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2019

Am 19-21. Juni 2020 „Styrkeproeven“ 2020 - Trondheim - Oslo 540 km - Foto: Veranstalter

Marit Bjoergen: Mit der Klimabelastung beißen wir uns in den eigenen Schwanz“ – Teil 3 der Norwegen-Serie – von KLAUS BLUME

By GRR 0

Dass in Schweden oder gar in den Alpen das Skilaufen entwickelt worden sei – über derart abartige Theorien können sie in Norwegen nur milde lächeln.

So an die 4000 Jahre reiche schließlich die norwegische Historie des Skilaufens zurück – nachweisbar. So viel Geschichte kann freilich auch Frust erzeugen, wohl deshalb zogen die Fans enttäuscht von dannen, als ausgerechnet auf den olympischen Pisten von Lillehammer die Russen das Geschehen zum Weltcup-Auftakt dieses Ski-Winters dominierten.

Doch zugleich demonstrierte in Lillehammer Therese Johaug, warum der Skilanglauf auch fürderhin eine norwegische Angelegenheit bleiben könne und distanzierte ihre Konkurrentinnen nach Belieben.

Warum das funktioniert? 

Sie habe in den letzten drei Jahren gleich mehrere Kilogramm an Muskeln aufgebaut; denn mit einem stärkeren Körper könne sie auch höhere Geschwindigkeiten als bisher laufen. Und gleich über einen längeren Zeitraum hinweg. In Lillehammer sagte sie: „Ich wusste schon seit Jahren dass die Entwicklung des Ausdauersports in eine andere Richtung gehen wird als bisher. Es war mir bewusst, dass ich dafür einen viel stärkeren Körper aufbauen musste, als in den früheren Jahren. Das scheint jetzt gelungen zu sein.“

Von Johaugs neuesten Erkenntnissen zurück zu den Anfängen. Es war 1990, als wir – in Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele 1994 in Lillehammer – erste Höhlenzeichnungen aus der Vorzeit in Norwegen zu sehen bekamen. Sie zeigten Menschen auf Schneebrettern. Auf der Jagd? Im Wettkampf? Das war nicht immer auszumachen. Es war, sagte man uns, nur nachweisbar, dass diese Wandzeichnungen etwa fünfhundert Jahre vor Christi entstanden sein mussten. Später lasen wir, das Wort „Ski“ sei vom Wort (Holz)-“Scheit“ abgeleitet worden. Was durchaus einen Sinn machte. 

Als wir uns in die Provinz Telemarken aufmachten, wo wir – selbstverständlich – eine Art schwarzen Pullover mit Ärmel- und Schulterteilen aus Elchleder erwarben, lasen wir dort die Geschichte des sagenumwobenen Sondre Norheim. Er hatte es 1868 zur ersten norwegischen Meisterschaft im 42 Kilometer Skilanglauf gebracht; hatte auf selbst gebastelten Skiern aus Kiefernholz vom elterlichen Dach aus, ebenfalls als Erster auf der Welt, eine Art Skisprung gewagt, um dann die Hügel daheim, wie er es nannte, auf einer Art Skibretter „hinunter zu tanzen.“

Ein allererster Slalom? Und wer sonst hätte auch noch die Ski-Bindung erfinden können? 

Doch die Romantik von einst helfe uns wenig, wenn wir nichts gegen den Klimawandel unternähmen, sagte jetzt die 39jährige Trondheimerin Marit Bjoergen dem renommierten Osloer „Dabladet“. Zur Erinnerung: Bjoergen gewann acht olympische Goldmedaillen und 18 WM-Titel im Skilanglauf. Jetzt, nach ihrem Rücktritt vom aktiven Hochleistungssport, schlägt die zweifache Mutter im Traditionsblatt „Dagbladet“ Alarm, „denn die Veränderungen der Schneebedingungen sind dramatisch. Schauen Sie sich allein den Gletscher im Schnalstal an, wohin die Athleten seit Jahrzehnten zum Training gehen. Ich bin zwanzig Jahre dort gewesen und sehe große Veränderungen in der Größe des Gletschers. Es ist sehr auffällig, dass es schmilzt. Ich mache mir Sorgen.“

Und sie fährt fort:  „Wir können nicht viel gegen Schneemangel tun, aber jetzt arbeiten wir in Norwegen an einer Technologie, um Schnee bei wärmeren Temperaturen zu produzieren. Gleichzeitig entstehen hierdurch Kosten. Denn Schnee zu produzieren ist teuer. Nicht zuletzt ist es eine klimatische Belastung. Wir beißen uns also in den Schwanz. Je mehr wir produzieren, desto mehr verschmutzen wir. Lasst uns alle darüber nachdenken und miteinander reden.“ 

Bjoergens Hilferuf geht jeden an; zumindest denken so in Norwegen viele Menschen. Denn Sport ist ja auch jedermanns Sache. Um das gleichmal nach zu prüfen, könnten Sie sich, zum Beispiel, eine amtlich bestätigte Anmeldung zum „Styrkeproeven“ 2020 daheim unter den Weihnachtsbaum legen. „Styrkeproeven“ ist kein Schnaps, sondern eine Radfernfahrt von Trondheim nach Oslo über 540 Kilometer. Beleuchtung ist vorgeschrieben, auch im Juni!

Am Ende gibt es sogar ein „Diplom“. Es ist aber auch eine elende Schinderei, die für viele etwas mehr als 25 Stunden dauert – nicht mitgerechnet die danach noch tagelang andauernde psychische Erschöpfung. Aber das verschaffe auch jene „gegensätzliche Mischung aus Demut, Egalität und grundlegenden Respekt“, die bei den Olympischen Winterspielen 2018 im südkoreanischen Pyeongchang von der New York Times am norwegischen Team bewundert wurde.

Im Time Magazin konnte jeder obendrein nachlesen, es würde das norwegische Verständnis schlichtweg nicht zulassen, vor der Vollendung des 13. Lebensjahres ein Leben wie einen Wettkampf zu führen. Unstet und in Hast. Es gehe vielmehr darum, ein eigenes Lebenstempo zu entwickeln und die Freude an körperlicher Aktivität um ihrer selbst willen zu genießen. 

Vorbilder? 

Vielleicht der Zoologe Fridtjof Nansen, der einst die erste Grönland-Durchquerung auf Skiern leitete und von 1920 bis 1930 als erster Flüchtlingshochkommissar des Völkerbundes Hunderttausenden half, in ihre Heimatländer zurück zu kehren.

Als Friedensnobelpreisträger hoffte Nansen, was der Sport seit eh und je – leider vergeblich – versucht: „Wir müssen unser Banner in jedem Land hissen und auf der ganzen Welt Bande der Geschwisterlichkeit schmieden.“ 

Klaus Blume
Uhlenhorster Weg 2
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