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28
05
2018

Der Irontrailer im Engadin Foto: Wilfried Raatz - wus media

Neue Königsklasse beim Swissalpine – Relaunch nach 32 Jahren in Davos – Der Traditionslauf K78 wird künftig durch einen Trail-Wettbewerb von St. Moritz nach Davos als T88 ersetzt – Wilfried Raatz berichtet

By GRR 0

Veränderung bedeutet Mut und Risiko zugleich!

Der Swissalpine in Davos hat über drei Jahrzehnte lang Zeichen gesetzt. Als Lauf der Spinner und Verrückten, als „Pièce de résistrance“ einstmals abgestempelt, hat das Hochgebirgsspektakel mit seinen unterschiedlichen Strecken drei Jahrzehnte lang Massen bewegt.

Mit knapp 1100 einstmals gestartet etablierte sich der ultralange Swiss Alpine Marathon über die Jahre hinweg dank exzellenter organisatorischer Meisterleistung auf der Weltbühne der Landschaftsläufer und brachte bei der 25. Auflage mit 5913 Registrierungen über alle Wettbewerbe hinweg eine ungeahnte (Rekord-)Blüte.

Läufer aus allen fünf Kontinenten sorgten immer wieder für Schlagzeilen.

Waren es anfänglich deutsche und schweizer Erfolgsgeschichten mit Cracks wie Charly Doll, Jörg Hägler, Peter Camenzind, Peter Gschwend und Birgit Lennartz, rückten in der Folge internationale Schwergewichte wie die Russen Grigory Murzin und Evgenii Glyva, die italienischen Ultraläufer Giorgio Calcaterra und Monica Casiraghi oder die zuletzt erfolgreichen Jonas Buud, Elizabeth Hawker und natürlich die Davoserin Jasmin Nunige in den Blick.

Promis unter sich: Die siebenfache Siegerin Jasmin Nunige (li) und Peter Camenzind (Sieger 1990-92) – Foto: Wilfried Raatz – wus media

Es waren aber auch die Läufer aus dem afrikanischen Kontinent wie die marokkanischen Wüstenlauf-Brüder Lahcen und Mohamad Ahansal, die Südafrikaner Barend Janssen van Vuuren und Charl Mattheus, die US-Läuferinnen Leslie Watson und Ann Trason oder der neuseeländische Schafhirt Russel Hurring – sie alle sorgten für manches Lauffeuerwerk auf dem Weg von Davos über Bergün, der Keschhütte, über den Sertig- und Scalettapass und wieder zurück nach Davos. Exotischen Touch gab es durch die Tarahumara aus dem mexikanischen Hochland. Jeder Einzelne steht für ein Highlight in einer einzigartigen Laufveranstaltung im mondänen (Welt-)Tourismusdorf Davos.

Das legendäre Wiesen-Viadukt – Foto: Wilfried Raatz – wus media

Aufkommende Konkurrenz hat allerdings auch vor dem Klassiker in der Landschaft Davos keinen Halt gemacht und der Zahn der Zeit hat immer wieder am Swissalpine in Davos genagt. OK-Präsident Andrea Tuffli, bekannt für sein exzellentes Organisationstalent und auch für so manche einschneidende Veränderung beim legendären hochalpinen Landschaftslauf im Kanton Graubünden, hat seit dem Auftakt 1986 immer wieder neue Ideen ins Spiel gebracht – und da dabei auch Traditionen über Bord geworfen. Und Diskussionen entfacht. Wie das leidige Thema Sertigpass oder Scalettapass oder letztlich nun doch beide markanten Kulminationspunkte. 

Doch warum nun den K78 zu streichen?

K78, wie die Langdistanz beim Swiss Alpine Marathon über zuletzt 77,5 km und 2800 Höhenmeter in moderner Sprache genannt wird, ist wie die Vorläufer als Langdistanz die Königsdisziplin schlechthin – und dies seit über drei Jahrzehnten? Die Teilnehmerzahlen sprechen jedenfalls eine deutliche Sprache:

Nahmen 2010 noch 1661 LäuferInnen die Königsdisziplin in Angriff, waren dies 2017 nur noch 537. „Das entspricht für den Zeitraum von acht Jahren einem Rückgang von 68 Prozent! Den Hauptgrund für diesen eklatanten Rückgang sehen wir im Trend hin zum Trail Running“, schätzt Andrea Tuffli. „Der K78 widerspricht diesem Trend, weil er auf dem ersten Abschnitt zwischen Davos und Bergün größtenteils über Straßen statt Trails führt“. Seiner Auffassung nach fände die Läufergemeinde mehr Begeisterung für den anspruchsvollen Traillauf und die Suche nach Naturerlebnissen abseits der asphaltierten Straßen und befestigten Forstwegen.

Erstmals wurden 2017 die Wettbewerbe des Swissalpine und des Swiss Irontrail in eine Veranstaltung gefasst – und „Das Beste aus zwei Welten“ (so der O-Ton der Veranstalter) unter einer Dachmarke zusammengefasst. Weshalb natürlich im Vorjahr bereits die Stammgäste, die Neu-Starter obendrein, zu einer klaren Hinwendung zum eher Berglauf lastigen bzw. zum Traillauf lastigen Wettbewerb wie dem K78 bzw. dem T214/ T133 genötigt waren. „Die Zusammenlegung von Swissalpine und Irontrail hat die Stabilisierung der Teilnehmerzahlen nicht gerade gefördert, aber wohl auch nicht entscheidend beeinflusst!“ Auch dies weiß Andrea Tuffli anhand der Zahlen eindrucksvoll zu belegen.

In Davos und in Chur, dem Sitz der Organisations-Agentur Tuffli Events, hat man einen umfassenden Analyse-, Entwicklungs- und Meinungsbildungsprozess nach der 32. Auflage des Berglaufspektakels im Kanton Graubünden gestartet. Nach dem Grundsatz, dass Stillstand gleich Rückschritt bedeute, entschieden die Mitglieder im Organisationskomitee – spektakulär:

Der K78 als die Königsdisziplin des 32 Jahre währenden hochalpinen Laufspektakels wurde gestrichen und durch einen neuen Wettbewerb, den Irontrail T88 über 88,1 km und 3980 m Steigung und 4270 m Gefälle ersetzt.

Den Machern des Swissalpine Irontrail ist zum Relaunch ein besonderer Coup gelungen: Die siebenfache K78-Siegerin Jasmin Nunige wird Botschafterin der neu gestalteten Topveranstaltung in den Ostschweizer Hochgebirgslandschaft! Und sieht diesem Wechsel mit großer Spannung entgegen. „Die Strecke ist natürlich etwas länger, aber bietet wesentlich mehr Highlights als bisher. Und ist eine absolute Herausforderung!“ Herausforderung sicherlich in dem Sinne, wie dies einstmals auch die zunächst über 67 km und später dann über 78 km führende Königsstrecke war!

Sicherlich – die Veränderungen sind markant! Während beim K78 Start und Ziel in Davos platziert waren, startet künftig die neue Königsstrecke in St. Moritz und verbindet somit zwei herausragende Wintersportorte der Schweiz auf überaus charmante Weise. Während die erste Streckenhälfte für alle Starter Neuland sein wird, können die Stammgäste des Swissalpine ab Bergün weite Teile der früheren K78-Strecke mit der Keschhütte und dem Sertigpass als herausragende Kulminationspunkte belaufen.

Gelaufen wird vom weltweit anerkannten Höhentrainingszentrum im Engadin zunächst durch die Moorlandschaft des Stazerwaldes zur Chamanna Segantini, wo der Kunstmaler Giovanni Segantini seine späten Bilder gemalt hatte. Die Aussicht von Muottas Muragl auf 2.456 m ins Engadin ist ebenso atemberaubend wie der steile Aufstieg. Nach dem Val Bever führt der Streckenverlauf über Fuorcla Crap Alv (2.466 m) hinüber ins Albulatal und damit nach Bergün. Die Keschhütte (2.625 m) und der Sertigpass (2.739 m) sind spätestens seit dem in den Medien aufmerksam platzierten Swissalpine für die Berg-, Landschafts- und Trailläufer zum Schlüsselbegriff für hochalpines Laufen – und letztlich zum Muss geworden.

Logistisch ist die neue Königsstrecke wiederum eine weitere Herausforderung für die allerdings in derartigen Bereichen über enorme Erfahrung verfügenden Organisatoren. So bringt ein Extrazug die T88-Starter am Samstagmorgen von Davos zum Startpunkt St. Moritz, wo es um 8.30 Uhr vor dem Rathaus im Zentrum von St. Moritz losgehen wird. Der T88 kann allerdings auch zu zweit im 2er Team oder zu viert im Viererteam bewältigt werden.

Die neue Königsdistanz ist somit 10 km länger und dabei um 1200 Steigungsmeter härter. Die maximale Laufzeit beträgt 25,5 Stunden.

Wem diese Distanz allerdings zu lang ist, der findet mit dem K43 den klassischen Berg-Marathon als idealen Wettbewerb. Die „Marathonperle der Alpen“ (so die Formulierung der Organisatoren) führt von Davos durch das Dischmatal, über den Scalettapass und den Panoramatrail zum Sertigpass und zurück nach Davos und ist mit 42,9 km bei allerdings 1425 Höhenmetern praktisch ein Marathon.

Der Wechsel von K78 zum T88 wird allerdings nicht die einzige Änderung im neuen Veranstaltungsablauf des Swissalpine Irontrail Davos/ St. Moritz, so der neue Titel im 33. Jahr der weltweit einen legendären Ruf genießenden Veranstaltung sein, die heuer vom 21. bis 29. Juli durchgeführt werden wird.

Insgesamt werden beim Swissalpine Irontrail zwölf Wettbewerbe durchgeführt.   

Andrea Tuffli wäre nicht Andrea Tuffli, wenn er nicht auch massive Einschnitte im gesamten Laufprogramm durchsetzt hätte. So wurde der T214 aus dem Programm gestrichen, da er sich nach Auffassung des OK-Präsidenten auch im sechsten Jahr nicht durchsetzen konnte – mit lediglich 51 Finishern.

Mr Swissalpine Andrea Tuffli – Foto: Wilfried Raatz – wus media

Als Vollmond-Trail wird der T39 in die Geschichte eingehen. Anstelle des 2017 erstmals gestarteten Nachtlaufes L43 verläuft die neue Strecke T39 auf dem zweiten Teil des T88-Wettbewerbs von Bergün über die Keschhütte nach Davos mit Start um 20.15 Uhr in Bergün. Wenn das Wetter mitspielt, dann natürlich bei (sichtbarem) Vollmond!

Beim Organisationsteam um den OK-Präsidenten Andrea Tuffli ist eines klar: Der neue Swissalpine Irontrail Davos/ St. Moritz 2018 vereint das Beste aus 32 Jahren Swissalpine und sechs Jahren Irontrail und soll zu einem unvergesslichen Mix aus Tradition, Herausforderung und Naturerlebnisse der Extraklasse werden.

„Diesen Paradigmenwechsel schaffen wir nur mit eurer Akzeptanz, Unterstützung und Treue zum Swissalpine Irontrail. Unter dem Motto ‚jetzt erst recht‘ laden wir euch herzlich ein, mit uns diesen wichtigen, zukunftsgerichteten und mutigen Weg zu gehen!“ richtet Andrea Tuffli einen eindringlichen Appell an die inzwischen vieltausend Köpfe zählende Anhängerschar des hochalpinen Laufspektakels.

Und weiß zudem noch einen besonderen Pfeil im Köcher, nämlich die Bewerbung der neuen Königsstrecke T88 für die Ultra-Trail-Weltmeisterschaften 2020.

 Wilfried Raatz

 

 

author: GRR