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30
08
2020

Foto: Schneider

„Gut sein, wenn‘s darauf ankommt“ – Lothar Pöhlitz in Leichathletik Coaching-Academy

By GRR 0

Hartes Training hat Test-Charakter – Rennen sind Charakter-Tests

© Lothar Pöhlitz* –  August 2020 – Im Verlaufe der Jahre an der Laufbahn, bei Straßenrennen oder beim Cross wurde mir immer bewusster, dass jeder Sieg, aber auch jede Niederlage ein Produkt einer komplexen Vorbereitung von Beinen und Kopf, von Körper und Geist, vom Talent und der geleisteten Arbeit auch des Trainers ist.

Dabei sind Niederlagen ein Teil jedes Leistungssport-Weges, hilfreich auch für spätere große Siege, mit bedeutenderen Erfahrungen für den Leistungsfortschritt verbunden. Nicht so selten wird, vor allem von jungen Trainern, spätestens in der entscheidenden Phase des Nachwuchsleistungstrainings (NLT), der Anteil des „Kopfes, des Gehirns“ an der Leistung unterschätzt. Dafür müssen sie vor allem Motivatoren auch für mehr Trainingszeit sein. Wie groß die Aufgaben sind, lernen Trainer auch im Umgang mit jedem neuen – etwas anderen – Talent.

Jedes „harte“ Training ist charakterbildend, hat Testcharakter, jedes Rennen ist ein Charakter-Test. Dafür brauchen wir Hochbegabte mit Charakter und Selbstbewusstsein, Hochleistungstrainingsbedingungen. Profi-Trainer und das „andere Training (*s.u.)“

Es müsste alles im Alter von 6-9 Jahren mit einem allgemein-vielseitigen Kindersport beginnen, in dem schon auffällige Talente, für eine erste Trainingsphase (10-12 Jahre) gefunden, durch Kids-Coaches in einem Ganzkörpertraining – entwicklungsabhängig – auf das Nachwuchsleistungstraining vorbereitet werden.

Es ist Zeit das sich junge Leichtathleten (vor allem an Sportschulen) an den mehr Trainingsstunden z.B. junger Turner oder Schwimmer orientieren

Jeder Läufer, natürlich auch Läuferinnen, jüngere und auch ältere müssen jeden Tag, jede Woche, am besten in jeder Trainingseinheit besser werden wollen – dafür hilft nur üben – bis ganz nach oben ist es weit, sehr weit. Vor allem durch eine praxisnahe Motivationskunst und viele Erfahrungen der Trainer werden gemeinsame Erfolge möglich. In jedem harten Training erkennt der Trainer den „eingebrachten“ Charakter seines Athleten besser. Er muss ihnen deshalb täglich sagen was sie besser machen sollen, auch wenn öfter in einer TE mehrere Aufgaben gelöst werden müssen.

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Qualität im Training und Tests (Fotos: Kiefner / Schneider)

Man braucht in einem langfristigen Leistungsaufbau Wiederholungen, viele Wiederholungen für ein neues Niveau in der Leistungsabgabe eines Muskels, eines Organs oder auch bis zur Hochleistungsbereitschaft des Gesamtsystems. Alle Übungen, auch Trainingsrennen, helfen. Viele Läufer oder Läuferinnen haben mir in der Vergangenheit von Glücksgefühlen berichtet, wenn sie froh, nach sehr hartem Training oder Tests, sich abends früh nach ihrem Bett sehnten.

Sicher ist, der Anteil psychologischer, mentaler Faktoren an einer Leistung ist zwar individuell unterschiedlich, aber sehr hoch. Ich glaube, dass mindestens 30% aller Athleten (oder auch mehr) ihre mögliche sportliche Leistung aus dem Training bei wichtigen Wettkämpfen nicht auf die Bahn bringen, weil ihre mentale Stärke, ihre Versagensängste, die reale Einschätzung der Leistungsmöglichkeiten oder das mangelnde Selbstvertrauen es zulassen, das die Gegner überschätzt und die eigene Leistungsfähigkeit unterschätzt werden. Alle haben sicher schon von „Trainingsweltmeistern“ gehört, der Prozentsatz, glaube ich, ist groß.

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Das Prädikat „Trainingsweltmeister“ wird aber oft zu schnell verteilt, weil nicht bedacht wird, ob die gemeinsame Trainingsarbeit der letzten Jahre den Aufbau der mentalen Stärke auch beinhaltete. Vielleicht hat auch der Leistungssport-Trainer versäumt früher nach besseren zu suchen. Leider werden zu viele von frühester Jugend an mit dieser Problematik zu wenig konfrontiert. Vor allem Kinder-Trainer sollten deshalb bedenken, dass ihre Kleinen aus dem Elternhaus sehr unterschiedlich erzogen zum Kindertraining geschickt werden.

       Der emotionale Zustand eines Läufers spiegelt sich in seinem Auftreten, in der Körpersprache und in seinem Verhalten gegenüber seinen Gegnern wider. Sie werden nicht gestärkt, nicht sicherer, wenn sie sich selbst blass, defensiv, ängstlich in die zweite Startreihe stellen und sich in der Herausforderung eines Startabschnittes ohne große Gegenwehr freiwillig hinten einordnen. Wer aber mental stark und fit ist, es lächelnd dem Publikum zeigt, weiß was er kann und von Beginn an (wie die Afrikaner) bereit ist um einen „Platz an der Sonne“ zu kämpfen, wer „seinen Plan umsetzt“ und 300 m vor dem Ziel seinen Platz gefunden hat, um Beinen und Armen die vorbereiteten Befehle aus dem Kopf zu geben, wird um seine persönliche Bestleistung oder um den Sieg kämpfen können.

Zu oft beobachtet man, wie Sportler bei entscheidenden Wettkämpfen „blass und mit angezogener Handbremse“, d.h. nicht locker und entspannt, sondern bewusst defensiv ihren Wettkampf bestreiten. Dies ist den meisten Trainern zwar bewusst, trotzdem ist die Zeit, die sie zur Beseitigung psychischer Bremsklötze aufwenden, im Rahmen der Trainingsarbeit oft zu gering und zu wenig nachhaltig. In „schwierigen Fällen“ gibt es hilfsbereite Leistungs-Sportpsychologen, viele verlieren aber lieber als sie zu besuchen. Meist wird das erst öffentlich, wenn sie aufgehört haben. Dann erfahren sie das sogar die Besten aus allen Sportarten die bekannten Sitzungen (nicht nur auf der Couch!) heimlich nutzen. Es sind mehr als man bereit ist zu glauben.  

Die Handbremse muss gelöst werden – je früher um so besser-  Sportler mit psychischen Defiziten erreichen das Podium selten

Von den Sportwissenschaften steht die Sportpsychologie oft noch zu abseits, die Sportpsychologen nehmen eine zu defensive Stellung ein. Aber die Trainer haben daran einen beträchtlichen Anteil, weil sie nicht gern öffentlich machen, dass sie im Studium die Psychologie nicht ernst genug genommen haben und nun die Hilfe von Psychologen brauchen. Aber es ist nie zu spät, auch die Trainer, vor allem auch die

Kinder-Trainer und die von Talenten, müssen ihr Wissen in diesem Bereich aufbessern und den Anteil des „geistigen Trainings“, der Erziehung zum Leistungsathleten mit Gefühl, Motivation, des Aufbaues eines möglichst großen Selbstvertrauens, auch mit einer gewissen Härte und, und, und optimieren.

Die Wettkampflehre ist wichtiger Teil der Ausbildung

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Beine und Kopf, Körper und Geist entscheiden immer zusammen

Auch begabte Läufer mit großen psychischen Defiziten erreichen den Hochleistungsbereich meist nicht, oder sind dort bei wichtigen Wettkämpfen immer wieder nur „siebter Sieger“. Es ist verdammt schwer, wenn nicht unmöglich, Versäumtes aus er Kindererziehung, dem Grundlagen- und Aufbautraining später nachzuholen bzw. zu korrigieren. Besonders wenn man in jungen Jahren das große Lob für immer wieder zu leichte Siege bekam. Die Entwicklung und Ausprägung der psychischen Eigenschaften muss deshalb schon früh Bestandteil der Ausbildung sein, weil nur eine immer bessere, optimale Bewältigung und Umsetzung von Trainingsleistungen in positive Wettkampfergebnisse ermöglicht.

Die eigene mentale Stärke wächst aus dem aus  Erfolgen  resultierenden Selbstvertrauen, einer realistischen Selbsteinschätzung, keiner Überschätzung der Gegner, einer hohen Konzentrations- und auch Mobilisationsfähigkeit, einer schnellen Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit auf unerwartete Situationen in den Rennen und der Bereitschaft und dem starkem Willen zu „immer größeren Siegen“.

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Foto: Schneider

Der Umgang mit Niederlagen ist eine hohe Trainerkunst

Vor allem der Umgang mit unerwarteten Niederlagen ist sowohl für die Sportler als auch für ihre Trainer nicht immer glücklich. Oft ist es besser, erst eine Nacht darüber zu schlafen bis sich die Rauchwolken verzogen haben, als kurz nach missglückten Rennen mit unüberlegten Konfrontationen viel Porzellan zu zerschlagen und das Selbstvertrauen in den Keller zu verbannen. Vor allem sollten schnelle falsche Schuldzuweisungen vermieden werden, weil dadurch erste Risse ins gute Athleten-Trainer – Vertrauensverhältnis kommen.

Deshalb sollten Profi-Trainer immer davon ausgehen das Niederlagen oder Siege ihrer Profis immer das Ergebnis gemeinsamer Arbeit sind und sich oft schon im Training ankündigen. Nutze deshalb Niederlagen, um in den nächsten Trainingseinheiten auf die Fehler zurückzukommen und durch praktisches Üben den nächsten Wettkampf besser vorzubereiten. Aber auch Siege sollten nicht dazu führen weitere Fortschritte aus den Augen zu verlieren.

       Jede Niederlage beinhaltet die Lehren für demnächst, vorausgesetzt, die Fehler werden benannt und sachlich aufgearbeitet.

Der Theorie und Praxis der „Leistungs-Psychologie“ in der Trainer – Ausbildung, muss eine große Bedeutung zukommen damit die Trainer im Hochleistungssport auch diese „Wissenschaft“ besser anwenden können und die Sportler weniger zum Psychologen müssen.

       Gute Kondition und eine hohe sportliche Form allein reichen nicht, wenn das Gehirn nicht zielorientiert programmiert wurde und schon im Training mit „harten Läufen“ das Abrufen geübt, der Charakter „erzogen“ wurde.

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Foto: Kiefner

Die psychophysische Belastbarkeit wird vor allem durch Bewährungssituationen auch im Training geprägt – es muss öfter auch mal hart sein

Am besten wäre, wenn eine gute psychische Verfassung, eine sehr gute sportliche Form, ein psychologisches Hoch ohne äußere Störungen zusammentreffen. Sportlern, denen es gelingt bei wichtigen Wettkämpfen eine solche persönliche Hochstimmung in den Wettkampf einzubringen (neudeutsch „bereit zu sein die Herausforderung anzunehmen und Spaß am Kampf um den Sieg zu haben“) und über das erforderliche Selbstvertrauen für die gewünschte Leistung zu verfügen, sind in der Regel auch in der Lage gute Leistungen abzuliefern.

Auch wenn Talent und Persönlichkeit für den Erfolg wichtige Grundbedingungen sind, sowohl ruhige, introvertierte, als auch lebhafte mit großer Klappe haben sich als erfolgreiche Wettkämpfer durchgesetzt. Eine hohe psychophysische Belastbarkeit wird aber bei allen zuerst durch geschaffene, geübte Bewährungssituationen im Training, später durch zu lösende Aufgaben in Wettkämpfen ausgeprägt. Das setzt aber auch voraus, dass die Athleten nicht gleich zurückgepfiffen oder gemaßregelt werden, wenn einmal die ersten 200 m eines Trainings- oder Wettkampflaufes zu schnell geraten ist. Das ist sogar bei großen Rennen norma

Tiefs und Stagnationsphasen sind Teil eines jeden Erfolgsweges. Bedingungen aber sind: Enttäuschungen zu verarbeiten – aufzustehen – härter zu arbeiten – Gegner zu analysieren – sich selbst zu vertrauen und bei nächster Gelegenheit wieder siegen zu wollen.

Mentales Training ist nur für die Wettkampfleistung hilfreich, wenn es immer auch Bestandteil des Trainings ist und die eigenen Praxiserfahrungen ständig erweitert. Es gibt keine schnellen, nachhaltigen Erfolge, wenn man Konzentrationsschwierigkeiten oder hemmende Ängste abbauen bzw. Willensstärke und Motivation für die im Hochleistungstraining erforderlichen Grenzbelastungen aufbauen will. Auch die Entwicklung einer Persönlichkeit mit allen Voraussetzungen zu großen Siegen geht nicht von heute auf morgen.

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       „In der Vorbereitungszeit bis zu den Saisons 2018 und 2019 liefen die drei Ingebrigtsens durchschnittlich 140-160 km/Woche, wobei 23-25% im anaeroben Grenzbereich und darüber lagen“ (L.I. Tjelta 2019)

Erfolge, neue Bestleistungen in Wettkämpfen werden eines Tages auch unter Druck möglich, wenn

  • Willen, Motivation, Leistungsbereitschaft
  • Glaube, Charakter, Selbstvertrauen
  • Konzentration auf die Aufgaben
  • Stress, Angst, Nervosität

im langfristigen Leistungsaufbau Teil der Persönlichkeitsformung waren und es im Prozess der Sammlung von Wettkampferfahrungen ausreichende Möglichkeiten gab. Natürlich spielen dabei immer die individuellen Voraussetzungs-Potentiale eine große Rolle.

Die Persönlichkeit des Trainers hat einen hohen Einfluss auf die Erreichung von Top-Leistungen bei Höhepunkten. Für diese Leistungen am Tag X sind aber vor allem die mentalen Fähigkeiten der Sportler selbst entscheidend.

Den Kopf für die individuelle Endleistung zu programmieren ist genauso wichtig wie das Hochleistungstraining und das Trainer-Wissen um das Hochleistungstraining, die Regeneration, die Leistungsphysiologie, die Ernährung oder die Sportmedizin und Sport-Physiotherapie.

Persönliche Bestleistungen im Training sind die besten Voraussetzungen für persönliche Bestleistungen auch in Wettkämpfen. In diesem Rahmen werden das Selbstvertrauen, das Selbstbewusstsein und die Willensqualitäten erarbeitet, sie sind leider zu selten angeboren oder gottgegeben.

Am Beispiel von angestrebten 800m – Spitzenleistungen soll zusammenfassend noch einmal verdeutlicht werden, dass eine Wettkampf-Endleistung immer von komplexen, langfristig aufgebauten, psychophysischen Leistungs-Einflüssen, vor allem von „anaeroben Geschwindigkeitsreserven“ (Differenz zwischen dem mittlerem Renntempo und dem erforderlichen Endphasentempo), seiner möglichen VO2max-Leistung, der Unterdistanzleistungsfähigkeit (400m), der maximalen anaeroben Mobilisationsfähigkeit (Laufen bei Laktat >22 mmol/l), der speziellen Fußkraft und der maximalen Sprintgeschwindigkeit, abhängen. Dazu gehört auch, dass das „Schnellkraft-Erbe“ durch falsches Training nicht zerstört wurde.

*Ein FAZIT für unsere Läufer kam aus den USA

„Über eine größere Intensität, mehr Härte, schlaueres Training und eine große Bedeutung der Regenerationsmaßnahmen“ in ihrem neuen Training in den USA und dass sie dahin gegangen ist, weil sie schnelllaufen wollte“, berichtete Konstanze Klosterhalfen. Wenige Monate später unterstrich auch Sprinterin Gina Lückenkemper nach ihrem Wechsel ins Profi-Training in die USA in einem Interview bei leichtathletik.de vom 4.1.2020 über ihre Erfahrungen schon nach wenigen Wochen:

Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin“, sagte die 23-Jährige. „Ich stehe täglich mit Olympiasiegern und Weltmeistern auf der Bahn und kann mich jeden Tag davon überzeugen, dass auch diese Leute nur mit Wasser kochen. Da hilft, wenn man hier Übungen machen muss, die einfach nur scheiße schwer sind und bei denen man denkt: dabei fall ich auseinander. Das Training in den USA ist definitiv anstrengender als in Deutschland, es herrscht eine andere Intensität. In der Woche habe ich vier harte Trainingseinheiten, in denen geballert wird. Aber die sind machbar, weil es dazwischen einen aktiven Regenerationstag gibt und das Wochenende frei ist. Insgesamt wird sehr viel Wert auf Regeneration gelegt. Ich schlafe viel. Schlaf ist hier so wichtig wie noch nie zuvor, denn dabei erholt sich der Körper am besten von den ganzen Strapazen.“

Lothar Pöhlitz in Leichtathletik Coaching-Academy

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*Lothar Pöhlitz – seit 1957 Dipl.- Sportlehrer für Leistungssport / Sportwissenschaftler / 1959-1971 Trainer und Cheftrainer beim SC Chemie Halle / 1971-1979 Leiter des Wissenschaftlichen Zentrums Lauf/Gehen des DVfL / 1979-1985 Sprinttrainer TSV Bayer 04 Leverkusen / 1980-1998 DLV-Bundestrainer Mittelstrecke-Langstrecke / zuletzt Teamleiter Marathon / Straßenlauf / 3x Olympia-Trainer für Deutschland / Langjähriger Dozent an der Trainerakademie und DLV-Trainerschule / 2006-2020 Leiter Leichtathletik Coaching-Academy

*Alle LCA-Artikel von 2006 – 2020 finden Sie im LCA-Archiv

(www.la-coaching-academy.de/Trainingslehre)

  • © Lothar Pöhlitz 2006-2020

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RETTET UNSERE LÄUFE – SAVE THE EVENTS – Foto: Victah Sailer

„Rettet unsere Läufe“ – Wir brauchen jede Stimme, um den Laufsport zu retten. Helfen Sie bitte mit und beteiligen Sie sich an der Petition!

Hier geht es zur Petition:

https://www.openpetition.de/petition/online/save-the-events-o-rettet-unsere-laeufe

Instagram: #SaveTheEvents – Rettet unsere Läufe

DANKE für Ihre HILFE!

author: GRR