Blog
21
05
2019

An den Trainingsrhythmus, morgens um 6:00 und nachmittags zu trainieren, gewöhnt man sich schnell. - Foto: Schneider-Foto

Höhentraining – 30 lehrreiche Tage inmitten der Kenianer in Iten – Lothar Pöhlitz in Leichtathletik Coaching-Academy

By GRR 0

Wir sahen Leidenschaft, Hingabe, Disziplin und auch Leistungsbereitschaft wie wir sie in Deutschland wohl nie erreichen.

Eine Anreise nach Nairobi, der Hauptstadt Kenias, dauert 11-16 Stunden je nach Abflugort aus Deutschland bzw. je nach Fluglinie. Von Nairobi aus in das ca. 2400m hoch gelegene Iten gelangt man am schnellsten (45 min) mit der innerkenianischen Fluglinie nach Eldoret, von wo Taxis oder Matatus in etwa einer Stunde das letzte Stück nach Iten fahren.

Warum so viele kenianische Weltklasseläufer, Weltmeister, Olympiasieger und Weltrekordler aus Iten kommen wollen wir in den nächsten Tagen wissen.

Es gibt insgesamt 11 Länder weltweit, durch die der Äquator führt, darunter Kenia. Dort geht 365 Tage im Jahr die Sonne um ca. 6:00 Uhr morgens auf und um ca. 18:30 unter. Auf 2300-2400m Höhe misst man ganzjährig 18 – 27 Grad und es gibt keinen Schnee. Der Trainings-, Essens und Schlafrhythmus ist für die bis zu 800 gleichzeitig trainierenden aus dem ganzen Land und Europa das ganze Jahr hinweg im Prinzip gleich. Das Klima in der Höhe (Luftdruck nur etwa 760 mbar) macht Iten zum idealen Ort für Höhentrainingslager.

Die Zeitverschiebung zu den deutschen Wintermonaten beträgt lediglich 2 Stunden, im Sommer sogar nur eine Stunde. Dazu findet man unter den auch zu uns freundlichen Läufern immer Trainingspartner für alle Geschwindigkeiten.

Iten2_Schneider-Foto

Unser Hotel mit Kraftraum

Iten3_Schneider-Foto

Unser Hotel bot alles, was man als Läufer erwartet. Sehr gutes und ausreichendes Essen (europäisch und kenianisch), bequeme Betten, Ruhe und Abgeschiedenheit und sogar einen Kraftraum als Sahnehäubchen.

Iten4_Schneider-Foto

Marcel Fehr bei der ersten Iten-Besichtigung

An den Trainingsrhythmus, morgens um 6:00 und nachmittags zu trainieren, gewöhnt man sich schnell. Müde vom Tag und Training ohne Ablenkung geht „man“ um 21:00 ins Bett und ist morgens wach und ausgeruht. Wir auch.

Alle Kenianer laufen zu dieser frühen Morgenzeit – 3x wöchentlich Dauerläufe und auch schon sehr heftige Tempoeinheiten. Zwischen 9:00 – 10 Uhr beginnt dann die lange Regeneration für die Nachmittagseinheit, die gegen 16:30 – 17:00 Uhr beginnt.

Iten5_Schneider-Foto

Wir waren insgesamt 6 Athleten, mit Hanna Klein, der aktuellen deutschen Hallenmeisterin über 1500m, Marcel Fehr, EM-Finalist von Berlin 2018 über 5000m und unser Nicolai Christ, der frühere deutsche Jugendmeister über 1500m. Aus Luxemburg trafen wir Vera Hoffmann und ihren Freund und Läufer Bob Bertemes.

Es geht also los. Pünktlich 6 Uhr morgens – der Himmel zeigt sich schon blau – die Stimmung ist sehr gut und erwartungsvoll. Auch wenn wir in den ersten Tagen noch ein wenig reisemüde (oder höhenmüde) sind reihen wir uns gerne beim Dauerlauf ein, in eine Trainingsgruppe, die für deutsche Verhältnisse Volkslaufteilnehmerstärke hat. Es ist die Wahrheit, wir haben sie nicht extra für ein Foto bestellt. Wie aus dem nichts treffen sich alle an irgendeiner Abzweigung in Iten jeden Dienstag und Donnerstag zu ihrem gemeinsamen Dauerlauf oder Fahrtspiel und samstags zu den 30 Kilometern.

Iten6_Schneider-Foto

Trotz allem Wohlstand, den die Läufer mit ihren weltweiten Erfolgen zurück nach Iten bringen, leben sehr viele des Nachwuchses oder der zweiten Garde unter primitivsten Bedingungen für Wochen oder Monate auf Matratzen in ihren Hütten. Nicht alle kommen aus Iten oder Eldoret, alle haben aber ein Ziel, gemeinsam zu trainieren um eines Tages als Langstreckler nach Europa zu kommen, wo viele ihrer Landsleute richtig reich geworden sind.

Das ist ihr Antrieb, täglich zweimal, manche sicher auch 3x. Selbst die großen kenianischen Stars kommen trotz erworbenen Luxus aus Eldoret oder Nairobi bewusst für Wochen in die einfachen Verhältnisse von Iten, um sich ohne jede Ablenkung auf die großen Meisterschaften in der Welt vorzubereiten.

Iten7_Schneider-Foto

…und die Jungen wollten schon früh zur Nachwuchs-WM

Der Nachwuchs der Mittelstreckler kommt vor allem aus der St. Patrick´s High-School von Iten, in der der wohl erfolgreichste Mittel- und Langstreckentrainer Brother Colm O´Connell, ein Programm für jugendliche Talente, männlich wie weiblich, zwischen 14 und 19 Jahren betreut. Aus dieser unerschöpflichen Talentschmiede werden die Ausscheidenden 19-jährigen durch „wenige Beste“ 14-Jährige ersetzt. Brother Colm vermittelt neben dem Training Leidenschaft, Disziplin und Leistungsbereitschaft. Tugenden, die die großen Kenianer konsequent vorleben. Die jungen Leute erwerben dort auch ein sehr gutes Wissen, haben ausreichend zu essen und die Chance entweder durch den Sport oder aber auch die überdurchschnittliche Bildung später hervorragend Leben zu können.

Iten8_Schneider-Foto

Wenige Tage später – es ist wieder 6 Uhr in der früh – die Kenianer heizen um die „Aschenbahn“ in Tambach. 6 km von Iten entfernt.

Tempoläufe „hart“ morgens – wir sind baff. Auch ein paar Weiße mischen sich darunter, lassen aber auch mal einen Lauf aus und schauen schließlich verwundert, wenn es im Zehnerzug immer noch weiter und weiter geht. 6 Gruppen zu je 6-15 Läufern bzw. Läuferinnen sahen wir gleichzeitig auf der Bahn ohne sich zu behindern. Sie laufen diszipliniert hintereinander, in der Trabpause auf Bahn 2. Sie laufen schnell und traben in den Pausen langsamer als wir es gewohnt sind. Nicht alle sind Talente, aber alle trainieren mit einer Leidenschaft, Hingabe, Disziplin und auch Leistungsbereitschaft wie wir sie in Deutschland wohl nie erreichen.

Unser Schorndorfer Nicolai Christ, der frühere deutsche Jugendmeister über 1500m, versucht sich in das Training der Kenianer einzureihen. Aber vor allem hat ihn die Leidenschaft in Iten motiviert.

 

Iten9_Schneider-Foto.jpg

In der ersten Woche trainierten wir natürlich erst einmal defensiv-allein. Schließlich sind wir im Frühjahr und noch am Anfang unseres Jahresvorhabens Teil II. Und uns ist klar, dass wir derzeit Umfang und Intensität der Kenianer nicht kopieren können.

Also tägliche Rückbesinnung auf das eigene Tempo und den eigenen Umfang. Aber wir schauen uns um, schließlich wollen wir möglichst viel „abkupfern“.

Hanna Klein in der ersten Woche

Iten10_Schneider-Foto

Hanna Klein in der zweiten Woche 

Iten11_Schneider-Foto

 

In der zweiten Woche geht es schon ganz gut und wir konnten nun auch unter den Höhenbedingungen „trainieren“, das Japsen nach Luft und die schweren Beine wurden besser. Aber weg ist das hier in Iten nie, sagte Julian Wanders, Schweizer Topläufer und Europarekordhalter über 10 km und im Halbmarathon, der nach seinen erfolgreichen „Winter-Wochen in Europa“ schon wieder vor Ort trainierte. Auf unsere Frage, wann denn der Schmerz nachlässt und man sich an die Höhe gewöhnt, antwortete er auf französisch sinngemäß:

„bei 180 km in der Woche gewöhnt man sich nie an die Höhe, aber an den Schmerz bei den Trainingseinheiten“. Wanders lebt als Europäer seit vielen Jahren fast ein dreiviertel Jahr in Iten und im Sommer zwischen den Bahnrennen noch einige Wochen in St.Moritz. Das bedeutet für uns, wir müssen wohl wiederkommen.

Iten12_Schneider-Foto

 

Beim „umgucken“ haben wir auch gesehen:

  • kaum ein Laufweg in Iten ist eben, alle Dauerläufe finden im profiliertem, z.T. ziemlich steinigen Gelände statt (Ausnahme: Moiben Road)
  • auch die Kenianer machen Krafttraining, auf einfache Weise aber wirksam
  • gute Nachwuchsathleten erhalten mindestens wöchentlich Massagen, die „besten“ Läufer haben ihren eigenen Physiotherapeuten
  • was in Deutschland die Vereine leisten, leisten in Kenia die Schulen
  • Regeneration ist vorbildlich: 21:00 ist spätestens Bett- bzw. Matratzenruhe, zwischen den Trainingseinheiten am Tag maximale Ruhezeit von mehreren Stunden
  • Das DL-Training findet in Gruppen bis zu 200 Läufern statt
  • Ernährung: Ugali, der Maisbrei als Hauptmahlzeit und Regenerationsquelle
  • Es gibt keine „Leerkilometer“ – jedes Training wird konzentriert durchgeführt
  • In den Monaten November – März nehmen die Kenianer, auch der Nachwuchs, an vielen Cross-Wettkämpfen (im Prinzip schnell auf festen Untergrund) im engen Umkreis teil, um sich so auf die Saison, auch in Europa vorzubereiten. Die „Renntaktik“ ist einfach – ab dem ersten Meter „Vollgas“ und jeder läuft für sich selbst. Teamtaktik gibt es nicht. „Taktische Rennen“ sind ihnen fremd. Die Kenianer fürchten keine Konkurrenz außer die Äthiopier. Alle anderen Nationen kommen in deren Vorstellungen als Konkurrenz nicht vor.

Die Tendenz geht eindeutig zu den Straßenläufen: 10 km, HM oder Marathon. Dort kann am meisten Geld verdient werden und das ist das eigentliche Ziel hinter den Anstrengungen: für kenianische Verhältnisse schnell reich zu werden.

Iten13_Schneider-Foto

F A Z I T

 © Lothar Pöhlitz – Hauptziel des Höhentrainings ist eine steigende Sauerstoffversorgung der Muskulatur und eine erhöhte Sauerstofftransportfähigkeit des Blutes, d.h. mehr Sauerstoff – mehr Leistung! Das erfordert Zeit und ein längerfristig aerobes Qualitätstraining. Höhentraining dient vor allem der Entwicklung der aeroben Leistungsfähigkeit (bei 2-7 mmol/l Laktat), kann aber auch z.B. in einer Marathonvorbereitung, der direkten Vorbereitung auf einen Wettkampfhöhepunkt, nicht nur in Höhenlagen, auch unter NN dienen.

Es ist davon auszugehen, dass sich im Schlaf oder „ohne körperliche Belastung“, keine leistungsfördernden Anpassungen vollziehen. Wenn europäische Läufer gegen die afrikanischen Höhenbewohner konkurrenzfähig sein wollen ist ein mehrjähriger systematischer Aufbau und im Spitzenbereich eine Höhenvorbereitung mit Höhenketten zwingend.

Man kann aber auch beobachten das der Schlaf (etwa 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens – und die selbstverständliche Mittagsruhe) und das proteinreiche „Ugali-Läufer-National-gericht“ als wichtige Voraussetzungen für das 2-3x schon morgens um 6 Uhr, bei für sie besten klimatischen Bedingungen, harte Tempolauftraining, bewusst genutzt werden.

In Iten war bei den Tempoprogrammen auf der Bahn zu beobachten: 

Sie laufen schneller und traben langsamer

Die Höhenaufenthalte von Europäern wurden in den letzten Jahren auf Langzeit-Trainingslager bis zu 6 Monaten oder 6 x 5 Wochen Dauer ausgedehnt.   

Lothar Pöhlitz in Leichtathletik Coaching-Academy

Alle Fotos – Schneider Fotos

author: GRR