Gilt für körperliche und geistige Fitness: In Bewegung bleiben und das am besten in Gesellschaft. - Foto: Bild: iStock, monkeybusinessimages - Universität Zürich - UZH
Neuropsychologie – Schlüssel zum fitten Gehirn – Sabina Huber-Reggi – Universität Zürich – UZH
Im Alter geistig fit zu bleiben ist der Wunsch von uns allen. Doch wie ist das zu erreichen? Der Neuropsychologe Martin Meyer erklärte in einem Referat, warum soziale Interaktionen und Bewegung viel mehr helfen als gezieltes Gehirntraining
Ein Leben in Freiheit, keine Verpflichtungen mehr nach Jahrzehnten des Arbeitslebens: Viele Menschen freuen sich auf die Zeit nach der Pensionierung und hoffen, noch lange körperlich und vor allem geistig gesund zu bleiben.
Vor allem die äussere Rinde, der sogenannte Kortex, werde dünner mit zunehmendem Alter, sagte Meyer. Die gute Nachricht sei aber, dass der Verlust von Gehirnmasse nicht zwangsläufig mit einem Verlust an kognitiven Fähigkeiten einhergehe. So gibt es ältere Menschen mit einem stark verdünnten Kortex, die geistig sehr fit und körperlich aktiv sind.
Heute weiss man, dass sich das Gehirn ständig den Umständen anpasst, indem es neue Nervenverbindungen herstellt und andere abbaut. Das Gehirn kann sich auch im Alter neu organisieren, und dank neuer Netzwerke den Verlust an Substanz im Kortex kompensieren. Damit dies geschieht, muss das Gehirn aber genug stimuliert werden.
Die heikle Phase der Pensionierung
Studien zeigen, dass ein Rückgang der kognitiven Fähigkeiten kurz nach der Pensionierung häufig ist. Dies sei nicht erstaunlich, denn wo vorher Struktur und häufig vielseitige Aufgaben waren, drohe jetzt Leere, erklärte Meyer. Der Übergang ins Rentenalter ist eine heikle Phase. Häufig lehnen sich Frisch-Pensionierte erstmal zurück und nehmen nicht mehr rege am Sozialleben teil. Das sei Gift für das Gehirn, betonte der Neuropsychologe. Es sei wichtig, dass Rentner schnell neue Lebensaufgaben fänden, so Meyer.
Aber wie sollen sich frischgebackene Rentner und Rentnerinnen verhalten, um ihre kognitiven Fähigkeiten möglichst lange zu behalten? Helfen Sudokus oder andere Gehirntrainings, die auf dem Markt angeboten werden? «Sie können auch im Alter regelmässig Sudokus lösen und darin besser werden. Doch dies wird Ihnen nicht helfen, wenn Sie an einem Automaten in Oslo ein Zugticket lösen wollen», mahnte Meyer. Denn solche Trainingsprogramme trainieren spezifische Fähigkeiten, die jedoch wenig mit dem Alltag zu tun haben. Bisher konnte keine Studie zeigen, dass sich ein solches Training positiv auf andere Lebenssituationen auswirkt. Statt Gehirntrainings brauchen Pensionierte möglichst vielseitige Stimulationen im Alltag, die verschiedene Sinne und kognitive Funktionen anregen.
Bewegen, fotografieren oder nähen lernen
Moderate körperliche Bewegung hat beispielsweise einen positiven Effekt auf das Gehirn. So konnte eine Studie an Ratten zeigen, dass junge Tiere grössere neuronale Verbindungen entwickeln, wenn sie in einer Umgebung aufwachsen, wo sie sich viel bewegen können.
Das gleiche wurde auch bei älteren Menschen beobachtet: Eine Studie mit 120 Pensionierten zeigte beispielsweise, dass eine spezifische Hirnregion, der Hippocampus, um 2 Prozent wuchs, wenn die Studienteilnehmenden dreimal pro Woche für etwa 40 Minuten laufen gingen. Im Hippocampus fliessen verschiedene gedächtnisrelevante Informationen zusammen, die hier weiterverarbeitet werden. Er ist besonders wichtig für die Bildung von neuen Erinnerungen. «Falls regelmässige Bewegung aber nicht möglich ist, gibt es auch andere Wege, die kognitiven Fähigkeiten indirekt und effektiv zu trainieren», beruhigte Meyer.
In einer Studie aus dem Jahr 2014 verbesserten beispielsweise Senioren, die fotografieren oder nähen neu lernten, ihre allgemeine Gedächtnisleistung viel deutlicher als Senioren, die Gehirntrainings absolvierten. Das Wichtigste bei allen diesen Aktivitäten seien aber die sozialen Interaktionen, erklärte Meyer, denn sie regen das Gehirn auf vielfältigen Ebenen an. Sie aktivieren unter anderem die Nervenzellen im sogenannten Stirnhirn, das unser Handeln und Planen kontrolliert. Pensionierte sollen daher Aktivitäten wählen, die ihnen Freude bereiten und die genügend Sozialinteraktionen ermöglichen.
Hören, aber nicht verstehen
Ein häufiges Hindernis dabei ist der physiologische Verlust des Hörvermögens. Denn schon bei einem moderaten Abbau der sogenannten Haarzellen, der kleinen Antennen im Ohr, können Betroffene weniger gut an Gesprächen teilnehmen. Dies hat auch damit zu tun, dass bei einem beginnenden Verlust von Haarzellen weniger Informationen zum Gehirn fliessen, so dass auch die Hirnregionen, die für das Verstehen von gesprochener Sprache zuständig sind, zurückgebaut werden.
Daher kann es passieren, dass man Mühe hat, die Mitmenschen zu verstehen, obwohl man akustisch eigentlich noch genug hören würde. Dies sei fatal, mahnte Meyer. Denn ein gutes Verständnis der Sprache sei eine Voraussetzung für soziale Interaktionen. «Nehmen Sie daher Hör- und Verständnisprobleme nicht auf die leichte Schulter und lassen Sie ihr Hörgerät bei Bedarf neu einstellen», empfahl Meyer. Er hat mit seiner Forschungsgruppe nachgewiesen, dass die betroffenen Hirnregionen 15 Wochen nach Anpassung des Hörgeräts wieder richtig arbeiten.
«Nach dem Sie Ihr Hörgerät angepasst haben, treffen Sie sich mit anderen Menschen, gehen Sie laufen, lernen Sie etwas Neues, was Ihnen Freude bereitet, beispielsweise eine neue Sprache», fasste Meyer zusammen. So ist die Chance gross, sich geistig fit an der Pensionierung zu erfreuen.