Kurt Ring, Trainer in Regensburg sagt glücklicherweise seine Meinung laut und unverblümt! - Foto: Horst Milde
Leichtathletik-Trainer Ring: „Es wird Zeit, dass nicht mehr Katastrophenstimmung herrscht“ – Michael Reinsch stellt Fragen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der Leichtathletik-Trainer Kurt Ring über kastrierte Meisterschaften, die Schweiz als Vorbild und die Gefahr, dass der Laufsport in die Illegalität abgleitet
Kurt Ring, 71 Jahre alt und einst Grundschullehrer, trainiert seit vierzig Jahren Läuferinnen und Läufer bei der LG Telis Finanz Regensburg.
Die Leichtathletik zeigt sich einfallsreich: mit Wettbewerben im Garten und im Autokino, mit Impossible Games auf krummen Strecken, mit Vergleichen über Ländergrenzen und Kontinente hinweg. Wo steht der Deutsche Leichtathletik-Verband mit seiner deutschen Meisterschaft am 8. und 9. August in Braunschweig?
Kurt Ring: Ich empfinde dies als kastrierte Meisterschaften. Es gäbe viele leicht modifizierte und folglich durchführbare Gestaltungsmöglichkeiten im Mittel- und Langstreckenbereich. Es war unglücklich, dass sich der DLV von Anfang an darauf festgelegt hat, dass nur Laufstrecken bis 800 Meter stattfinden. Für uns Regensburger war es der absolute Beinschuss, dass der Verband dann auch noch alle Straßenmeisterschaften abgesagt hat . . .
Die über zehn Kilometer, im Halbmarathon und im Marathon . . .
. . . und noch dazu die 10 000 Meter auf der Bahn. Alles in allem haben wir die Möglichkeit verloren, fünfzehn Titel aus dem Vorjahr zu verteidigen.
Ist es kein Trost, dass Ihre Läuferinnen und Läufer so Meister bleiben?
Kurt Ring: Wenn DM-Titel zwei Jahre alt sind, sind sie abgestanden. Wir wollen sie neu und immer wieder gewinnen. Nur internationale Titel gibt es nicht jedes Jahr. So nebenbei gehen unseren Topleuten für 2020 fast sämtliche Meisterschaftsprämien verloren, was ihnen finanziell sehr weh tut.
In wie vielen Wettbewerben wollten Regensburger in Braunschweig antreten?
Kurt Ring: Allein fünf Athleten hatten die Norm für die 5000 Meter im letzten Jahr erfüllt; die auch noch in diesem Jahr gilt. Bei den Damen waren drei qualifiziert.
Braunschweig war Ihre große, Ihre einzige Hoffnung?
Kurt Ring: Nein. Wir haben unsere Ziele wegen der Corona-Krise modifiziert. Einige Läuferinnen und Läufer wollen auf die Marathon-Schiene gehen. Aber da wissen wir auch nicht, wann und wie es weitergeht, ob im Herbst oder im Winter oder im Frühjahr. Wir werden wohl frühzeitig aus der Saison rausgehen.
Hatten Sie nicht ohnehin seit der Kontaktsperre das Training reduziert, weil es keine Ziele gab außer dem, gesund zu bleiben?
Kurt Ring: Wir kommen nicht aus dem Winterschlaf, wenn Sie das meinen. Unsere Leute sind fit und brennen schon wieder. Um Ostern hatten wir eine Regenerationsphase eingeschoben, irgendwann müssen die Athleten pausieren. Danach haben wir Grundlagen trainiert, aber das kann man nicht das ganze Jahr machen. Jetzt bereiten wir uns auf eine extensive Bahnsaison vor, auf eine Zeit, in der wir gewisse Dinge probieren und nicht bis zum Letzten gehen. Die Regenerationsperiode im Sommer fällt dieses Jahr kürzer aus. Dann geht’s mit Schwung in die Vorbereitung für das nächste Jahr. Bisher war das eine ganz schräge Saison.
Wie stellen Sie sich vor, dass es weitergehen wird?
Kurt Ring: Es geht bereits jetzt weiter. Tim Ramdane Cherif aus unserem Klub ist gerade in Berlin beim Straßenlauf aus dem vollen Training heraus eine sehr anständige Zeit gelaufen.
Bei diesem Geheimlauf in Rauchfangswerder an der Dahme? Zehn Kilometer mit dreizehn exklusiv eingeladenen Läuferinnen und Läufern.
Kurt Ring: Genau. Auf den Beinschuss des DLV war diese Veranstaltung genau die richtige Antwort.
Und nun?
Kurt Ring: Wir werden am 26. Juni, das ist sechs Wochen vor den Resten der deutschen Meisterschaften, zu den Schweizer Meisterschaften über 10 000 Meter und im Hindernislauf in Uster bei Zürich fahren. Das sollen unsere ersten offiziellen Wettbewerbe dieser Saison werden.
Welche Einschränkungen wird es dort geben?
Kurt Ring: Das ist es ja, was mich so aufregt: in der Laufdurchführung gar keine. In der Schweiz kann die Leichtathletik inzwischen in ihrer ureigenen Form praktiziert werden.
Das ist nichts, was Sie dem DLV vorwerfen können, da in Deutschland noch Abstandsregeln und Verbote gelten.
Kurt Ring: Wir waren schockiert von dessen ersten Abstands- und Hygieneregeln. Die waren beim DLV dreimal so streng, wie sie die Ministerien verlangt hätten. Wir haben nie verstanden, warum es dem DLV nicht gelungen ist, uns von Anfang an als kontaktlose Sportart darzustellen. Wir Läufer sind einfach keine Boxer, sondern laufen meist mit einem gewissen Abstand.
Sie glauben, dass Sie die 1500 und die 5000 Meter sowie die Hindernisrennen bei der deutschen Meisterschaft hätten austragen können?
Kurt Ring: Wenn die Aerosol-Wolke von 15 Meter Länge so eine entscheidende Rolle spielen würde, hätten die jüngsten Demonstrationen längst einen weiteren Anstieg der Neuerkrankungen ausgelöst. Es gäbe zudem keinen gesunden Läufer mehr, denn die trainieren in Deutschland inzwischen wieder alle zusammen. Die Regeln sind nur sinnvoll, wenn sie praktikabel sind. Die Regeln des DLV waren nie praktikabel.
Sie haben die Chance, es besser zu machen. Wie sieht die Vorbereitung Ihrer Gala in Regensburg aus, die Sie vom 30. Mai auf den 25. und 26. Juli verschoben haben?
Kurt Ring: Wir müssen sie vom Bayerischen Staatsministerium genehmigen lassen. Die Hygienevorschriften werden nicht zulassen, dass bei der Veranstaltung geduscht wird; dazu werden die Athleten ins Hotel zurückfahren müssen, und alle Disziplinen werden in zeitlich deutlich abgegrenzten, maximal hundert Athleten umfassenden Blöcken nacheinander ablaufen. Es wird unterschiedliche Ein- und Ausgänge geben. Wir werden in den nächsten Wochen flexibel und schnell auf weitere Öffnungsangebote reagieren. Was die Schweizer können, sollten wir in Bayern einen Monat später doch auch hinbringen – mit oder auch ohne Zuschauer.
Werden Sie Mittel- und Langstreckenläufe veranstalten?
Kurt Ring: Das sollte dann mit einer mäßigen Regeländerung möglich sein. Wir fordern die Athleten auf den Laufstrecken auf, hintereinander zu laufen und keinen Pulk zu bilden. Überholt wird auf der dritten Bahn von innen. Die Startphase und der Zieleinlauf werden abstandsgerecht modifiziert. So kommt es höchstens zu Augenblicksbegegnungen. Nach unserer Überzeugung sind die Läufe dann tolerierbar.
Bayern hat das Turnier der Basketball-Bundesliga erlaubt. Ist das ein gutes Omen für Ihr Sportfest?
Kurt Ring: Das hoffen wir. Es wird Zeit, dass in unserem Land nicht mehr Katastrophenstimmung herrscht. Schauen Sie sich mal an, was an den Wochenenden an den bayerischen Seen los ist. Die Infektionszahlen bleiben dennoch niedrig. Wir sollten uns damit abfinden, dass das Virus bleibt und wir uns damit arrangieren müssen.
Wie sehen Sie den Laufsport der Zukunft?
Kurt Ring: Wir müssen aufpassen. Für den Freizeitsport habe ich die wenigsten Bedenken. Aber für den leistungsbezogenen Feierabend-Athleten könnte es tatsächlich passieren, dass der Lauf mit solchen Aussperrungen unter die Räder kommt. Was noch schlimmer wäre: dass der Lauf ein wenig in die Illegalität abgleitet. Die Athleten gehen in den Wald, trainieren miteinander, es passiert nichts, aber sie tun etwas, was noch immer streng genommen verboten ist, weil sie nicht ständig über zwanzig Kilometer nachmessen können, ob sie einhundertfünfzig Zentimeter auseinander sind. Das darf nicht passieren.
Die Fragen stellte Michael Reinsch – Frankurter Allgemeine Zeitung, Dienstag, dem 23. Juni 2020
Michael Reinsch – Korrespondent für Sport in Berlin.