DOSB-Chef Alfons Hörmann - Foto: DOSB/Silz
Hörmanns Windspiele: Weniger Druck statt mehr Medaillen – Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Nach hohen Medaillenzielen bei Olympia will DOSB-Chef Hörmann von den einstigen Vorgaben nun nichts mehr wissen. Vermutlich ist es für einen Verbandspräsidenten eine Tugend, das Fähnchen nach dem Wind zu richten.
Hatte nicht Alfons Hörmann mit Hurra die Forderung des Ministers Thomas de Maizière erfüllen wollen, dass die Olympiamannschaft mindestens ein Drittel mehr Medaillen von den Spielen mitbringt? Hat der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) dafür nicht eine Spitzensportreform über die Verbände gebracht, die im Wesentlichen von der Idee geprägt ist, durch Konzentration und straffe Führung mehr Gold bei Olympia und damit mehr Geld vom Staat zu gewinnen? Nein, sagt Hörmann, ganz falsch.
Die Reform solle insbesondere Athleten stärken, auch wirtschaftlich, und – Achtung! – Druck von ihnen nehmen.
Hörmann schaffte es auch am Dienstag wieder, für Verblüffung zu sorgen. Bei einer öffentlichen Diskussion in Berlin verriet er, dass er sich nicht einmal an die einzelnen Medaillen der Olympischen Spiele von Pyeongchang im vergangenen Jahr und an die von Rio 2016 erinnere.
Für das Team D, wie er die Olympiamannschaft beharrlich nennt, sei das Wichtigste, sich als mustergültiger Botschafter des Heimatlandes zu präsentieren; wenn Athleten bei den Olympischen Spielen durch persönliche Bestleistungen erfreuten oder durch ihr Dabeisein, sei alles okay. Sportlerinnen und Sportler, die von ihren Verbänden zum Umzug in Leistungszentren gezwungen worden sind, Sportdirektoren und Bundestrainer, die wegen Erfolglosigkeit ihrer Athleten entlassen wurden, werden staunen: Das sind ja ganz neue Töne.
Weit weg von Medaillenvorgaben
Hörmann übernahm, als er im Dezember 2013 die Nachfolge von Thomas Bach antrat, mit dem Amt auch das Verständnis von einer Sportnation im Niedergang. Nicht zu einem phänomenalen Aufschwung hatte die deutsche Einheit geführt, sondern zu kontinuierlich weniger Erfolgen, belegt im Rückgang der Medaillen seit den Olympischen Spielen von Barcelona 1992. Hörmann, der Macher, packte also an. Nur personelle Wechsel retteten den großen Verlierern der Spiele von Sotschi 2014, Curling- und Eisschnelllauf-Verband, die Förderung. Wer schon keinen Erfolge habe, warnte der Präsident die Sommersportarten, brauche wenigsten ein Konzept, um dies zu ändern. Sonst stelle sich – naturgemäß, sagte er – die Frage, ob weiterhin Mittel der öffentlichen Hand in so einen Verband investiert werden dürften.
Nach Rio 2016 kritisierte Hörmann, dass Verbände Qualifikationsnormen gesenkt hätten, um möglichst viele Athleten mitzunehmen. Dies habe, insbesondere bei den Leichtathleten, zu „erkennbar inakzeptablen Ergebnissen“ geführt. Ziel der Neustrukturierung sei es, den Spitzensport erfolgreicher zu machen, heißt es im Eckpunktepapier der Reform von Bundesinnenministerium und DOSB. „Herausragende Vertretung“ bedeute, Finalplätze und Medaillen anzustreben. Dem Sportausschuss des Bundestages zeigte der DOSB in einer Präsentation ein Podest mit den Ziffern eins, zwei und drei: „Ziel der Neustrukturierung: Podiumsplätze“.
Nun versprach Hörmann, so viele Sportlerinnen und Sportler wie möglich mitzunehmen nach Tokio 2020. Von Medaillenvorgaben sei der deutsche Sport meilenweit entfernt. Da hat er recht.
Denn: Im Innenministerium weht ein neuer Wind. Horst Seehofer lässt die von de Maizière angezogenen Zügel schleifen, lobt Leichtigkeit und Freude im Spitzensport. Er warnte vor überzogenem Leistungsdruck und fordert, Sportlerinnen und Sportlern nicht Leichtigkeit und Freude zu nehmen.
Vermutlich ist es für einen Verbandspräsidenten eine Tugend, beim Hüh und Hott der Politik das Fähnchen nach dem Wind zu richten. Es ist, im Fall der Olympiamannschaft, schließlich die deutsche Flagge.
Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 24. Oktober 2019
Korrespondent für Sport in Berlin.