Blog
04
03
2019

Malaika Mihambo - Photo: Horst Milde

Hallen-EM der Leichtathleten in Glasgow 2019: Nichts gewonnen, aber zufrieden – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Bei der Hallen-WM wird zwar kein deutscher Leichtathlet Europameister, aber Grund für echten Ärger hat eigentlich niemand. Dabei fehlten nur Kleinigkeiten für größere Erfolge.

Hier fehlte ein Zentimeter, dort tat die Favoritin einen Fehltritt – und schließlich wurde der Dreispringer Max Heß auch noch von einer jubelnden Staffel aus der Bahn geworden.

Mit vier zweiten Plätzen und einem dritten musste sich die deutsche Mannschaft bei der Hallen-Europameisterschaft der Leichtathleten in Glasgow zufrieden geben. Und wie zufrieden sie war.

„Mit einer Silbermedaille muss man sich nicht verstecken“, urteilte Mannschaftskapitänin Cindy Roleder, Zweite im Hürdensprint. „Ich finde, unser Team mit den vielen jungen Leuten hat sich gut verkauft.“ Sie und Kugelstoßerin Christina Schwanitz trugen am Sonntag zwei Silbermedaillen zur Ausbeute der deutschen Mannschaft bei, Dreispringer Max Hess wurde Dritter – und schimpfte wie ein Rohrspatz. Um einen Zentimeter verpasste er Platz zwei.

Christina Schwanitz dagegen lachte. Sie verpasste den Titel um einen Zentimeter. Bereits am Freitag hatten Konstanze Klosterhalfen über 3000 Meter und David Storl im Kugelstoßen mit ihren zweiten Plätzen bewiesen, dass sie sich der Weltklasse nähert und er weiter zu den Großen gehört.

Vier Titel gewannen britische Athleten, zwei davon allein die in Glasgow lebende Schottin Laura Muir. Sie sorgte mit ihrem Sieg über 1500 Meter in 4:05,92 Minuten am Sonntag für den Höhepunkt des Tages, wie bei ihrem Erfolg über Konstanze Klosterhalfen zwei Tage zuvor. Als ersten Läuferin hat sie bei der Hallen-EM zwei Mal das Double von 1500 und 3000 Meter gewonnen.

Mit einem überragenden Lauf zeigte Cindy Roleder, dass sie immer noch zu den besten Hürdensprinterinnen in Europa gehört. Allerdings startete sie, wie schon in die meisten Rennen dieses Winters, mit einem Fehltritt, einem Fehler im Bewegungsablauf, der sie so viel Zeit kostet, dass sie auf den sechzig Metern mit den fünf Hürden mit dem Aufholen des Rückstands beschäftigt war. Fünf ihrer sechs Final-Gegnerinnen besiegte die Titelverteidigerin aus Halle an der Saale. Doch die Niederländerin Nadine Visser, wie Cindy Roleder Siebenkämpferin, war in nur 7,87 Sekunden im Ziel – eine Zehntelsekunde vor der Deutschen. Dritte wurde die Weißrussin Elvira Herman (8,00). Die deutsche Meisterin Pamela Dutkiewicz fehlte wegen einer Verletzung

Bei Malaika Mihambo war es umgekehrt zu Cindy Roleder. Die Weitsprung-Europameisterin von Berlin, die in diesem Winter bereits 6,99 Meter erreicht hat, dürfte den vielleicht schnellsten Anlauf aller Teilnehmerinnen haben. Doch am Sonntagabend traf sie bei vier von sechs Versuchen den Absprungbalken nicht und trat über. Auf 6,82 und 6,83 Meter gingen ihre beiden gültigen Versuche.

Damit war sie Vierte – sechzehn Zentimeter hinter Ivana Spanovic, die nach einer langen Verletzungspause 6,99 Meter weit sprang und damit zum dritten Mal hintereinander Europameisterin in der Halle wurde. Und nur einen einzigen Zentimeter hinter der Ukrainerin Maryna Bech-Romantschuk auf Platz drei. Mit dem ersten Sprung war sie so zufrieden, sagte sie, dass sie sich danach aufs Ausreizen ihres Anlaufs verlegte. Platz vier war für sie umso bitterer, als ihre Resultate dieses Winters, insbesondere die 6,99 vom Istaf in Berlin, zeigten, dass sieben Meter und damit auch dieser Titel im Bereich ihrer Möglichkeiten liegen. Zweite wurde mit 6,93 Meter die Weißrussin Nastassia Mirontschyk-Ivanova, die wegen Dopings bei den Olympischen Spielen von London 2012 zwei Jahre gesperrt war.

Als Dreispringer Max Hess im fünften Versuch 17 Meter übertraf, um zehn Zentimeter, blieb er damit Dritter – einen einzigen Zentimeter hinter dem Portugiesen Nelson Evora (17,11) und 19 hinter dem Aserbaischaner Nazim Babajew, der es auf 17,29 Meter brachte. Als er sich auf seinen sechsten Versuch zu konzentrieren versuchte, rempelten ihn aus Versehen die französischen 400-Meter-Läufer an, die von ihrem dritten Platz mit der Staffel überwältigt waren. Ein Läufer, den ein Mannschaftskamerad in den Armen hielt und herumschleuderte, traf den Dreispringer mit den Füßen. Da die Zeit ablief, rannte Heß trotzdem los – und trat über.

Am Mittag war die zweimalige Kugelstoß-Europameisterin Christina Schwanitz Zweite geworden. „Ein Zentimeter ist im Hochsprung und im Weitsprung viel“, ärgerte sie sich. „Aber bei uns ist das eigentlich nicht das Maß der Dinge.“ Und doch: Mit einem Zentimeter Unterschied unterlag die starke Frau aus Chemnitz der Bulgarin Radoslawa Mawrodiewa, mit 19,11 zu 19,12 Meter. „Ich kann das!“ hatte die temperamentvolle Athletin vor ihrem letzten Versuch eher wütend als aufmunternd in die Arena gerufen.

Aber auch in dieser sechsten Runde konnte sie das Potential nicht erschließen, das ihr noch bei der deutschen Meisterschaft vor vierzehn Tagen die Jahresbestweite von 19,54 Meter ermöglichte. „Ich habe die Brechstange rausgeholt“, sagte sie über ihren Wettkampf, „statt eine ordentliche Technik abzuliefern.“ Der zweitbeste Stoß von Radoslawa Mawrodiewa ging 19,01 Meter weit; Christina Schwanitz‘ zweitbeste Weite betrug 18,83.

Da bei Gleichstand der Bestweiten dies zugunsten der Bulgarin gesprochen hätte, gilt dass Christina Schwanitz zwar mit nur einem Zentimeter Unterschied verloren hat. Für den Sieg aber hätte sie zwei Zentimeter weiter stoßen müssen.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag dem 3. März 2019

author: GRR