Ines Geipel, die Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe- Foto: Horst Milde
Kommentar : Not und Verzweiflung bei Doping-Opfern – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Es gibt junge Menschen, die leiden an einer Behinderung, die wohl im Doping der Eltern begründet ist. Für sie gibt es weder Hilfe vom Staat noch vom Sport – trotz aller Initiativen und Bitten der Opfer.
Pressekonferenz mit Betroffenen. Das bedeutete bei der Doping-Opfer-Hilfe: Tränen und Fassungslosigkeit.
Eine ehemalige Turnerin, als Kind gedopt, scheiterte fast, als sie im Gebäude der Stiftung zur Aufarbeitung in Berlin am Dienstag versuchte zu beschreiben, wie es ihr im Vorhof der Erfolgs- und Medaillenmaschinerie DDR-Sport erging. Wie der Trainer sie brüllend packte und so heftig vom Schwebebalken zu Boden schleuderte, dass sie beinahe einen Genickbruch erlitt.
Der Mann, notorisch gewalttätig, unterlag einem Verbot, zu Wettkämpfen zu reisen. Junge Turnerinnen jedoch, die er gern als „fette Sau“ beschimpfte, vertraute der Turnverband der DDR ihm gern an.
Der eigentliche Skandal sei, sagt Ines Geipel, die Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe, dass es sie immer noch gebe. Bald zwanzig Jahre nach den Doping-Prozessen gegen die Führung des DDR-Sports und bald dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer folgen die Aufgaben dieser Organisation den Tentakeln von Manipulation – durch die Sportarten, durch die Delikte, durch die Generationen. Kinder und Jugendliche, die das Versprechen des Sports von Erfolg, Ruhm und Reisen glaubten, realisieren nicht selten erst heute, dass sie ohne jede Aufklärung gedopt wurden.
Verdrängte Erfahrungen von Misshandlung und Missbrauch, die in diesem Klima der legitimierten Manipulation gediehen, brechen auf. Mit 1700 Betroffenen hat der Verein Kontakt. Und er fühlt sich 300 jungen Menschen verpflichtet, bei denen der Verdacht auf der Hand liegt, dass ihre Behinderung im Doping von Vater oder Mutter begründet ist. Für sie gibt es Hilfe nicht vom Sport noch vom Staat.
Doping-Opfer der zweiten Generation wachsen in Not und Verzweiflung auf.
Neben medizinischer Forschung, die ihr und ihrer Eltern Schicksal erklären könnte, fehlt es den meist schwer geschädigten und arbeitsunfähigen Eltern an Mitteln nicht nur für dringend notwendige Therapien, sondern schon für einen ganz normalen Alltag.
Der Appell des Parlamentarischen Staatssekretärs Ole Schröder, das Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz so zu überarbeiten, dass es die Lücke beim Schutz der Hinterbliebenen schließt, ist ohne Resonanz geblieben. Die Aufforderungen aller Parteien im Deutschen Bundestag, der Deutsche Olympische Sportbund solle sich am Fonds für Doping-Opfer beteiligen, zeigten keinerlei Wirkung. Die Bitte der Doping-Opfer, staatliche Hilfe wenn schon nicht aufzustocken, so doch wenigstens nicht zu befristen, ist verhallt.
Doping ist, das zeigt nicht nur die systematische Manipulation in Russland, ein Teil des Sports der Welt.
Die Gründung eines Weltverbandes seiner Opfer scheint nur eine Frage der Zeit. Wäre nicht, neben Bobbahnen und Spitzensport-Instituten, ein Kompetenzzentrum zur Hilfe von Geschädigten ein angemessenes Erbe des DDR-Sports?
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 26. April 2018
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.
Preis für F.A.Z.-Reporter Reinsch
Michael Reinsch, Redakteur der F.A.Z.-Sportredaktion, hat für sein Lebenswerk den 1. „Antidoping-Medienpreis“ des Doping-Opfer-Hilfe-Vereines (DOH) erhalten.
Damit würdigte der DOH seine kritische Berichterstattung über die nationale und internationale Sportszene, heißt es in der Begründung: „Seine Stücke leben von seinem profunden Wissen (…) und sind wohltuend unzynisch. Im Jahr 2001 hat er für die F.A.Z. über jeden einzelnen Tag des Berliner Doping-Prozesses berichtet.
Michael Reinsch – Foto: Horst Milde
Seitdem gehört er zu den Journalisten, die dem Thema DDR-Dopingopfer einen öffentlichen Raum verschafft haben“, schreibt der DOH.
Der Verein kämpft unter der Leitung der Schriftstellerin Ines Geipel um die Anerkennung und Versorgung ehemaliger Athleten, die wegen der Doping-Mittel-Vergabe teils schwer erkrankt sind.
Neben Michael Reinsch erhielt auch André Keil, Fernsehjournalist und langjähriger Studioleiter des Landesfunkhauses Schwerin, den Medienpreis. Er ist mit jeweils 1500 Euro dotiert und wird am 6. Dezember 2018 in Berlin verliehen. (ahe.)