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07
08
2018

David Storl - Poto: Victah Sailer

Kugelstoßer Storl bei EM BERLIN 2018: Heavy Metal – mit Booster – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Eine langwierige Verletzung hat David Storl lange gebremst. Jetzt hat der frühere Kugelstoß-Weltmeister wieder seine volle Bewegungsfreiheit im Ring und gehört bei der EM zu den Favoriten

Ist es ein kleiner Freudensprung, als den man die allerletzte Bewegung von David Storl beim Kugelstoßen betrachten muss. Da ist er durch den Ring geglitten und mit dem linken Fuß an die hölzerne Begrenzung gestoßen, ist aus seiner tiefen einbeinigen Hocke hochgeschnellt und just dabei, die mehr als sieben Kilo schwere Eisenkugel in ihre hohe Flugkurve zu katapultieren.
Da wechselt er, wie ein Tänzer, der von der Bewegung mitgerissen wird, in einer eleganten, kraftvollen Drehung den rechten Fuß von hinten nach vorn.

Endlich springe er wieder um, sagt David Storl im Trainingslager Kienbaum; endlich bestehe Kugelstoßen für ihn wieder aus der vollständigen Bewegung. Der Riese von fast zwei Meter Größe und gut 120 Kilo Gewicht strahlt die Zufriedenheit eines Menschen aus, der tut, was er am besten kann, und der weiß, dass er das sehr gut kann. „Das große Ziel ist Gold“, sagt er. Die Ansage hat durchaus einen Horizont.

Im nächsten Jahr sind Weltmeisterschaften in Doha am Persischen Golf, im Jahr darauf finden in Tokio die Olympischen Spiele statt.

Zunächst aber beginnt an diesem Montag mit der Qualifikation (17.35 Uhr in der ARD) die Leichtathletik-Europameisterschaft in Berlin. Für Storl, 28 Jahre alt und schon zweimal Weltmeister sowie dreimal Europameister, haben die Veranstalter ein kleines Stadion mit 3000 Sitzplätze zwischen Europa-Center und Gedächtniskirche gebaut. Hier müssen sich er und diejenigen Konkurrenten qualifizieren, die am Dienstagabend im Olympiastadion um die Medaillen kämpfen. Der Auftritt von Storl im Zentrum der City West ist der Paukenschlag, mit dem die Veranstaltung beginnt: Heavy Metal für die Titelkämpfe

In den letzten Jahren wirkte Storl wie auf verlorenem Posten in der Disziplin, für die er geboren schien. 2011 in Daegu in Südkorea wurde der Sachse aus Rochlitz an der Mulde mit gerade 21 Jahren jüngster Kugelstoß-Weltmeister der Sportgeschichte.

Das war nicht mal eine Überraschung, sondern die Fortsetzung einer jahrelangen Überlegenheit. Mit siebzehn war er Jugend-Weltmeister geworden, mit achtzehn gewann er den Titel bei den Junioren. Wettkämpfe gegen Gleichaltrige gewann er meist mit mehreren Metern Vorsprung. Seinen Status als Jahrhunderttalent belegte er, als er (mit der 6-Kilo-Kugel) als erster Junior 22 Meter übertraf – mehrmals. Der einzige Erfolg, der Storl bis heute fehlt, ist der Olympiasieg. So nahe wie er in London 2012 dran war, mit gerade 22, kommt kaum jemand einer olympischen Goldmedaille. Storl stieß 21,86 Meter, so weit wie nie zuvor – und der Pole Tomasz Majewski übertraf ihn mit 21,89; zwei Fingerbreit, drei Zentimeter.

Den ersten Höhepunkt seiner Karriere erreichte Storl vor drei Jahren beim Diamond-League-Sportfest in Lausanne. 22,20 Meter stieß er die Kugel. Bis heute ist das seine Bestleistung. Wenige Wochen später, bei der Weltmeisterschaft von Peking 2015, musste er sich mit 21,74 Meter dem Amerikaner Joe Kovacs geschlagen geben. Seitdem ist er durch ein tiefes Tal gegangen. Eine chronische Knieentzündung und erfolglose Operationen verursachten solche Schmerzen, dass Storl seine Bewegung reduzierte und auf das Umspringen verzichtete – den Booster, der die Kugel ein paar Zentimeter weiter fliegen ließ. So schmerzhaft war die Verletzung, dass Storl sogar vom Aufhören sprach.

In Amsterdam wurde er 2016 zwar zum dritten Mal Europameister. Doch bei den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro kurz darauf kam er lediglich auf 20,64 Meter und wurde Siebter. Als er auch noch bei der Weltmeisterschaft von London 2017 mit 20,80 Meter nur Platz zehn erreichte, während sich die Weltspitze mit der Drehstoßtechnik ständig verbesserte – der amerikanische Olympiasieger Ryan Crouser hat mehr als vierzig Mal 22 Meter übertroffen – verfestigte sich bei Storl die Vorstellung, dass sich grundsätzlich etwas ändern müsse. Er ist kein Mensch der Öffentlichkeit. Umso mehr überraschte er seinen Trainer Sven Lang nach zehn Jahren Zusammenarbeit damit, dass er nicht ihm, sondern den Journalisten Matthias Große als seinen Motivations-Coach vorstellte, den schillernden Lebensgefährten der Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein. Ob die Zusammenarbeit mit dem Hummer-Fahrer und Selfmade-Man aus Berlin der Versuch war, die Kooperation mit dem Trainer zu retten, oder ob sie die Trennung provozieren sollte – seit Herbst ist Wilko Schaa der neue Trainer Storls.

Wenn Storl nun sagt, dass sich auf der ganzen Welt die Trainingsmethodik ändere und für den extremen Leistungssprung in seiner Disziplin gesorgt habe, wirkt das wie eine Vertrauenserklärung für den 35 Jahre alten Sportwissenschaftler. Zehn Jahre lang war Schaa am Institut für Angewandte Sportwissenschaft (IAT) in Leipzig tätig. Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat ihn als Bundestrainer Wissenschaft angestellt mit der Aufgabe, neue Erkenntnisse in Training und Konzepte für den Wurfbereich umzuwandeln. Und zur Neuaufstellung von David Storl.

Er habe den Reset-Knopf drücken und dem Athleten Spaß an der Bewegung vermitteln müssen, sagt Schaa. Selbst den Wechsel zum Drehstoß diskutierten die beiden – und entschieden, beim Angleiten zu bleiben. Muskelaufbau in den Füßen und die Korrektur der Beinachsen – Storl hat leichte X-Beine – haben das Knie schmerzfrei gemacht. Um es nicht zu überlasten, stößt Storl im Training fast halb so häufig wie früher und dosiert auch das Krafttraining. Vom Austausch und der Arbeit auf Augenhöhe schwärmt Storl nun. Der Trainer habe Spaß und Lockerheit in ein festgefahrenes System gebracht.

„Ich bin einer der letzten Angleiter“, sagt er. „Ich sehe das nicht als Nachteil.“ Mit seiner Größe sei er für diese Technik prädestiniert, – „und sie macht auch mehr Spaß“. Mit 21,62 Metern ist Storl derzeit die Nummer zwei Europas hinter dem Polen Michal Haratyk (22,08). Den Drehstoßer am Dienstag zu besiegen ist nur das nächste Ziel. Im kommenden Jahr will Storl regelmäßig 22 Meter übertreffen. Und bei Olympia in Tokio, da sind sich er und Schaa einig, will er 22,50 Meter sicher erreichen können.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Montag, dem 6. August 2018

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR