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11
03
2019

Julien Wanders Europarekord in Ras Al Khaimah Foto: RAK

Julien Wanders – der weisse Kenianer – Von Heinz Schild

By GRR 0

Halbe Sachen kennt er nicht. Julien Wanders trainiert nicht in Kenia, er lebt dort. Zumindest als Saisonnier.

In Iten hat er jene Trainingsgruppe gefunden, die ihm in der Schweiz fehlt. Und weil er weder in einem Hotel noch in einer gemieteten Villa logiert, sondern den einfachen Lebensstil seiner afrikanischen Kollegen übernommen hat, zollen sie ihm hier Anerkennung und Respekt.

Unterdessen hat er den Halbmarathon-Europarekord vom Mo Farah um 29 Sekunden auf 29:13 gesenkt, den 10-km-Rekord und die neu eingeführte 5-km-Strassenlauf-Distanz gleich mit dem Weltrekord von 13:29 markiert.

14:03.1 – das war die Marke, die Markus Ryffel als Junior 1973 in einer lauen Sommernacht im 5000-m-Rennen bei Weltklasse Zürich erzielte.

42 Jahre hat der Junioren-Schweizerrekord jedem Angriff Stand gehalten. Im April 2015 liess der 19-jährige Genfer Julien Wanders aufhorchen:  13:48.21 in Oordegem, Belgien. Spätestens jetzt wusste man, da wächst was Grosses heran. So ganz aus dem Nichts ist diese Leistung allerdings nicht gekommen. Bereits ein Jahr zuvor, 2014, ist Wanders als 18-Jähriger 14:06.23 gelaufen.

Spartanisch leben, hart trainieren

Bereits in jungen Jahren war Julien von der Idee besessen, es seinem Vorbild Markus Ryffel gleich zu tun, wählte aber einen anderen Weg. Als 18-jähriger reiste er nach Kenia, dorthin «wo die besten Läufer leben».

Zurück in Genf und die Matura im Sack, entschied er sich, endgültig bedingungslos und mit Herzblut auf die Karte Spitzensport zu setzen. Die Eltern waren alles andere als glücklich.

Ihnen zuliebe immatrikulierte er sich als Wirtschaftsstudent an der Universität Genf. Eine gute Woche soll er es ausgehalten haben, dann zog er aus nach Kenia. Hart war der Anfang, doch hier musste er durch. Er bezog in Iten, mitten unter den einheimischen Athleten, ein einfaches Zimmer, ohne fliessendes Wasser, «genauso, wie viele junge, starke Läufer auch leben».

Dank dieser respektvollen Haltung ist der Europäer mit Wohlwollen aufgenommen worden. Inzwischen ist Wanders nicht mehr jener, der sich im Training einer Laufgruppe anschliesst.

Auf der Rundbahn und bei den Longjogs auf der Strasse ist er zu einem Leader gereift. Anders ist heute auch die Wohnsituation. Mit seiner kenianischen Freundin, einer Lehrerin, hat er ein kleines Haus bezogen.

Geblieben ist die Tagesstruktur. In einem Interview im Schweizer Fitness-Magazin ‘Fit for Life’ erklärte er jüngst: «Ich habe in Iten meinen Laptop, einen Fernseher und lese auch gerne. Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht. Mein Tagesablauf besteht aus dem Dreiklang trainieren-essen-schlafen. Tagwache ist in der Regel um 5.30 Uhr, Nachtruhe um 22 Uhr.»

Im Sommer reist er jeweils für zwei Monate nach St. Moritz und besucht zwischendurch seine Eltern und die Klub-Kollegen von Stade Genève.

Julien Wanders bei der EM Berlin 2018 – Foto: Horst Milde

Sprung in die Weltklasse

Noch immer trainiert er nach den Plänen seines langjährigen Trainers Marco Jäger, der ihn vom Nachwuchstalent zum Weltklasseathleten geführt und geformt hat. Jäger kennt als ehemaliger 800-m-Läufer (1.47.38) sein Metier. Wöchentlich tauschen sich die beiden mehrmals aus. Denn nach wie vor ist Genf Wanders Heimat, doch in Iten schätzt er das Klima, die Ruhe, den engen Kontakt mit den kenianischen Spitzenläufern und deren Lebensweise.

Die Resultate der letzten drei Jahre geben ihm Recht:   
2017:     HM      1:01:43 / 10km 28:02 Schweizer Rekord
2018:     HM     1:00:09 U23-Europarekord                                                                                                                      10km  27:25  Schweizer und Europarekord, Houilles
2019:     HM     59:13  Europarekord in Ras Al Khaimah
               5km   13:29  Weltrekord in Monaco

Nun will er sich auf die Bahn konzentrieren mit dem Ziel Olympische Spiele 2020 in Tokio.

Doch vorher winkt noch die WM in Doha. Ob 5000 oder 10’000 Meter bleibt offen. Trainer Marco Jäger hat gegenüber dem Westschweizer Fernsehen eine mutige Prognose gemacht: «A l’entraînement Julien vaut mieux que 27’30»!

Jäger gilt als besonnener, ruhiger Mensch.

Julien Wanders – der weisse Kenianer – Foto: DATASPORT

Bleibt der Generalverdacht.

Julien Wanders bleibt gelassen. Er sei 2018 50x getestet worden.

Trainer Marco Jäger zeigt sich in einem Interview mit der ‘NZZ am Sonntag’ dennoch besorgt: Bei einem Unfall in Kenia müsse Julien rasch möglichst von einem Betreuer begleitet werden, der im Spital «jede einzelne Massnahme der Ärzte überwacht».

Gleiches gelte bei Dopingkontrollen: «Er hat Wanders gebeten, sich stets den Ausweis zeigen zu lassen, bevor er Urin- und Blutproben abgibt».

Und Wanders selber ist sofort bereit alle Blutwerte offen zu legen.

Bestleistungen
– 1500 m:                 3:43,39 min, 14. Juli 2018, Zofingen
– 3000 m:                7:50,35 min, 18. Juli 2018, Bellinzona
– 5000 m:                13:24,79 min, 11. August 2018, Berlin
– 10’000 m:            28:06,17 min, 8. April 2017, Huelva
– 5-km:                      13:29 min, 17. Februar 2019, Monaco, WR
– 10-km:                   27:25 min, 30. Dezember 2018, Houilles, ER
– Halbmarathon: 59:13 min, 8. Februar 2019, R’as al Chaima, ER

Heinz Schild

author: GRR