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26
11
2020

Dream Run: Der Beinbehinderte, der im Mumbai bejubelt wurde. Foto: Veranstalter

In Indien laufen Träume mit – Beim Mumbai Marathon geht es weniger um Gold und Geld – Klaus Weidt berichtet

By GRR 0

Den stärksten Beifall bekommen die „Dream Runner“. Aber auch anderswo werden immer mehr Behinderte in die Laufprogramme integriert.

Ein Bild, das mich bis heute nicht loslässt. Ein Inder klammert sich an einer Stange fest, die zwei Helferinnen hochhalten. Seine Ehefrau schreitet mit einem Stuhl vorweg und feuert ihn an.

Hinter ihm seine Tochter, die alle zurückgelegten Meter notiert. Der Mann scheint gegen seine schwindende Muskulatur zu kämpfen. Meter um Meter ringt er der Strecke ab und wird gefeiert wie ein Marathonsieger.

Mumbai – Start im Morgengrauen, Läuferschlange über die Mumbai-Brücke- Foto: Klaus Weidt

Als ich den Jubel hörte, begriff ich: Die vielen Zuschauer an der Straße in Mumbai würdigten den Kampf ihres tapferen Landsmannes, der in anderer Weise auch ihrer sein könnte.

Das ist das Besondere am Mumbai-Marathon: Wenn sich die Marathon- und Halbmarathonläufer aus der Morgendämmerung des Januars vom Startpunkt verabschieden, beginnt das eigentliche Festival mit vielen Besonderheiten. Dazu versammeln sich die unterschiedlichsten Gruppen zu den unterschiedlichsten Distanzen.

Zig Tausende Frauen, Männer und Kinder malen ihre Träume, farbenfroh und laut. In bunten Gewändern, mit Luftballons und Transparenten. Mittendrin Rollstühle mit geistig und körperlich Behinderten, genauso bejubelt wie die Nichtbehinderten. Indische Normalität.

Mumbai  – Die Senioren werden gefeiert – Foto: Klaus Weidt

Faszinierende, unvergessliche Bilder für mich. Einer, der sich immer wieder über die Resonanz beim „Dream Run“ freut, ist Hugh Jones aus London, der Generalsekretär der AIMS. Er hatte einst den Mumbai-Marathon ins Leben gerufen. „Dieser Lauf“, so sagt er, „verkörpert die Kraft der eigenen Träume und die Fähigkeit, diese Träume zu verwirklichen.“

Und auch die Älteren lassen es sich nicht nehmen, bei diesem Januar-Ereignis ihre Stärke zu zeigen. Der Seniorenlauf über 4,3 km ist ein Spektakel für sich. Meist an die 2000, die meisten sogar Frauen, machen farbenfroh und laut auf sich aufmerksam. Sie legen offensichtlich Wert darauf, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass sie sich fit fühlen. Da hielt einer zum Beispiel ein Schild hoch, auf dem zu lesen stand: „93 und noch nicht out“. Veteranen werden in Indien hoch geschätzt.

Der Tata Mumbai Marathon (früher Standard Chartered) hat, so scheint mir, ein anderes Verhältnis zu Gold und Geld. Goldmedaillen ja, und Preise auch. Aber Geld und Sachwerte werden laufend am Rande der spektakulären Veranstaltung gesammelt. Vom Startschuss an bis zum letzten Finisher. Da gibt es eine Spendenplattform, die von United Way Mumbai verwaltet wird. Man müsste sich mal mitteilen lassen, wieviel Tausende in armen indischen Regionen schon – und auf welche Weise – geholfen werden konnte.

Zurück zu den gehandicapten Läuferinnen und Läufern. Erfreulich ist, dass immer mehr Veranstalter sie in ihre Programme einbinden. So der Athens Classic Marathon seit 2010. Damals liefen und rollten geistig und körperliche Behinderte erstmals ins historische Olympiastadion.

Beim Empfang der an Leinen geführten Blinden und Sehbehinderten fiel mir Haile Gebrselassie ein, der in Addis Abeba eine Blindenschule unterstützt und sich es nicht nehmen lässt, mit einem Tuch um den Kopf gebunden, sozusagen „blind“, mit ihnen zu rennen.

Haile Gebrselassie läuft blind mit – Foto: Klaus Weidt

Immer mehr deutsche Laufveranstalter beziehen erfreulicherweise behinderte Sportler in ihre Programme ein. Zahlreiche Beispiele gibt es hierfür.

Von der Lebenshilfe Dortmund bis zum Berliner Inklusionslauf auf dem Tempelhofer Feld. Letzterer muss Corona bedingt in diesem Jahr ausfallen, nun freuen sich die Organisatoren auf den nächsten am 21. August 2021. Laufen, Walken, Rollen, Skaten von einem bis zu zehn Kilometern, Staffeln inklusive. Man rechnet wieder mit 1000 Teilnehmern.

Oder Kamern. Wer kennt schon diesen kleinen Ort zwischen Elbe und Havel, dort, wo der Legende nach Frau Harke (auch als Frau Holle bekannt) residiert? Beim traditionellen Lauffest „Rund um die Hedemicke“ werden Jahr für Jahr ausgeschrieben: eine Wanderung für Sehschwache und Blinde mit Begleitung und ein Handicap für Gehbehinderte und Rollatoren.

Oder der Rennsteig. Wer weiß schon, dass auf den Höhen des Thüringer Waldes neben Marathon, Halbmarathon, Ultralauf und urigen Wanderungen auch ein Lauf für Behinderte ausgerichtet wird? „Spezial Cross“ nennt sich dieser. Wenn die vielen tausend Marathonis nach ihrem geschunkelten „Schneewalzer“ das Städtchen Neuhaus verlassen, setzen sich etwa 500 mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung in Bewegung.

3,7 km lang ist die Strecke, auf der sie genauso wie die Langstreckler von den Zuschauern angefeuert werden. Die Organisation einer solchen speziellen Crossveranstaltung ist inzwischen eine Mammutaufgabe geworden.

Acht Altersgruppen, 50 Leistungsklassen, Medaillen, Urkunden, Siegerehrungen… Diese manchmal über 4 Stunden. Behinderte und Gesunde in einem Tagesprogramm im Monat Mai vereint. Glücksmomente beim Spezial Cross in Neuhaus genauso wie bei Dream Run in Mumbai.

Und überall laufen Träume mit.

Einige Infos:

Mumbai-Marathon am 17. Januar 2021, Kontakt: Rennleiter Hugh Jones, scmm@procam.in

GutsMuthsRennsteiglauf am 8. Mai 2021, info@rennsteiglauf.de  Tel.: +49-36782-61237

Rund um die Hedemicke, Kamern (Sachsen-Anhalt) am 20. Juni 2021, gemeinde@kamern.com

Berliner Inklusionslauf am 21. August 2021, info@inklusionslauf.de

Klaus Weidt

https://germanroadraces.de/?p=163533

author: GRR