380 Top-Läufer: Dresden ist in Corona-Zeiten gefragt. - Der Start in der Nähe des Palais im Großen Garten. - Foto: Helmut Winter
Marathon in Dresden: Debütant Boch gewinnt – reicht das für Olympia? Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Einsam in Kälte und Wind: Den Sieg beim Marathon in Dresden schnappt sich Simon Boch. Der letztjährige „Läufer des Jahres“ träumt von der Qualifikation für die Sommerspiele in Tokio
Marathon ist mehr als Straßenlauf. Als der Regensburger Simon Boch am Sonntag in Dresden sein Debüt auf der 42,195 Kilometer langen Strecke gegeben hatte und in 2:10:48 Stunden Erster geworden war, urteilte er: „Ich bin froh, dass ich fertig bin und mich auf den dritten Platz vorschieben konnte.“
Um den Sieg war es dem 26 Jahre alten Athleten nur in zweiter Linie gegangen. Das Ziel des im vergangenen Jahr als Läufer des Jahres ausgezeichneten Boch war, sich in der Königsdisziplin des Langlaufs auf Anhieb für die Olympischen Spiele zu qualifizieren.
Doch die Zeiten, die Amanal Petros und Hendrik Pfeiffer vorgelegt haben, den deutschen Rekord von 2:07:18 Stunden beim Valencia-Marathon der eine, 2:10:18 Stunden in Sevilla der andere, blieben für Boch unerreicht. Immerhin unterbot er die 2:10:59 Stunden des Vorjahres-Debütanten Richard Ringer, was bedeutet, dass dieser nun die Nummer vier im Rennen um drei Startplätze bei den Olympischen Spielen von Tokio ist. Ringer gewann in Dresden den Halbmarathon in einem langen Spurt in 61:33 Minuten vor Nils Voigt (61:35) und Petros (61:37). In drei Wochen will er beim Hamburg-Marathon seine Bestzeit unter 2:10 Stunden verbessern und damit seine Aussichten auf Tokio verbessern.
„Das war superhart“
Bochs erster Marathon im Großen Garten der sächsischen Landeshauptstadt dürfte, das ist ihm zu wünschen, für lange Zeit sein schwerster bleiben. Bei sechs Grad Celsius und eiskaltem Wind lief er die Strecke auf den 2500 Meter langen Runden um das Sommerpalais. So kalt war es, dass Mannschaftskamerad und Tempomacher Tim Ramdane Cherif seinen Dienst vorzeitig beendete, nach zwölfeinhalb Kilometern statt 25.
Das bedeutete, dass Boch knapp dreißig Kilometer allein laufen musste – nicht nur einsam in Führung, sondern wegen des strikten Hygienekonzepts auch ohne Zuschauer an der Strecke. „Das war superhart. Ich war auf Kurs 2:09, aber am Ende habe ich fast zwei Minuten verloren“, sagte er im Ziel. „Der Wind auf der Gegengeraden war krass; am Ende habe ich fast gestanden.“
Simon Boch im Ziel in Dresden – Foto: Norbert Wilhelmi
Warum er Dresden gewählt habe und nicht wie Ringer Hamburg, wurde Boch gefragt. „Ich hatte keine Bestzeit zu bieten“, erwiderte er. „Hamburg hat mich nicht genommen.“ Ringer sieht dem Wettkampf um die Qualifikation gelassen entgegen. Olympia könne nicht stattfinden, findet er, wenn nicht einmal bei einem so kleinen Event wie der Hallen-Europameisterschaft von Torun das Hygienekonzept funktioniere und sich fünfzig von 730 Teilnehmern infizierten. „So wichtig sind die Olympischen Spiele nicht, dass ich dort Corona bekommen möchte“, sagte er. „Es wäre schön, wenn man geimpft würde.“
Inflation der Athleten
Die Pandemie beeinflusst die Laufszene profund. Reihenweise werden Stadtläufe und Massen-Marathons abgesagt. Dadurch herrscht auf dem Laufmarkt eine Inflation der Athleten. Veranstaltungen wie der Halbmarathon von Berlin und der Marathon von Hamburg sind wegen der Pandemie verschoben.
Hamburg und Dresden lassen keine Freizeitläufer zu, sondern laden nur Spitzenkräfte ein. André Egger, Organisator von der Laufszene Events GmbH, sagt es so: „Bevor wir den Kopf in den Sand stecken, haben wir aus unserem City-Run mit fünftausend Teilnehmern diesen Invitational-Run gemacht.“ Kann er sich sonst vielleicht fünfzig Profis leisten, waren am Sonntag 380 Top-Athleten aus gut dreißig Ländern am Start. „Es gibt global fast keine Qualifikationsläufe. Davon profitieren wir.“
Christoph Kopp, als Race-Direktor für die Einladung der Läuferinnen und Läufer zuständig, liest an den vielen Bestleistungen von Dresden ab, wie sehr diesen die Wettkämpfe fehlen. „Es gibt hier kein Preisgeld“, sagt Kopp. „Die Kosten des Veranstalters müssen gedeckt werden.“ Deshalb zahlen selbst namhafte Athleten Startgeld von 50 Euro für die 10-Kilometer-Läufe bis 120 Euro für den Marathon; Hotel und Anreise gehen ebenfalls zu Lasten der Athleten.
Christoph Kopp, der Athleten-Managerin Dresden beim Interview des MDR – Foto: Horst Milde
„Wenn es wieder normale Rennen geben wird, gehen sie selbstverständlich wieder dort hin, wo sie ihren Lebensunterhalt verdienen können“, sagt Kopp. Vielleicht habe Dresden dann ein kleines Budget, aus dem Preisgeld gezahlt werden kann.
Ein Kollateralgewinn ist die Runde im Großen Garten. In der DDR regelmäßig von den Gehern genutzt, unterlag sie seit dem Fall der Mauer einem Sportverbot. Nun bot sie sich an, weil sie einfacher abzusperren ist als eine Route in der City.
„Die Strecke ist ideal“, sagt Egger. „Ich würde mir und vor allem den Athleten wünschen, dass der Lauf im Großen Garten eine Zukunft hat.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 21. März 2021
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.