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07
09
2019

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold ©privat

Mentales Training und Strategien – Teil 2 – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Verhaltensstrategie

Bei einer Strategie oder Taktik im Sport handelt es sich um ein System optimaler Handlungs- und Verhaltensregeln zur angemessenen Reaktion auf unterschiedliche Situationen.

Um sich für den Wettkampf eine Verhaltensstrategie zurechtzulegen, bedarf es zunächst des Sammelns von Informationen über Strecke, Bedingungen und mögliche Gegner. Dieses Bedingungslernen ist die Grundlage der mentalen Wettkampfvorbereitung. Renntaktische Planungen hängen auch von Informationen ab, die man in früheren Rennen und Trainingseinheiten gewonnen hat. Nutzen Sie diese Erfahrungen, um sich in eine positive Wettkampfstimmung zu bringen. Es kann hilfreich sein, sich für den Wettkampf eine Marschtabelle mit Zwischenzeiten zurechtzulegen.

TIPP
Legen Sie markante Streckenmarkierungen oder Kilometerschilder fest und verbinden Sie diese mit einer Selbstinstruktion in Form eines Selbstgesprächs.

Positive Programmierung

Effektive und adäquate Strategien können mit Hilfe der Selbstgesprächsregulation eingesetzt werden. Mit Zwiegesprächen können Leistungsreserven mobilisiert werden. Sagen Sie zu sich selbst „Stopp“, wenn Sie störende und negative Gedanken unter Kontrolle bringen wollen. Negative Selbstgespräche gehen mit einer schlechteren sportlichen Leistung einher (Hardy et al. 2009). Wenn Sie das Negative ausblenden und sich aktiv mit den richtigen Dingen beschäftigen, werden sich nach und nach Ihre Hirnzentren umprogrammieren. Positive Bewältigungssätze wie „du kannst es schaffen“ können zu einer angemessenen Situationsbewältigung und zur Kontrolle negativer Emotionen führen, denn nicht die Ereignisse selbst rufen Stress hervor, sondern die Art, wie sie wahrgenommen werden (Aderhold u. Weigelt 2018).

TIPP
Erstellen Sie Skripte für Selbstgespräche, um negative Situationen in positive zu verwandeln (Automatisierung).

Die Art und Weise wie wir selbst mit uns selbst sprechen hat erheblichen Einfluss auf unser Empfinden, auf die Reaktion auf bestimmte Situationen und letztlich auf unsere Leistung. Das Führen positiver Selbstgespräche sollten Sie systematisch in das tägliche Training integrieren. Erfolgreiche Sportler zeichnen sich durch konstruktive, anspornende und handlungsorientierte Selbstgespräche aus. Nutzen Sie Selbstgespräche zur Selbstsuggestion, Selbstmotivation und Aufmerksamkeitsfokussierung. Selbstgespräche können erfolgreich eingesetzt werden, um die Anstrengung zu erhöhen und die Leistung zu steigern (Hatzigeogiadis et al. 2011; Blanchfield et al. 2014; McCormick et al. 2015). Positives Denken ist kein Selbstbetrug. Vielmehr geht es darum, sich eine andere Sichtweise anzueignen (Beckmann u. Elbe 2008). Ziel ist ein optimaler Eigenzustand und effektives Handeln bei Anforderungen jenseits der Routine.

TIPP
Schreiben Sie negative Selbstgespräche auf und ersetzen Sie diese durch positive, Zuversicht ausdrückende Sätze.

Diese bekräftigenden Aussagen, die autosuggestiv das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten steigern sollen, nennt man auch Affirmationen (Heimsoeth 2015). Formulieren Sie kurze Sätze im Präsenz und in der Ich-Form und vermeiden Sie Wörter mit negativem Charakter wie z. B. nicht, muss, kein, nie, keinesfalls. Trainieren Sie diese Selbstgespräche und integrieren Sie sie ins sportliche Training, auch in Kombination mit Visualisierungen. Hanin und Stambulova (2002) konnten belegen, dass Sportler häufig Metaphern einsetzen. Diese Selbstinstruktionen könnten z. B. lauten:

  • „Ich weiß, ich kann das.“ (Selbstvertrauen)
  • „Ich gebe mein Allerbestes.“ (Aktivierung)
  • „Ich laufe leicht wie eine Feder.“ (Instruktion)
  • „Ruhig bleiben und Tempo halten.“ (Erregungskontrolle)
  • „Jetzt Tempo anziehen und vom Gegner lösen.“ (Strategie)
  • „Nur noch x km, das schaffst du leicht.“ (Ressourcenauslöser)

Liegt die „Programmierung“ fest, gehen Sie diese gedanklich in einem möglichst entspannten Zustand mehrfach durch. Da die Selbstinstruktion einen positiven Effekt anstrebt, muss auch der Inhalt positiv formuliert werden. Diese Technik der Visualisierung durch gedankliche Vorstellung kann Selbstkontrolle, Konzentration und mentale Stärke verbessern. Visualisierungstechniken sollen emotionale Störungen, Hemmungen, Ängste und mentale Blockaden vermeiden oder mindern. Motivierende Gedanken und Überzeugungen wirken als selbsterfüllende Prophezeiung (Sauerland et al. 2013).

Situationen durchspielen

Das Entwerfen einer eigenen Bewältigungsstrategie wird als Coping bezeichnet (Fuchs u. Gerber 2018). Durch Visualisieren hat der Sportler die Möglichkeit, schwierige Situationen in der Vorstellung zu integrieren.

Merksatz
Der Umgang mit Erschwernissen muss trainiert und reflektiert werden.

Die Wettkampfsituation wird damit vertrauter und weniger angstbesetzt. Handlungsplanungen haben einen positiven Effekt auf die Handlungsausführung. Dabei sollten für den Wettkampf je nach erwarteter Situation verschiedene Lösungsszenarien entwickelt werden. Diese erlauben dann, im Wettkampf der Situation entsprechend zu reagieren und die bestmögliche Entscheidung zu treffen.

TIPP
Wenn Sie mögliche Probleme im Vorfeld erfassen und abklären, ist die Angst davor genommen.

Die Ursache für eine Blockierung im Wettkampf liegt in den meisten Fällen darin begründet, dass der Sportler keinen Handlungsplan für verschiedene Situationen hat. Eine festgelegte Handlungsanweisung verleiht Selbstsicherheit und Zuversicht in die eigene Stärke.

TIPP

Wie gehen Sie dabei konkret vor?

  • Entscheiden Sie ganz intuitiv aus dem Bauch heraus, denn Sie kommen dabei zu einer besseren Lösung als durch langes Grübeln.
  • Akzeptieren Sie die Dinge wie sie sind und machen Sie die neue Ausgangslage zur Basis Ihrer weiteren Gedanken und Handlungen.

Ab diesem Zeitpunkt werden Sie lockerer, entspannter und stärker sein.

Aufmerksamkeit

Wer Höchstleistungen vollbringen will, sei es im Beruf oder im Sport, darf nicht abgelenkt sein. Für ein adäquates Handeln ist das bewusste situationsabhängige Umschalten der Aufmerksamkeit wichtig. Nach Nideffer (1976) unterscheidet man in der Sportpsychologie vier Formen der Aufmerksamkeit:

  • external (nach außen) weit: wichtig für die Orientierung,  B. Strecke, Bedingungen, Starterfeld,
  • external (nach außen) eng: Einzelheiten,  B. markante Stellen der Strecke, Verpflegungspunkte, einzelne Gegner,
  • internal (nach innen) weit: allgemeine Befindlichkeit,  B. „ich bin ausgeruht und locker“,
  • internal (nach innen) eng: Einzelheiten des Innenlebens,  B. schwere Beine, schnelle Atmung.

Trainingsziel ist es, zwischen den verschiedenen Formen der Aufmerksamkeit hin- und herschalten zu können, um situationsgerecht aufmerksam zu sein (Eberspächer 2007). Wenn der Sportler die volle Leistungsfähigkeit abrufen will, benötigt er 100 % seiner Aufmerksamkeit.

Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer – Lutz Aderhold – Mit Beiträgen von Stefan Weigelt – ELSEVIER Verlag

Merksatz
Das menschliche Gehirn kann nicht gleichzeitig zwei bewusste Tätigkeiten aufmerksam verfolgen. Die Aufmerksamkeit springt dann zwischen beiden Tätigkeiten hin und her.

Die Aufmerksamkeit sollte sich auch nicht auf Dinge in der Vergangenheit oder Zukunft richten, sondern auf die aktuelle Situation. Aufmerksamkeitsregulation benötigt viel kognitive Energie, weshalb man mit seinen Aufmerksamkeitsressourcen sorgsam umgehen sollte. So können Sie mithilfe eines Leitfadens (Drehbuch) für den Wettkampf Entscheidungsalternativen (verschiedene Szenarien) erarbeiten und damit die Aufmerksamkeit relativ schnell und ökonomisch regulieren (Alfermann und Stoll 2010). Bevor Sie in den Wettkampf gehen, sollten Sie das Rennen im Geist schon mehrfach gelaufen sein, denn wenn Sie verschiedene taktische Maßnahmen durchgespielt haben, werden Sie schwerlich von etwas überrascht werden können. Erfahrene, leistungsorientierte Läufer nutzen assoziative Strategien. Für sie steht die Konzentration auf das Laufen selbst und die Bewältigung der sportlichen Aufgabe im Vordergrund (Birrer u. Morgan 2010). Um negative Empfindungen wie Müdigkeit und Schmerzen zu reduzieren, sollten Sie besser nur kurze „Körperchecks“ durchführen (Stevinson u. Biddle (1998)).

Ablenkung

Eine weitere Bewältigungsstrategie zur Begegnung schwieriger Situationen in Wettkampf und Training ist die Dissoziation, bei der man sich gedanklich einfach in eine andere Umgebung begibt. Man stellt sich z. B. vor, man liefe an einem schönen Strand und versucht, die schönen Bilder wie in einem Film vorbeiziehen zu lassen. Das kann dazu führen, dass man – wie in Trance –seinen Körper praktisch vergisst.

Die Erinnerung an positive Erfahrungen oder erfolgreiche Situationen wirkt sich positiv auf unsere Gemütslage und das Körperempfinden aus und wirkt leistungsstabilisierend. Die meisten Läufer bevorzugen dissoziative Strategien, denn durch Ablenkung von den Strapazen und Schmerzen reduziert sich die empfundene Beanspruchung, was die Ausdauerleistungsfähigkeit erhöht (Masters u. Ogles 1998).

Ablenkungsstrategien in Form von Meditation können besonders im Ultralauf, wo mentale Stärke eine große Rolle spielt, sehr hilfreich sein. Sie können dazu beitragen, die Anstrengung zu überspielen und Willenskraft zu mobilisieren, denn der Kopf gibt zuerst auf und dann erst der Körper. Eine zusätzliche Willensanstrengung kann noch vorhandene Leistungsreserven mobilisieren, das haben Untersuchungen gezeigt (Hollmann et al. 2006). Die Psyche ist also der entscheidende leistungsbegrenzende Faktor.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Je kürzer und schneller ein Training oder Wettkampf ist, desto eher werden assoziative Techniken verwendet werden. Bei extensiven Belastungen und langen Wettkämpfen wird der Fokus mehr auf dissoziativen Techniken liegen.

Durch Selbstinstruktion in Form von Motivation, Beruhigung, Konzentration, Umbewertung und Ablenkung können schwierige Situationen gemeistert werden:

  • „Diese Tempoverschärfung gehe ich nicht mit, das ist zu früh, ich behalte lieber mein konstantes Tempo bei.“
  • „Das kennst du doch von deinen langen Trainingsläufen, die Schmerzen verschwinden auch wieder.“
  • „Auf, jetzt kommt die letzte Runde, kämpfe!“
  • „Noch 15 km, das läufst du doch im Training locker.“
  • „Meine Bestzeit kann ich nicht mehr schaffen, aber ich kann trotzdem noch ein sehr gutes Ergebnis “
  • „Ich freue mich schon auf die warme Dusche und das Essen nach dem Zieleinlauf.“

Bedeutung von Stress

Einerseits kann Stress eine lähmende Wirkung haben, andererseits brauchen wir eine gewisse Anspannung, um eine optimale Leistung zu erbringen. Sportler, die Stress als Herausforderung und nicht als Bedrohung ansehen, schneiden bei Wettkämpfen besser ab. (Heimsoeth 2015; Sarkar et al. 2015).

Ein vollkommen entspannter Zustand wäre für einen Langstreckenläufer kontraproduktiv. Für jede optimale Leistung brauchen wir einen optimalen Aktivierungszustand. Hierzu trägt auch der Aufwärmprozess bei. Die Nervosität vor dem Start ist also nichts Negatives, sondern für die Leistungsbereitschaft notwendig. Die Aktivität des Sympathikus verändert die Aktivität der Organe und macht uns bereit für den Wettkampf.

Merksatz
Die körperliche Erregung ist Zeichen der Bereitschaft für maximale Leistung und notwendige Wettkampfspannung.

Körperhaltung

Auch mit unserer Körperhaltung (Embodiment-Techniken), unserem Gesichtsausdruck und Laufstil können wir unsere Entschlossenheit und unseren Tatendrang demonstrieren. Damit wird im Gehirn der Weg zum Abruf unserer Stärken gebahnt und das Selbstvertrauen gestärkt (Beckmann u. Ehrlenspiel 2018).

TIPP
Mit einer straffen, aufrechten Körperhaltung strahlen Sie nicht nur Selbstbewusstsein aus, sondern Sie fühlen sich auch so.

Durch die somatische Markierung erhalten Vorstellungen und Erinnerungen ihre emotionale Färbung (Rüegg 2010). Ein starkes Selbstbewusstsein ist der erste Schritt zum Erfolg. Die Hirnforschung hat gezeigt, dass die rechte Gehirnhälfte die Bewegungsausführung abgespeichert hat und steuert. Durch Drücken der linken Hand kann man, wie Magnetresonanztomografien belegen, den motorischen Kortex der rechten Gehirnhälfte aktivieren (Beckmann u. Elbe 2008).

Bereits vor Beginn einer körperlichen Belastung werden die Funktionen des Organismus auf die bevorstehende Arbeit umgestellt und auf ein erhöhtes Ausgangsniveau gebracht. Es kommt zu einer vermehrten Ausschüttung von Katecholaminen und Kortisol. Herzfrequenz, Herzminutenvolumen, Blutdruck und Atemfrequenz steigen an. Außerdem kommt es zu einer Zunahme des Muskeltonus.

Dieser Vorstartzustand kann bereits mehrere Stunden oder erst kurz vor der Belastung einsetzen. Ein zu frühzeitiges Auftreten kann jedoch die sportliche Leistungsfähigkeit durch z.B. einen gestörten Nachtschlaf oder eine zu lange anhaltende emotionale Anspannung herabsetzen. Erfolgreiche Sportler setzen häufiger Entspannungstechniken ein, um dieser frühzeitigen Erregung zu begegnen (Kudlackova et al. 2013). Hier können die Atementspannung, beruhigende Selbstgespräche oder Musik helfen. Auch die häufig rituell ablaufende Wettkampfvorbereitung (Anziehen der Wettkampfkleidung, Warmlaufen) erleichtert es, in eine Art Konzentrationstrichter hineinzukommen. Es gibt viele Marotten, Glücksbringer und Spleens, die im Sinne eines Placebo-Effekts auf die Leistung wirken.

Statt einer zu starken kann aber auch eine zu geringe Aktivierung vorliegen. Der Athlet kann sich kaum aufraffen und gähnt fortwährend. In diesem Fall können anregende Musik, schnelle und abrupte Bewegungen und aktivierende Selbstgespräche („Los geht’s, jetzt zeige ich es allen, auf diese Gelegenheit habe ich nur gewartet“) helfen.

Merksatz
Gute Voraussetzungen für eine Topleistung sind eine hohe Konzentration zusammen mit einer gewissen Gelassenheit und die Kontrolle der eigenen Gedanken.

Eine beliebte Strategie am Start ist, den Anschein zu vermeiden, man sei in guter Verfassung. Eigentlich ist jeder verletzt oder krank gewesen und überhaupt ist das Training nicht so gelaufen, wie man es sich vorgestellt hat. Man befindet sich am Start immer in einer Gruppe von Invaliden und Rekonvaleszenten. Dabei haben sich die meisten sorgfältig und akkurat auf diesen Tag vorbereitet. Die üblichen Sprüche sollen die Nervosität überdecken und ein schlechteres Ergebnis im Voraus erklären. Fällt dann der Startschuss, rennen alle wie die Hasen.

Literaturverzeichnis bei Teil 3

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

https://germanroadraces.de/?p=133111

 

author: GRR