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2018

Das Marathon-Starterfeld ist in San Diego in den letzten Jahren erheblich geschrumpft. - Foto: Victah Sailer

Maximaler Profit: Ein gefährlicher Trend im Laufsport

By GRR 0

Im internationalen Laufsport entwickelt sich seit einiger Zeit ein gefährlicher Trend: Traditionell erfolgreiche und hochklassige Laufveranstaltungen werden plötzlich von Unternehmen aufgekauft, die international im Veranstaltungsbereich tätig sind.

Fortan werden die Rennen nur noch mit einem Ziel geführt: maximaler Profit für die Investoren. Die US-amerikanische Rock´n´Roll-Marathonserie ist ein Beispiel dafür wie sich internationale Toprennen zurück entwickeln in die „Regionalliga“ und Gefahr laufen, unterzugehen.

Dazu gehören unter anderen der San Diego-Marathon, die Carlsbad 5.000 oder auch der Philadelphia-Halbmarathon. Es ist jedoch nicht nur ein amerikanisches Problem. Auch in Europa zeichnen sich derartige Entwicklungen ab. Knackpunkt ist dabei immer wieder das Budget für die Eliteläufer.

Wer auf den Spitzensport verzichtet, nimmt in kauf, dass das jeweilige Rennen medial starke Einbußen hinnehmen muss und, wenn überhaupt, nur noch in regionalen Medien Beachtung findet. Zudem ist eine TV-Übertragung in der Regel nicht mehr möglich. Eine deutlich geringere Presseresonanz wiederum geht oft einher mit einem empfindlichen Teilnehmerrückgang und parallel dem Verlust der wichtigsten Sponsoren.

Mit hochklassigen Elitefeldern erreicht der BMW Berlin-Marathon jedes Jahre eine weltweite Medienresonanz. Foto:  Victah Sailer

Am Beispiel des San Diego-Marathons beschreibt Helmut Winter, der bei etlichen internationalen Straßenrennen in der Organisation mitwirkt und journalistisch tätig ist, das Problem und seine Folgen:

Eine 94-jährige alte Lady namens Harriette Thompson sorgte für die Schlagzeilen bei der 20. Ausgabe des Rock´n´Roll San Diego-Marathons im vergangenen Jahr – sie wurde zur älteste Halbmarathonläuferin aller Zeiten. Die sportlichen Topleistungen vollbrachten im Marathon der US-Eliteläufer Geoffrey Eggleston und seine Landsfrau Bridie McCarey, die sich für Zeiten von 2:21:18 sowie 2:48:48 Stunden Siegerschecks von 500 US-Dollar einstecken konnten.

Über die halbe Distanz waren die Leistungen auf dem allerdings nicht zertifizierten Kurs von 1:01:39 Stunden durch Tsegay Tuemay (Äthiopien) und 1:10:13 durch Biruktayit Degefa (Äthiopien) schon hochwertiger. Dafür spendierte die veranstaltende Competitor Group aber mit 1500 US-Dollar auch das dreifache Preisgeld. Ein ähnliches Bild gab es auch bei der diesjährigen Auflage des Rennens.

Dass man mit derart geringen Preisgeldern das Jubiläum einer Marathon-Serie von historischer Dimension feiert, ist eigentlich beschämend. Und wäre Eggleston nicht am Start gewesen, hätte es auch in diesem Jahr zum wiederholten Mal einen Sieg in einer Zeit von fast breitensportlicher Dimension gegeben. Nur diejenigen, die sich noch an die ersten Jahre seit 1998 zurückerinnern, werden ermessen können, welchen Niedergang diese Veranstaltung von Weltruf hinter sich hat.

Man kann das knapp zusammenfasssen: Kommerzielle Interessen haben ein sportliches Glanzlicht und Aushängeschild der Laufszene zumindest leistungssportlich ruiniert. Wie es ansonsten mit diesem Event weitergeht, wird die Zukunft zeigen. Mit einem wehmütigen Blick zurück, kann man nur konstatieren: Die glorreichen (alten) Zeiten in San Diego dürften definitiv vorbei sein!

Dabei hatte es im Jahr 1998 so aufregend begonnen. Vor allem Tim Murphy, unterstützt durch Tracy Sundlun und vor allem im Elitesegment durch den legendären Mike Long, hatten die Idee, Sport und Lifestyle in einem großen Laufevent zu vereinen. Was bei vielen Marathonläufen auch anderswo zu finden war, wurde hier in den Fokus gerückt, das heißt (Rock-)Musik an vielen Ecken auf der Strecke und ein Abschlusskonzert mit einem Top-Act nach dem Lauf.

Damit war die Serie der Rock´n´Roll-Marathonrennen geboren. Doch auch an die sportlichen Höchstleistungen war gedacht. Diesbezüglich hatte Mike Long beste Beziehungen zur Weltelite, die er in San Diego auch an den Start brachte. Das Interesse der Medien war enorm, inklusive einer mehrstündigen Live-Übertragung im TV der Region.

Die Premiere geriet zu einem fulminanten Erfolg. Fast 20.000 Teilnehmer hatten für den ersten Marathon 1998 gemeldet, von denen 16.000 das Ziel im Balboa Park erreichten. Den Lauf gewann damals Philip Tarus (Kenia) in 2:10:42, der bereits im Jahr danach den Streckenrekord auf hochklassige 2:08:33 steigerte. Nur zum Vergleich: die Sieger in San Diego der letzten Jahren waren 18, 29, 15 und 13 Minuten langsamer als Tarus. Das ist von sportlicher Seite auf internationaler Skala nur noch unterklassig.

Für die Ausrichtung des Events hatte man „Elite Racing“ gegründet. Diese Firma übernahm in rascher Folge weitere Lauf-Veranstaltungen in den USA. Mit dem Label „Rock´n´Roll Marathon“ explodierten die Teilnehmerzahlen; als Beispiel sei hier der Arizona-Marathon in Tempe (Phoenix) genannt, den sogar die Lauflegende Haile Gebrselassie 2005 mit einem Weltrekord im Halbmarathon krönte. Nach dem frühen Tod von Mike Long im Jahr 2007 wurde Elite Racing von der Competitor Group übernommen, die das Geschäft mit Sport und Musik kommerziell ausbaute. In der USA und später auch an einigen Standorten in Übersee waren in den Events der Competitor Group ca. 600.000 Menschen auf den Beinen.

Doch auf dem Weg zunehmender „Optimierung“ der in industriellem Maßstab betriebenen Aktivitäten waren Konflikte mit dem Elitesegment unvermeidlich und führten zu unerfreulichen internen Auseinandersetzungen, die zuweilen auch in die Öffentlichkeit gelangten. Für den Außenstehenden wurden diese Entwicklungen vor allem durch die Preisgelder sichtbar, die immer weiter reduziert wurden.

Eine Protestwelle gegen Competitor verursachte zum Beispiel deren Entscheidung, bei den meisten Events den Eliteathleten keine Fahrtkosten sowie Antrittsgelder zu zahlen. Der „Erfolg“ war in der Tat durchschlagend. Veranstaltungen auf Niveau der erweiterten Weltklasse rutschten in die sportliche Bedeutungslosigkeit ab. Wie die Fakten in San Diego zeigen, ist man selbst bei der Mutter aller Competitor-Events dort angekommen.

Streckenrekordler für die Ewigkeit? Philip Tarus, hier beim Frankfurt-Marathon, hält den Kursrekord in San Diego. – Foto: Victah Sailer

Auch mussten die „Kaufleute“ bei Competitor die (schmerzliche) Erfahrung machen, dass Laufevents recht komplex von einer Vielzahl von Faktoren abhängen. Da konnte man das 20. Jubliläum in San Diego so euphemistisch feiern wie man wollte, an gerade noch 3000 Marathonläufern gegenüber fast 20.000 bei der Premiere kommt man kaum vorbei. Nur 18.000 Halbmarathon- und 3.800 5 km-Läufer retten die Gesamtbilanz. Der Marathon hat nach dem sportlichen auch den numerischen Niedergang vollzogen.

Sicherlich rettet man mit den Unterdistanzen in vielen Fällen zunächst die Bilanzen. Wie sich die Dinge längerfristig entwickeln, wird erst die Zukunft zeigen. Wie bedrohlich sich schon heute die Dinge zuspitzen können, das hat Competitor vor kurzem in Vancouver demonstriert. Auch dort hatte man eine etablierte Veranstaltung übernommen und danach sehr bald das Elitesegment in die Bedeutungslosigkeit versenkt.

Doch statt höherer Gewinne für den Veranstalter „liefen“ die Teilnehmer in solchen Mengen davon, dass sich Competitor gezwungen sah, die Veranstaltung „zurückzugeben“. Nur – an wen auch immer? Denn die früheren Organisationsstrukturen waren aufgelöst. Ob und wie es in Vancouver weitergeht, steht in den Sternen und gehört sicher zu den unrühmlichen Kapiteln der Laufgeschichte und von Competitor.

Und zu den unrühmlichen Entwicklungen gehört sicher auch die plötzliche Entlassung von Tracy Sundlun, der aus der frühen Garde der Organisatoren übrig geblieben war und stets für die Belange der Eliteathleten gekämpft hatte. Dabei musste er notgedrungen immer mehr auf den Halbmarathon ausweichen, bei dem es aus diversen Gründen wesentlich einfacher ist, Teilnehmer und Topläufer zu rekrutieren (und zu finanzieren). Sundlun wurde es nach der fristlosen Kündigung verwehrt, sein Office am Standort von Competitor in einem Vorort von San Diego zu betreten. Ferner gibt es einen Rechtsstreit um nicht unerhebliche Restzahlungen an Gehaltsansprüchen. Competitor ist schon längere Zeit in den Händen von Managern mit primärem Background in der Finanzwelt, wo ein Unternehmen nicht unbedingt nach inhaltlichen Kriterien bewertet und vor allem betrieben wird.

So nimmt es auch kaum Wunder, dass Competitor den Investor mittlerweile zweimal gewechselt hat. Zum großen Jubliäum in San Diego wurde dann bekannt gemacht, dass ein weiterer Wechsel ansteht. Competitor geht nun in die Verantwortung von Ironman über, ein Unternehmen, das sich als „leading Endurance Sports organization in the world“ tituliert.

Dazu Josh Furlow, Präsident von Competitor: “This is a game changing development for the future of Competitor and a clear signal into the investment being made in the global running community. Ironman is a tremendous organization with incredible brand strength and I look forward to bring together two of the world’s greatest event producers collectively as one team.”

Irgendwie kommen einem diese Sätze bekannt vor, wenn das auch etwa zehn Jahre zurückliegen mag. Wie dem auch sei, über die künftigen Entwicklungen in Sachen Rock´n´Roll-Marathon darf man mehr als gespannt sein. Dabei geht es unter anderem um die Problematik, welchen Stellenwert Eliteathleten in größeren Laufevents haben.

Die bisherigen Erfahrungen scheinen zu bestätigen, dass einfache kaufmännische Rechnungen nicht notwendigerweise aufgehen müssen.

race-news-service.com / Helmut Winter

 

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