Blog
24
01
2021

Symbolfoto: Wisthaler

Nach den Stürzen in Kitzbühel: Darf man Kinder noch für Abfahrtsrennen begeistern? Von KLAUS BLUME

By GRR 0

Ausgerechnet das staatliche österreichische Fernsehen (ORF) warb mit einem brutalen Video auf Facebook für ein nationales Ereignis ersten Ranges, dem alpinen Abfahrtsrennen am Hahnenkamm in Kitzbühel.

„Die Streif – die brutalsten Stürze“ – so Titel und Inhalt des Machwerks. Am Wochenende erfolgten zwei weitere schlimme Unfälle: Der Amerikaner Cochran-Siegle knallte in einen Fangzaun und zog sich schmerzhafte Verletzungen der Halswirbel zu, der Schweizer Urs Kryenbühl flog nach einem Zielsprung von sechzig (!) Metern bei  Tempo 145 km/h im Zielraum aufs blanke Eis.

Die Folgen: Gehirnerschütterung, ein gebrochenes Schlüsselbein, Risse von Kreuz- und Innenband. 

Nicht das da Leichtsinn im Spiel wäre! Denn mit den alpinen Abfahrts-Helden – nicht gleich zu setzen mit den filigranen Slalom-Künstlern – stürzen sich ja keinesfalls untrainierte Haudegen auf zwei Skibrettern die Abhänge  hinunter. Es sind ganz und gar erfahrene Mannsbilder, Sommer für Sommer im Lauf- und Krafttraining bestens gestählt, die diesen Wahnsinn allwinterlich wagen: in Garmisch, Bormio, Lake Louise, Val d‘Isere, Wengen – und natürlich in Kitzbühel. 

Damit dabei so wenig wie möglich passiert, wird schon im Sommer dort überall das Erdreich bewegt, um die Fundamente für sogenannte Sicherheitsnetze zu errichten. In Kitzbühel betrugen sie heuer 15 Kilometer; das Rennen selbst wurde an fast jeder Stelle von einer der 60 ORF-Kameras eingesehen.

Safety first?

Denn mit den Netzen hat es so seine Bewandtnis. 1991 verfing sich der Ski des Tirolers Gernot Reinstadler im schweizerischen Wengen in einem solchen Netz; Reinstadler, so hieß es später, sei vom diesem Netz regelrecht zerrissen worden – und verstarb. 2017 durchschlug der 17jährige Partenkirchner Max Burkhardt im kanadischen Lake Louise ein besonders gesichertes Netz – allerdings nach einem Fahrfehler. Und verstarb. Der Liechtensteiner Marco Büchel, einst Kitzbühel-Triumphator im Super-G, fragte sich am Wochenende als ZDF-Experte, ob es noch ratsam sei, Kinder für den alpinen Abfahrtslauf zu begeistern.

Eine Frage, die sich auch der Schweizer Didier Cuche, 49, stellt. Fünfmal hat er in Kitzbühel gewonnen – so oft, wie niemand anderer. Er war freilich auch dabei, als 2009 sein Landsmann Daniel Albrecht nach einem Sturz im Training im Koma lag; auch 2011, als der Österreicher Hans Grugger nach einem Trainingssturz ins Koma versank und seine Karriere danach nicht fortsetzen konnte.

In diesen Tagen äußerte sich Cuche in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG erstmals zu diesen Vorfällen. Er habe während der Renntage jeglichen Gedanken an diese Stürze verdrängt. Erst nach dem Wochenende habe er die Informationen dafür eingeholt, doch vorher habe er sich professionell abgeschirmt.

Es hat an diesem Wochenende mit dem in Österreich lebenden Beat Feuz endlich wieder einen Schweizer Sieger gegeben. Offenbar, weil dieser ähnlich fährt, wie einst Didier Cuche: Die einer der zwei von dir gewählten Linien führt dich zum Sieg, erinnert sich Cuche, die andere erhält dich am Leben.

Klaus Blume
Uhlenhorster Weg 2
22085 Hamburg
Tel: +49 (0) 40 229 7048
klausblume@t-online.de

author: GRR