Weiter Präsident: Lord Sebastian Coe. - Foto: Victah Sailer
Leichtathletik-Präsident: Der Krisenmanager Coe – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Wiederwahl ohne Gegenkandidaten: Lord Sebastian Coe führt weiter den Internationalen Leichtathletikverband IAAF. Der frühere Weltklasseläufer ist in Doha wie erwartet im Amt bestätigt worden.
Für sein Krisenmanagement in der Leichtathletik, das er stets wie den Aufbruch zu neuen Ufern wirken ließ, ist Sebastian Coe am Mittwoch in Doha mit einem überwältigenden Vertrauensbeweis belohnt worden.
Die Delegierten aller 203 Verbände, die an der Vollversammlung des Weltverbandes IAAF in Doha teilnahmen, gaben ihm ihre Stimme für eine zweite Amtszeit von vier Jahren. „Ich konnte mich nicht so stark auf die Reform der Wettbewerbe, auf die Modernisierung unseres Sports konzentrieren“, sagte Coe.
„Stattdessen haben wir die Basis gestärkt. Auf diesem Fundament wollen wir nun aufbauen.“ Dazu soll, wie zum Zeichen der Erneuerung, die Umbenennung von IAAF in World Athletics, kommen. Wie zum Dank präsentierte er das Engagement der Wanda-Gruppe aus China als Hauptsponsor der Diamond League.
Coe erwähnte nicht seinen Vorgänger Lamine Diack, der wenige Wochen nach Coes Wahl bei der Weltmeisterschaft von Peking 2015 am Verbandssitz Monaco verhaftet wurde und wegen des Vorwurfs der Korruption und der Geldwäsche seitdem Frankreich nicht verlassen darf. In Peking hatte Coe noch versprochen, er werde Diack als Ratgeber gebrauchen und die Werte, das Erbe und die Grundlagen erhalten, die dieser hinterlassen habe.
WM als Hinterlassenschaft
Die an diesem Freitag mit Wettbewerben in einem klimatisierten Stadion und einem Marathon bei mitternächtlicher Hitze beginnenden Weltmeisterschaften sind nur eine Hinterlassenschaft der Ära Diack. Dem Patriarchen aus Senegal und seinem Sohn wird vorgeworfen, zudem die WM 2022 zum Geburtstag des Unternehmens Nike nach Eugene in Oregon sowie die entscheidenden Stimmen bei der Vergabe der Olympischen Spiele an Rio 2016 und Tokio 2020 verkauft zu haben.
Coe, seinerzeit Vorsitzender der Evaluierungskommission, verteidigte schon 2014 die Vergabe der WM an den Golf, für die der Emir von Qatar fünfzig Millionen Dollar auf den Tisch legte, als Chance für die Entwicklung seines Sports.
„Von einem schmutzigen System getrennt“
Coe, ehemaliger Abgeordneter des britischen Unterhauses und mit dem Ritterschlag der Queen ins Oberhaus aufgenommen, scheint ständig im Wahlkampf-Modus zu sein. Mit dem Ausschluss des russischen Leichtathletikverbandes (Rusaf), den die Vollversammlung in Doha – mit 164:30 Stimmen – am Mittwoch zum elften Mal verlängerte, und der Möglichkeit russischer Leichtathleten, als neutrale Starter an internationalen Wettbewerben und auch dieser Weltmeisterschaft teilzunehmen, hat er ein patentes Verfahren gefunden, mit Doping und Manipulationen umzugehen, die offenbar tief verwurzelt sind im russischen Sport.
Den Ausschluss der russischen Verbandes begründete Rune Andersen, Leiter der unabhängigen Task Force zum Umgang mit dem Fall, nicht nur mit jüngst bekannt gewordenen Manipulation der Daten aus dem Moskauer Betrugs-Labor, welche die russische Staatsanwaltschaft im Januar der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) überließ. Hohe Funktionäre des Verbandes waren auch daran beteiligt, ärztliche Atteste zu fälschen, um positive Befunde einer Doping-Kontrolle des Hochspringers Danil Lyssenko zu vertuschen. Dies habe Lyssenko gegenüber der Integritäts-Einheit des Verbandes (AIU) gestanden – einer weiteren Innovation des Verbandes.
„Wir haben die Athleten von einem schmutzigen System getrennt“, sagte Coe. Und Andersen empfahl: „Dies ist ein Beispiel, dem andere Sportarten folgen sollten.“ Mehr als zweihundert russische Leichtathleten sind über die Jahre mit Startrecht ausgestattet worden, knapp dreißig werden an der Weltmeisterschaft in Doha teilnehmen.
„Dies ist auch eine Bestätigung seiner Arbeit“, sagte Jürgen Kessing, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, in Doha zu Coes Wiederwahl. „Ich wüsste nicht, wer das an seiner Stelle besser gemacht hätte oder in Zukunft besser machen würde. Er verkörpert ein Stück weit Glaubwürdigkeit.“
Entscheidungen auszulagern, welche die Integrität des Sports und des Verbandes betreffen, erwies sich auch in Doha als richtig. Die AIU entschied, dass der Rechtsanwalt Ahmed Al Kamali aus den Vereinten Arabischen Emiraten wegen möglicher Verletzung der Verhaltensregeln von der Wahl zum Council des Verbandes ausgeschlossen wurde. Al Kamali stand vor vier Jahren im Verdacht, seine Kandidatur mit der Vergabe von Luxusuhren unterstützt zu haben; ein Vorwurf, den er bestreitet. In Doha hatte er bereits seine Akkreditierung erhalten.
Die ehemalige 400-Meter-Läuferin Ximena Restrepo aus Columbien, Bronzemedaillen-Gewinnerin bei den Olympischen Spielen von Barcelona 1992, wurde zur Vizepräsidentin gewählt – die erste in der Geschichte der IAAF. „Ich bin hier dank dir“, sagte sie zu Coe. „Du verschaffst Frauen größere Möglichkeiten.“
Die Welt-Leichtathletik hat entschieden, ihre Posten jeweils zur Hälfte mit Frauen und Männern zu besetzen. „Der Sport soll sein wie die Welt, in der wir leben“, sagte Coe.
Weitere Vizepräsidenten sind der ehemalige Stabhochspringer Sergej Bubka aus der Ukraine, Geoffrey Gardner von den Norfolkinseln vor der Australischen Küste und der Saudische Prinz Nawaf Bin Mohammed Al Saud.
Der deutsche Präsident Jürgen Kessing erhielt 45 Stimmen und wurde nicht ins Council gewählt.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 25. September 2019
Korrespondent für Sport in Berlin.