Caster Semenya - Photo: Victah Sailer@PhotoRun
Läuferin Caster Semenya : „Ich bin eine Frau, und ich bin schnell“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der Leichtathletik-Verband hat einen neuen Grenzwert für Testosteron bei Frauen eingeführt. Die Südafrikanerin Caster Semenya muss nun Medikamente nehmen, will sie weiter starten. Doch dabei geht es um ein größeres Thema.
„Nächstes Jahr ist normal“, behauptet Caster Semenya. „Wir haben wieder eine Diamond League im nächsten Jahr. Wir haben unsere Landesmeisterschaft. Wir haben die All African Games. Wir haben eine Weltmeisterschaft.“ An all diesen Wettbewerben wolle sie teilnehmen.
Doch nichts ist normal. Am 1. November tritt die neue Regel des Weltverbandes der Leichtathleten (IAAF) in Kraft, die eine Testosteron-Obergrenze definiert und die Olympiasiegerin von London 2012 und Rio 2016 über 800 Meter, die Weltmeisterin von Berlin 2009, Daegu 2011 und London 2017 zwingen soll, Medikamente einzunehmen oder sich einer Operation zu unterziehen, will sie weiterhin an Wettkämpfen teilnehmen. „Darüber spreche ich jetzt nicht“, sagt Caster Semenya. „Es ist nicht an mir, jetzt über diese Themen zu reden.“
Caster Semenya ist Läuferin. Mit dem Sieg über 800 Meter im Finale der Diamond League vergangene Woche in Zürich in 1:55,27 Minuten hat die 27-Jährige ihre Siegesserie auf dieser Strecke auf drei Jahre verlängert. In Berlin verbesserte sie drei Tage später ihre Bestzeit über 1000 Meter und damit den Rekord ihrer Heimat Südafrika auf 2:30,70 Minuten. In diesem Jahr hat sie auch die nationalen Rekorde über 400, über 800 und über 1500 Meter unterboten. Am kommenden Wochenende soll sie beim Continental-Cup in Ostrava Afrika vertreten. Am Sonntag in Berlin sagte sie: „Es war ein phantastisches Rennen. Ich komme immer gern her. Das Publikum ist großartig. Da will man nicht enttäuschen.“
„Wir haben zwei Klassifikationen im Sport, Männer und Frauen“
Dabei begann in Berlin vor neun Jahren ihr Albtraum. Kaum hatte die damals Achtzehnjährige bei der Weltmeisterschaft im Olympiastadion das Finale über 800 Meter gewonnen, verwehrte die IAAF ihr das Erscheinen auf der anschließenden Pressekonferenz. Der Generalsekretär des Verbandes, Pierre Weiss, teilte den Journalisten mit: „Es gibt Zweifel, dass diese Lady eine Frau ist.“
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der IAAF Diskriminierung von Frauen mit Hyperandrogenämie vor, Frauen, deren Testosteronwerte natürlich erhöht sind. Die amerikanische Stiftung Women’s Sport Foundation, gegründet von Tennis-Star Billie Jean King, protestiert mit einem offenen Brief gegen die Regel. Keine Frau sollte gezwungen sein, ihren Körper zu verändern, um am Frauen-Sport teilnehmen zu dürfen, fordern die mehr als sechzig Unterzeichnerinnen.
„Was auf dem Spiel steht, ist weit mehr als das Recht, an Sport teilzunehmen“, schreiben sie. „Die Körper von Frauen, ihr Wohlergehen, ihre Möglichkeit, einen Lebensunterhalt zu verdienen, ihre Identität, ihre Privatsphäre, ihr Gefühl von Sicherheit und in die Welt zu gehören sind unmittelbar bedroht.“
Zu den Unterzeichnerinnen gehört die indische Sprinterin Dutee Chand, die mit ihrer Klage vor dem obersten Sportgerichtshof, dem Cas in Lausanne, die Regel zu Fall gebracht hat, welche die IAAF 2011 erlassen hatte. Diese zog die Grenze bei 10 Nanomol. 2015 hob der Cas sie auf, weil er keinen generellen Vorteil hyperandrogener Frauen erkennen konnte. Die IAAF wurde aufgefordert, neue Beweise vorzulegen. Kaum war der Verband im Besitz einer entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchung – welche keine Vorteile erhöhter Testosteronwerte im Sprint und, zum Beispiel, im Kugelstoßen fand – erließ die IAAF die neue Regel: auf Mittelstrecken beschränkt und mit verschärftem Grenzwert.
„Ich bin sehr verärgert, dass ich wieder ins öffentliche Scheinwerferlicht gestoßen worden bin“, teilte Caster Semenya damals schriftlich mit. „Ich mag über diese neue Regel nicht sprechen. Ich möchte natürlich rennen, so, wie ich geboren wurde. Es ist nicht fair, dass mir vorgeschrieben wird, dass ich mich ändern müsste. Es ist nicht fair, dass Leute in Frage stellen, wer ich bin. Ich bin Mokgadi Caster Semenya. Ich bin eine Frau, und ich bin schnell.“ Ihre Anwälte klagen gegen die Regel.
Caster Semenya erreichte 2011 eine Bestzeit von 1:56,35 Minuten. 2014 lief sie ihr schnellstes Rennen über 800 Meter in 2:02,66, mehr als fünf Sekunden langsamer. Als der Cas im Jahr darauf die Lex Semenya aufhob und die Läuferin damit vermutlich von einer Hormonbehandlung befreite – sie spricht nicht darüber –, stieg ihre Leistungskurve wieder steil an. Beim Olympiasieg von Rio war sie gut sechseinhalb Sekunden schneller (1:55,28). In diesem Jahr verbesserte sie in Paris ihre Bestleistung in einem Lauf ohne Tempomacher auf 1:54,25 Minuten – das schnellste Rennen in fast zehn Jahren, die viertbeste Zeit der Sportgeschichte. Den Weltrekord der Tschechin Jarmila Kratochvilova von 1983, 1:53,28 Minuten, sagt sie, wolle sie nicht angreifen.
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.