallehrerin arbeitet. Ihre drei Kinder sind zuhause geblieben. Eine der positiven Erfahrungen der Corona-Zeit, dass sie die drei nun voller Vertrauen und ganz beruhigt allein zuhause lassen können.
Nicht alles war von Nachteil… Schweigend sind sie unterwegs.
Das Radio läuft, leichte Musik, Nachrichten, zwischendurch evangelische Impulse für den Tag. Beide hören durchaus aufmerksam zu, was die Pfarrerin mit der freundlichen Stimme sagt. Sie gehen nicht in die Kirche. Und doch hat die Kirche sie erreicht in den letzten Monaten. An vielen Tagen in den letzten Monaten ist Marion am Kirchturm vorbeigefahren. „Fürchte Dich nicht!“ stand dort auf einem Banner seit der Adventszeit.
An manchen Tagen hat sie dieser Satz sehr berührt. Bei Jens auf dem Schreibtisch steht seit dem ersten Lockdown eine Postkarte. Die örtliche Gemeinde hatte sie ihnen geschickt, zum Osterfest 2020. „Hoffnung, trotz alledem!“ stand darauf. Und auf der Rückseite ein Psalmwort: „Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie Dich behüten auf allen Deinen Wegen!“. Immer mal wieder nahm er sie zur Hand und hielt sich an ihr fest in den letzten Monaten…
Nun laufen sie schon einige Kilometer. Einfach war der Start nicht. Beide fragten sich, ob das wohl wirklich die richtige Entscheidung war. Die ersten Kilometer gehen immer, aber spätestens ab km 12 kommt diese Frage. Zumal die Unterstützung fehlt – sie sind fast allein unterwegs. Keine Zuschauer an der Strecke
Zwar gibt es alle 2 km ein Schild, alle 5 km eine Getränkestation, bei einer Strecke mit zwei Runden eine tolle Leistung der Ehrenamtlichen, aber wirkliche Unterstützung ist das nicht… Und so tuen sie, was sie sonst auch tun, sie konzentrieren sich auf sich. Da ihnen die Zeit heute egal ist, können sie es sich erlauben, sich den eigenen Gedanken hinzugeben. Viel zu selten konnten sie das in den letzten Monaten…
Jens Gedanken wandern, wie so oft, zu seiner Firma. Sie wollten richtig expandieren im Jahr 2020. Stattdessen Kurzarbeit und Einstellungsstopp. Immerhin keine Kündigung. Aber das war harte Arbeit. Und leider muss er seine Kantine neu aufstellen, denn diese hatte er an eine Fremdfirma vergeben. Die konnte sich nicht halten. Deshalb hat er sich eines fest vorgenommen: Sobald es wieder besser geht, wird er die Kantine selbst betreiben. Denn es steht für ihn außer Frage, dass hier Kultur gemacht wird – und die Kultur prägt auch den Erfolg! Und die alten Mitarbeitenden, die konnten das schlechteste Essen ausgeben, als wäre es haute cuisine…
Ostern im Kloster Jerichow – Foto: Horst Milde
Marions Gedanken wandern auch zu ihrer Arbeit. Genauer: zu Marleen. Sie konnte viel verstehen in den letzten Monaten: Dass sich Eltern beschweren über schlechte Begleitung – obwohl sie nichts für die Ausfälle der Bildungsplattform konnte, die sie nutzen sollte. Dass Kinder die Motivation verlieren und in ihren Leistungen absacken – das tat ihr richtig weh. Und dass ihre Ängste kaum gehört wurden, dieses Risiko, selbst bei halben Klassen saßen 13 Schülerinnen und Schüler vor ihr, und sie wusste genau, wer die Maske verweigerte… Am Schlimmsten aber war es für sie, dass sie manche Kinder gar nicht mehr erreichte. Drei Mal hat sie schon bei Marleen vor der Haustür gestanden, ohne Erfolg. Natürlich ahnte sie, was das bedeutete, natürlich war es richtig, das Jugendamt zu informieren, aber ob das Marleen hilft…
So wandern die Gedanken der beiden, vorbei an km 21, in die zweite Runde hinein, werden tiefer und persönlicher, nicht unbedingt heller. Und mitten drin in diesem Karussell an Gefühlen und Gedanken erwischt sie die Erfahrung, auf die sie immer hoffen, ohne sie garantieren zu können – die Anstrengung fällt ab, die Beine werden leicht, das Laufen geht wie von alleine – Flow… und so fliegen sie dahin über die nächsten Kilometer … Für eine gewisse Zeit wird es nun nichts Schweres geben, auch die Gedanken werden leichter, fliegen in Höhen und Weiten, die gut tun. Ein Lächeln auf dem Gesicht, aufmunternde Blicke zueinander … wie gut, dass wir gestartet sind!
Und dann ist der Flow plötzlich vorbei. Sie passieren gerade km 38. Plötzlich werden die Beine wieder schwer, die Luft knapp. Sie kennen das beide. Nun kommt es wirklich darauf an, zu kämpfen. Sich durchzubeißen, so schwer es auch fällt. Das erste Mal seit langem schauen sie um sich. Die letzten Kilometer haben sie kaum auf ihre Umgebung geachtet. Nun sehen sie, dass sie nicht ganz allein unterwegs sind. Einige andere Läuferinnen sind um sie herum. Mit manchen sind sie gestartet, andere haben sie wohl eingeholt, andere kommen von hinten. Weiterlaufen. Km 39.
Einige Gesichter der anderen schauen sie an. Erschöpft, und doch mit einem Leuchten in den Augen. „Kommt, wir schaffen das!“ scheinen sie zu sagen. Auch Marion und Jens sagen sich das – wie so oft in den letzten Wochen und Monaten. Wie gut es tut, jetzt die Kraft anderer zu spüren, überhaupt Kraft zu spüren in all der Ermüdung. Und so laufen sie weiter. Km 40, km 41, km 42, und tatsächlich das Ziel. Vergessen all die Mühen. Sie fallen sich in die Arme. Halten die Medaille ganz fest. Sie wird ihnen beiden eine wichtige Erinnerung bleiben…
Eine Stunde später sitzen sie wieder im Auto. „Mir kam der Text in den Sinn von heute Morgen, aus dem evangelischen Impuls, kannst Du Dich erinnern?“ „Erinnern? Ich muss seit dem Zieleinlauf an ihn denken!“
Osterdekoration vor dem Kloster Jerichow – Foto: Horst Milde
Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.
Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war. Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? (Lukas 24, 13-32)
Wir wünschen allen Läuferinnen und Läufern vor Hoffnung brennende Herzen auf allen Wegen – Frohe Ostern!
Peter Burkowski und Lars Charbonnier, Eure Berliner Marathon-Pfarrer
Die beiden marathonlaufenden Pfarrer Peter Burkowski (lks.) und Dr. Lars Charbonnier beim traditionellen oekumenischen Abendgebet des BERLIN-MARATHON in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche – Foto: Horst Milde