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2020

Michael Schimmer: Tiefstart. Meine Geschichte als Leichtathlet und „Diplomat im Sportanzug“. Aufgeschrieben von Michaela Seidler. Berlin 2020: Owens. 248 S.; 9,80 €

Lesetipps – Über Boxen, Schwimmen, Leichtathletik und (natürlich) Fußball … Zehn neue Sport-Biographien … für eine sportfreie Lesezeit

By GRR 0

Der Markt an Sport-Biografie boomt und boomt und wird dabei nach wie vor dominiert vom Fußball. Aber die Palette der Neuerscheinungen hält auch Überraschungen bereit mit „jungen“ Biografien wie der Berliner Boxerin Zeina Nassar.

Ebenso ist der Sporthistoriker Erik Eggers, dessen hauptsächliches Arbeitsgebiet der Handballsport ist, z.B. mit einer akribisch recherchierten historischen Biografie aus dem Schwimmsport dabei. Die zehn hier präsentierten Bücher sind allesamt in diesem Jahr erschienen, können aber nur eine Auswahl gelten … und laden nun erst recht in einer (Vorsicht: Doppeldeutigkeit) sportfreien Zeit zur Lektüre ein.

Deswegen nun gleich der Reihe nach dem Alphabet der Nachnamen der Autorinnen und der Autoren:

Christoph Bausenwein: Beckenbauer. Bielefeld 2020: die Werkstatt. 168 S.; 24,90 €

Diese Biografie ist nicht die erste und vermutlich auch nicht die letzte Biografie über Franz Beckenbauer. Sie ist jedoch nicht ganz zufällig genau zum 75. Geburtstag des Kaisers erschienen, den er am 11. September gefeiert hat. Dieses Buch lebt aber nicht nur von den Texten des renommierten Autors, der auch schon Uli Hoeneß und Joachim Löw porträtiert hat, sondern auch von lebensbegleitenden Fotos auf dem Spielfeld, aber auch außerhalb. Gegliedert ist die Biografie in insgesamt 52 kurzweilige Kapitel mit Überschriften wie fußballspezifischen Begriffen wie Libero, Schlenzer und Eigentore, aber auch mit Wendungen wie „Immer oben“, „Schickeria“ und „Denkmal“ – was auch immer damit gemeint sein mag im Leben des Franz B. …

Christoph Daum (mit Nils Bastek): Immer am Limit. Mein Aufstieg, mein Fall – Die ganze Geschichte meines Lebens. Berlin 2020: Ullstein. 318 S.; 22 €

Diese Biografie führt die Leserschaft ans Limit, ganz wie der Titel verheißt: Christoph Daun (geb. 1953), geboren in Zwickau und aufgewachsen in Duisburg, gilt als eine der schillerndsten Trainerfiguren der Fußballwelt: „Der extremste Trainer seiner Zeit“ – mit diesem Superlativ wird er sogar im hinteren Klappentext verlagsseitig apostrophiert. Christoph Daun feierte u.a. als Trainer des 1. FC Köln, von Bayer Leverkusen und dem VfB Stuttgart in über 1.00 Spielen mehr als 500 Siege und holte zahlreiche Titel. Der Termin für den Start als Bundestrainer war laut einer Aktennotiz für den 1. Juni 2001 vereinbart. Das Dokument ist im Buch als Kopie nachzulesen. Doch dann beging er den größten Fehler seines Lebens … und kam „Zurück ans Limit“, wie Teil zwei des Buches überschrieben ist. Und wie lautet doch dazu das Motto von Christoph Daun selbst: „Es hat mich schon immer gereizt, das Unmögliche zu wagen“.

Erik Eggers: Der Mensch als Fisch. Die Abenteuer von Otto Kemmerich, friesischer Schwimmpionier. Kellinghusen 2020: Verlag Eriks Buchregal. 128 S.; 16,90 €

Diese Biografie beschäftigt sich mit den nahezu unvorstellbaren Ausdauerleistungen des nahezu vergessenen Schwimmpioniers Otto Kemmerich (1886-1952) aus Husum – brillant nacherzählt von Erik Eggers in 20 chronologisch aufgebauten Kapiteln ab 1926 mit Titeln wie: „In Bodenseewellen“, „Unter Eis“ und „Doppel-Weltrekord“ bis zum tragischen Ende in Kapitel „Ekkenekkepen“. Was war geschehen? Der inzwischen 66-jährige Otto Kemmerich bricht im August 1952 zu seiner privaten Olympiade auf, von der er nicht mehr zurückkommen sollte: „Die See hatte ihn verschluckt“, lautet der letzte Satz, der seinen traurigen Tod durch Ertrinken auf Seite 115 verkündet. Fünf Tage nach seinem Start vom Hörnumer Strand auf Sylt in Richtung Amrum wurde der Leichnam Kemmerichs vor der Küste der Insel Föhr von einem Fischer gefunden, der dort gerade mit seinem Ausflugs-Kutter „Ekkenekkepen“ unterwegs war …

Anne-Kathrin Kilg-Meyer: Gertrude Trudy Ederle. Eine Schwimmerin verändert die Welt. Kellinghusen 2020: Verlag Eriks Buchregal. 128 S.; 16,90 €

Diese Biografie zeichnet das Leben und die sportliche Laufbahn im Wasser der Schwimmerin Gertrude („Trudy“) Ederle nach, die an einem einzigen Tag zur berühmtesten Sportlerin der Welt wurde. Was war geschehen? Die damals 20-jährige US-Amerikanerin und Tochter deutscher Einwanderer durchschwamm am 6. August 1926 als erste Frau den Ärmelkanal und wurde dafür in den USA von einem Millionen-Publikum geifert, zumal sie dabei noch zwei Stunden schneller war als jeder Mann vor ihr. Die Autorin Anne-Kathrin Kilg-Meyer, im Hauptberuf als Rechtsanwältin in Augsburg tätig, legt damit bereits ihre zweite historische Biografie vor, nachdem sie 2015 schon ein Buch über die Mileva, die erste Ehefrau von Albert Einstein verfasst hatte. Gertrud Ederle (1905-2003) wurde auch wegen ihres Olympiasieges 1924 in Paris und ihrer zahlreichen Weltrekorde zur großen Pionierin des Frauensports und sogar der einstigen Bademode, denn da war ja noch die Sache mit dem Bikini …

Dieter Müller (mit Mounir Zitouni): Meine zwei Leben. Was mir das Schicksal genommen und der Fußball gegeben hat. Hamburg 2020: Edel Books. 236 S.; 22 €

Diese Biografie handelt vom wechselvollen Leben des heute 66-jährigen Dieter Müller (geb. Kaster), den viele Ältere vermutlich noch als zweifachen Bundesliga-Torschützenkönig in Erinnerung haben, der mit dem 1. FC Köln und später mit Girondins Bordeaux jeweils Landesmeister wurde und mit sechs in einem einzigen Spiel erzielten Treffer bis heute einen Bundesliga-Rekord hält. Im Leben dieses Dieter Müller hat es aber zahlreiche Schicksalsschläge gegeben – einer davon hätte ihm beinahe das Leben gekostet („Herr Müller: Sie waren fünf Tage im Koma. Alles wird gut.“) – nicht nur, aber auch davon ist im Buch die Rede. Deswegen lautet eine Botschaft von Müller schließlich auch, „den Mut nicht zu verlieren und dankbar für all das Schöne zu bleiben“.

Zeina Nassar: big dream. Wie ich mich als Boxerin gegen alle Regeln durchsetzte. München 2020: Carl Hanser Verlag. 208 S.; 15,- €

Dieser Biografie schildert die Verwirklichung des „big dream“ der Berliner Boxerin Zeina Nassar (geb.)1998, Tochter libanesischer Eltern aus Kreuzberg, die als erste Muslima Deutsche Meisterin im Boxen wurde. Im letzten Jahr gelang ihr jedoch noch ein ganz anderer Coup: Sie erwirkte die weltweite Änderung der Wettkampfbestimmungen im Boxsport, die fortan den Hijab und das Tragen von langer Kleidung im Ring erlauben, wovon Zeina Nassar natürlich selbst auch Gebrauch macht. Wie alles anfing? Bei den „Box Girls“, dem größten Frauenboxverein Europas in der Bergmannstraße in Kreuzberg, wo es nach dem Probetraining heißt, die Mädchen können sich an den Boxsäcken auspowern: „Ich schlage, schlage, schlage und bin verwundert, woher ich die Kraft nehme. Aber ich spüre sie in mir, wie ich sie nicht im Sportunterricht und nicht auf dem Sportplatz gespürt habe. Danach bin ich total platt, aber auch, wie ich es meiner Mama schon prophezeit hatte: der glücklichste Mensch der Welt“ (Seite 54). War das schon der „big dream“?

Anthony Quinn: Klopp. Eine Liebeserklärung an einen Trainer und seinen Verein. Aus dem Englischen von Philip Bradatsch und Ronald Gutberlet. München 2020: Wilhelm Heyne Verlag. 240 S.; 18 €

Diese Biografie über den Menschen und Trainer Jürgen Klopp ist fokussiert auf seinen gegenwärtigen Lebensabschnitt mit Dienstverhältnis zu dem englischen Proficlub FC Liverpool. Gleichzeitig ist es das erste Buch eines englischen Schriftstellers über den deutschen Kult-Trainer (der englische Titel lautet: „Klopp. My Liverpool romance“). Anthony Quinn ist selbst Fan des FC Liverpool seit frühester Kindheit und widmet „Kloppo“ eine Hommage, in der er auch zu erklären versucht, wie und warum der ehemalige Dortmunder und Mainzer Coach in England zu einer Art Popstar am Spielfeldrand emporsteigen konnte …

Michael Schimmer: Tiefstart. Meine Geschichte als Leichtathlet und „Diplomat im Sportanzug“. Aufgeschrieben von Michaela Seidler. Berlin 2020: Owens. 248 S.; 9,80 €

Diese Biografie handelt einem ehemaligen Leichtathleten, der über sich selbst schreibt, dass er nicht zur „prominenten Top-Garde“ in der DDR gehörte, sich „viele persönliche Freiräume schaffen“ konnte und so „ein abwechslungsreiches Leben mit vielen Vorteilen“ genoss – immer schön adrett gekleidet als „Diplomat im Sportanzug“ (nicht: „Diplomat im Trainingsanzug“!). Michael Schimmer (geb. 1967) wuchs in Potsdam auf, besuchte später die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) Werner Seelenbinder in Berlin-Hohenschönhausen. Seine Paradedisziplin waren die 400m (Bestzeit: 45,98 sec.). Er war 1983 und 1984 DDR-Juniorenmeister, wurde 1988 mit der 4x400m-Staffel der DDR bei den Olympischen Spielen in Seoul Vierter und gehörte nach der Wende zur Nationalmannschaft des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

Hermann Schmidt & Miriam Bernhardt: Männer trinken keine Fanta. Eisenfüße, Laufwunder und andere Originale der Fußball-Bundesliga. Hildesheim 2020: arete Verlag. 232 S.; 18 €

Diese Biografie besteht aus 84 Kurz-Biografien, die in aller Regel nicht mehr als drei Druckseiten im Buch umfassen. Bei diesen Kurz-Biografien stehen gemäß Untertitel fast ausschließlich ehemalige „Originale der Fußball-Bundesliga“ im Vordergrund, die wiederum in einer „originellen Typologie“ präsentiert werden. Wir können bei der Lektüre die „Manndecker und Maurer“ aufsuchen und stoßen dabei u.a. auf Willi Schulz (geb. 1938) und Karl-Heinz Schnellinger (geb. 1939). Es gibt aber auch Laufwunder wie Hans-Peter Briegel (geb. 1955) und Willi Landgraf (geb. 1968) sowie Spaßvögel wie Willi Lippens (geb. 1945) und Ansgar Brinkmann (geb. 1969), die porträtiert werden. Aus der jüngeren und noch aktiven Generation ist z.B. Jerome Boateng (geb. 1988) vom FC Bayern München dabei.

Julien Wolff & Thomas Müller: Mein Weg zum Fußballprofi. Hamburg 2020: Oetinger. 192 S.; 14 €

Diese Biografie ist ausdrücklich für Kinder ab zehn Jahren geschrieben und erzählt die bisherige Fußball-Karriere des Thomas Müller von allen Anfängen an, wieder der Titel bereits andeutet. Zwischendurch kommen jeweils mit einem „Zwischenwort“ der Reihe nach sein Berater Ludwig Kögl, sein ehemaliger Trainer und Förderer Hermann Gerland bei Bayern München sowie seine Mutter Klaudia zu Wort.

Und dann wird natürlich auch etwas über die Begegnungen von Thomas Müller mit seinem Namensvetter Gerd Müller (geb. 1945) berichtet, unter dem er ebenfalls bei den Bayern trainieren durfte und der ihm sozusagen von Müller zu Müller wertvolle Tipps für das stürmerverhalten im Strafraum mit auf den Karriereweg gegeben hat.

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

 

 

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