Eliud Kipchoge wird von seinen Tempomachern gefeiert. Foto: Vienna City Marathon / Michael Gruber
Historisches Marathon-Wochenende 2019: „There is only one Kipchoge“
Es war ein historisches Wochenende für den Marathon und für den gesamten Laufsport: Zunächst rennt Eliud Kipchoge in Wien die 42,195 km unter zwei Stunden, tags drauf bricht seine kenianische Landsfrau Brigid Kosgei in Chicago den gut 16 Jahre alten Weltrekord der Britin Paula Radcliffe und durchbricht eine weitere Barriere.
Mit 2:14:04 Stunden lief sie als erste Frau eine Zeit von unter 2:15 Stunden. Doch die ganz große Barriere, sicherlich eine der bedeutendsten der Sportgeschichte, fiel in Wien.
Unter den Jubelstürmen der Zuschauer rannte der 34-jährige Eliud Kipchoge bei der „Ineos 1:59 Challenge“ im Wiener Praterpark nach 1:59:40,2 Stunden ins Ziel. Es war ein Lauf, der die Welt in Atem hielt und faszinierte und von dem der gesamte Laufsport einen Schub bekommen wird.
Auch wenn die Zeit – die von vielen Medien schnell publizierte Zeit von 1:59:40 ist übrigens falsch – nicht als offizieller Weltrekord gewertet werden kann, ist die Leistung einmalig: Eliud Kipchoge ist den Marathon von 42,195 km unter zwei Stunden gelaufen.
Man kann nun spekulieren, ob er jetzt nicht auch unter regulären Bedingungen dazu in der Lage wäre, eine Zeit von unter zwei Stunden zu erreichen. Drei Dinge waren es, die eine offizielle Anerkennung der Zeit als Weltrekord nicht möglich machen: Es wurden wechselnde Tempomacher eingesetzt und die Trinkflaschen wurden ihm vom Fahrrad gereicht, was aber bis vor einigen Jahren auch bei offiziellen Weltrekorden so gehandhabt wurde. Der dritte Punkt, dass zwei Konkurrenten für einen offiziellen Wettkampf fehlten (Mindest-Starterzahl: drei), die nicht einmal ins Ziel kommen müssen, ist zu vernachlässigen.
Von einer „Steilkurve“, die bei einer der Wenden im Prater eingebaut worden sei, war in vielen Medien zu lesen. Eine solche Kurve, wie es sie bei den 200-m-Rundbahnen in der Halle gibt, suchte man auf der Hauptallee im Prater vergeblich. Auch von „Laborbedingungen“ wurde geschrieben.
Das sieht zum Beispiel Arne Gabius, der deutsche Marathon-Rekordhalter (2:08:33 Stunden), der sich zurzeit auf den New York-Marathon vorbereitet, ganz anders: „Das sind für mich keine Laborbedingungen, schließlich ist die Hauptallee im Prater eine Passage auf der täglich hunderte Freizeitläufer rennen. Das ist doch ganz natürlich. Laborbedingungen gab es in meinen Augen bei den Weltmeisterschaften in Doha – dort wurde ein ganzes Stadion gekühlt!“
Der Begeisterung um Eliud Kipchoges Leistung war überall offensichtlich. „Wir sind stolz auf dich“, sagte Kenias Vize-Präsident William Ruto auf einer Party, die am Samstagabend nahe der Ziellinie im Praterpark stattfand, zu Eliud Kipchoge.
Das stellvertretende Staatsoberhaupt war extra nach Wien gereist, um den Lauf von Eliud Kipchoge zu erleben. Das zeigt ein wenig die Bedeutung, die dieses Rennen in Kenia hat. Für die Kenianer war das wohl so wie für die Deutschen der Gewinn einer Fußball-Weltmeisterschaft. „Ich stand im Ziel und schaute die lange Straße hinunter. Die Uhr tickte und war bei 1:58 Stunden – du warst nicht zu sehen …“, erzählte William Ruto über das Finale des Rennens. „Ich habe mich gefragt: Wo bist du? Was sagen wir jetzt, wenn es doch nicht klappt? Danke dafür, dass du es möglich gemacht hast!“ Und Ruto sagte zur Erheiterung der Gäste: „Du musst dich jetzt erholen – aber wir müssen uns auch alle erholen vom Mitfiebern.“
Der Vize-Präsident fügte noch hinzu: „Hier in Wien wurde groß gefeiert – aber das ist fast nichts im Vergleich zu dem Jubel in Kenia.“ Im Internet finden sich Videos, die zeigen, wie in Eldoret viele tausend Menschen beim Public Viewing ausflippen. Auch in der Hauptstadt Nairobi kam der Verkehr teilweise zum Erliegen, weil die Menschen auf der Straße tanzten. Doch selbst in Wien wurde noch um 1 Uhr früh auf der Straße vor dem Hotel, in dem Eliud Kipchoge untergebracht war, lautstark gesungen: „There’s only one Kipchoge …“
Eliud Kipchoge bedankte sich bei allen Beteiligten, die ihn auf dem Weg zur Marathon-Traumzeit unterstützt hatten – besonders aber bei seinen Tempomachern: „Wir kamen als Team zusammen und nur dadurch wurde es möglich. Ich habe gezeigt: No human is limited. Ich war der Erste. Aber ich glaube jetzt, es werden weitere Athleten kommen, die unter zwei Stunden laufen werden.“
Bereits vor der „Ineos 1:59 Challenge“ hatte Eliud Kipchoge klargestellt, dass dies nicht sein letzter Marathon sein würde. Aller Voraussicht nach wird der Kenianer im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokio als Titelverteidiger an den Start gehen.
Aufgrund der hammerharten Wetterbedingungen, die in Tokio im Hochsommer zu erwarten sind, sagte sein holländischer Manager Jos Hermens: „Man muss dann sehen, wie er das übersteht.“ Daher sei derzeit auch überhaupt nicht abzusehen, ob Eliud Kipchoge vielleicht dann noch einmal einen Versuch unternehmen könnte, unter rekord-konformen Bedingungen die Zwei-Stunden-Barriere anzugreifen.
Der Asphalt der extra für das Rennen in Wien neu geteerten Hauptallee im Praterpark wird sicher ein paar Jahre halten …