Gibt es denn aus Jenas Sportgeschichte Beispiele, die noch heute in Deutschlands Sport eine Rolle spielen? Ja natürlich. Bei der Umwandlung einer Kinder- und Jugendsportschule in ein Sportgymnasium hat Jena eine nicht unwesentliche Rolle als Blaupause für Sportgymnasien in anderen Bundesländern gespielt.
Gibt es denn aus Jenas Sportgeschichte Beispiele, die noch heute in Deutschlands Sport eine Rolle spielen?
JENA. Am morgigen Samstag wird im Universitätssportzentrum gefeiert. Zwischen 10 und 16 Uhr lädt der USV Jena zur Eröffnung seiner sanierten Anlage ein. Die Arbeiten waren nach dem letzten Hochwasser notwendig geworden und sind nun abgeschlossen.
Im Vorfeld sprachen wir mit dem ehemaligen Leiter des Hochschulsports Dr. Hans-Georg Kremer – kaum einer kennt sich auf dem Gelände besser aus als er…
Herr Kremer, freuen Sie sich auf morgen?
Natürlich. Das Gelände ist sehr schön geworden, es ist alles jetzt wieder etwas moderner. Und das darf auch gefeiert werden.
Ihr früheres berufliches Tätigkeitsfeld war der Universitätssport – dort waren Sie recht früh modern.
(Lacht.) Danke für das Kompliment. Aber ja, das Modell des Jenaer Universitätssports wäre meiner Meinung nach absolut als nachahmungsvolles positives Beispiel für die ganze Bundesrepublik geeignet. Bisher schaffte es aber nur die Universität Erfurt eine ähnliche Organisationsstruktur zu schaffen.
Was zeichnet dieses „Jenaer Modell“ denn aus?
Wie man bei der heutigen der Einweihung der komplett sanierten Sportstätten in der Oberaue sehen kann, hat sich die enge Zusammenarbeit einer Landeseinrichtung wie der Universität und eines gemeinnützigen Vereins, dem Universitätssportverein Jena langfristig für beide Seiten ausgezahlt. Stellte 1991 der neue Kanzler der Universität noch die Frage, ob man die Sportstätten in der Oberaue nicht lieber mit dem „Chemiesportheim“, das die Treuhand verwaltete, lieber verkaufen solle, so wird heute kein Rektor oder Präsident der Universität darauf verzichten wollen, dass hier ein so kostengünstiges und attraktives Sportangebot für über 10 000 Studenten und viele Mitarbeiter vorgehalten wird.
Und die USV-Mitglieder?
Auch die fast 3500 Vereinsmitglieder profitieren von dieser Zusammenarbeit durch eine ständig verbesserte Infrastruktur und einen bezahlten Mitarbeiterstab in einer Größenordnung, die es bisher nie gab. Außer den weit über 100 Studenten, die als Übungsleiter ihr Bafög aufbessern, kommen noch über 30 Mitarbeiter der Uni und des Vereins, die vom hoch dotierten Geschäftsführer, von der Lehrkraft an der Universität über den Platzwart bis zur prekär bezahlten Projektmitarbeiterin, die für den Uni-Sport im weitesten Sinne tätig sind, reicht. Trotzdem hat bis auf die Uni Erfurt keine Hochschule in ganz Deutschland dieses Modell kopiert, das im Jahr 2012 mit fest angestellten Universitätsmitarbeitern, einem Verein, einer Sport Service GmbH, einer Stiftung und einem Förderkreis ihre umfangreichste Ausbaustufe erreicht hatte.
Also braucht das „Jenaer Modell“ niemand?
Aus heutiger Sicht scheint dies so.
Haben Sie auch ein positives Beispiel aus Jena?
Ja, hier könnte man noch die Laufbewegung nennen, die in den 1970er Jahren in Ost und West als Ausdruck der veränderten Arbeitswelt und eines steigenden Gesundheitsbewusstsein entstanden war, sich aber inhaltlich in zwei deutlich unterscheidbare Richtungen entwickelte. In Kurzform zusammengefasst: Im Westen dominierten Straßenläufe, bis hin zum Stadt- Marathon, die meist beim Leichtathletik-Verband angesiedelt waren. Genau vermessene
Strecken und eine Wettkampfdichte, vor allem in industriell geprägten Landesteilen mit einem breiten ganzjährigen Wettkampfangebot waren der Normalfall mit vielen tausenden Breitensportlern aller Altersklassen.
Und was kam hier aus Jena?
Im Osten prägte der in Jena entwickelte und bis in die 1990 Jahre konzeptionell fortgeschriebene GutsMuths-Rennsteiglauf, den kein Sportfachverband unter seinem Dach haben wollte, die Entwicklung. Der Rennsteiglauf schuf eine volkssportliche Wettkampfform, die vom ambitionierten Langstreckenläufer bis hin zum Wanderer jedem ein Erfolgserlebnis bot. In der DDR-Meilenlaufbewegung gab es eine Art Dachvereinigung, die aber keinerlei eingrenzende Vorschriften oder Regeln erfand. Manchmal waren Akteure der Leichtathletik, der Wintersport oder der Wanderbewegung die Macher der Szene, oft aber auch Läufer, die erst im mittleren Alter über den Rennsteiglauf zur Laufbewegung gekommen waren. Diese Wettkampfform, die sich selbstbewusst als „Landschafts- oder Geländeläufe“ bezeichnete und Ende der 1980er Jahre sogar den Untertitel von „Europas größtem Cross“ beim Rennsteiglauf aneignete, war über die gesamte DDR verbreitet. Dabei wurden Streckenlänge auch über Marathon häufig die Ideenträger, bevor kürzere Distanzen ins Programm genommen wurden.
Was waren das für Läufe?
Angefangen vom Rennsteiglauf über den Jenaer Kernberglauf, den Kyffhäuserberglauf bis hin zur Harz-Querung, dem „Fünfseen-Lauf“ von Schwerin, den Müritzlauf, den Sachsenlauf kann man die Liste bis auf mehr als 100 Laufveranstaltungen pro Jahr verfolgen, die sich erfolgreich entwickelten und von vielen tausend Ehrenamtlichen und „Laufverrückten“ getragen wurden und bis heute hohe Teilnehmerzahlen verzeichnet.
Gab es nicht auch solche Läufe im Westen Deutschlands?
Vergleichsweise waren Landschaftsläufe im „Westen“ in dieser Form eher unbekannt. Der berühmteste Ultralauf, die „100 km von Biel“ in der Schweiz mit immerhin um die 4000 Startern rühmten sich ob ihrer „Gelände“-Strecke auf wenigen Kilometern sogar mit dem Untertitel „Ho-Chi-Min-Pfad“, was den Dschungel in Vietnam assoziieren sollte. Alle Rennsteigläufer, die dort jemals gestartet sind, haben verzweifelt eine schwierige geländegängige Strecke gesucht, handelte es sich hier doch lediglich um einen kurzen von Gras und Buschwerk bewachsenen Weg, den man nicht mal als Wanderweg einen Schwierigkeitsgrad beimessen würde. Eine der wenigen Ausnahmen ist der „Hermannslauf“ im Teutoburger Wald, der sich nicht ohne Grund nach der Wende den Untertitel eines „Rennsteiglaufs“ des Westens zulegte.
Was entwickelte sich in der Laufszene der BRD nach der Wiedervereinigung?
Nach der Wende entwickelten sich schlagartig auch im „Westen“ neben der Marathonlaufszene Ausdauerläufe nach dem Modell des Rennsteiglaufs, die heute in allen Bundesländern beheimatet sind. Nicht alle schafften den Sprung unter die „Großen“. Ideen, wie der Böhmweglauf im Bayrischen Wald, waren mit ihren Versuchen, die Rennsteiglaufidee und Struktur zu kopieren mehr oder weniger erfolgreich. Insgesamt sind aber inzwischen „Landschaft- oder Geländeläufe“ auch im Westen angekommen, wenn dazu auch oft der neudeutsche Begriff der „Trailläufe“ Verwendung findet.
Leider hat der Rennsteiglauf sein international wirkendes Modell, welches er mit dem „Europa-Cup der Super-Marathons“, zusammen mit den Organisatoren vom Schwäbisch- Alb-Marathon und den 100 km vom Biel geschaffen hatte, verlassen, ohne zu bedenken, dass heute viele Marathonläufe, die rückläufigen Teilnehmerzahlen mit ausländischen Startern auffüllen, was aber ein anderes Thema sein wird.
Der MDR brachte vor kurzem eine dreiteilige Fernsehserie unter dem Titel „Wer braucht den Osten“. Der Sport als eine wichtige gesellschaftliche Erscheinungsform fand darin keine Aufnahme. Wir sehen Sie dies als Sporthistoriker?
Für den Leistungssport kann man über einen längeren Zeitraum nachweisen, dass nach der Wiedervereinigung 1990 noch viele Jahre die Bundesrepublik Deutschland von den Grundlagen, die in den Kinder- und Jugendsportschule und den Sportclubs gelegt wurden, profitierte. Medaillenränge bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie bei Olympischen Spielen nach 1990 resultierten oft auf den im Osten gesichteten und entwickelten Talenten. Selbst im Fußball konnte man sehen, dass der eine oder andere Spieler den Sprung in die Bundesliga schaffte. Im Frauenfußball war mit Potsdam sogar lange eine Mannschaft an der Spitze im Oberhauses.
Gibt es denn aus Jenas Sportgeschichte Beispiele, die noch heute in Deutschlands Sport eine Rolle spielen?
Ja natürlich. Bei der Umwandlung einer Kinder- und Jugendsportschule in ein Sportgymnasium hat Jena eine nicht unwesentliche Rolle als Blaupause für Sportgymnasien in anderen Bundesländern gespielt. Noch deutlicher wirkt heute die Gründung des „Deutschen Bogen-sport-Verbandes 1959“ an dem Jenaer Bogensportler unter Thomas Röher maßgeblichen Anteil hatte und der als einiger der wenigen Sportverbände sich im Westen etablieren konnte.
Gibt es auch aus dem DDR- Breitensport positive Bespiele aus Jena?
Wenn wir uns den Breitensport ansehen, der sich bis 1990 in der DDR meist in den Betriebssportgemeinschaften abspielte, so sind zwar heute noch einige Vereine vorhanden, deren Wurzeln zu suchen sind, so zum Beispiel bei der BSG Jenapharm, Motor Zeiss, Carl-Zeiss-Jena Süd, Motor Schott, WSG Neulobeda und der HSG Uni, um nur die größten zu nennen, die im Bezirk Gera zahlen- und leistungsmäßig eine Spitzenposition einnahmen. Alle genannten wandelten sich 1990 relativ schnell in gemeinnützige Vereine um, mussten aber teilweise gravierende, fast existenzgefährdende Mitgliederverluste hinnehmen. Häufig gründeten sich Abteilungen aus, woran der TuS Jena als Nachfolgeverein des SC Motor und der BSG Motor Carl Zeiss am Ende zu Grunde ging, woran aber auch ein Missmanagement und ein fehlendes Entwicklungskonzept seinen Anteil hatten. Die BSG’n kann man also nicht unbedingt in die Rubrik einordnen, dass dieses Modell in der BRD gebraucht wurde.
TLZ vom 15. Juni 2018 Interview mit Dr. Kremer in der Thüringischen Landeszeitung
MICHAEL ULBRICH
Gunda und Dr. Hans-Georg Kremer
Ziegenhainer Str. 77
07749 Jena
Tel.: 03641-363094
Stiftungen Spitzberglauf/Rennsteiglauf
Bankverbindung Flessabank Jena DE90 7933 0111 0002 3303 65
und Seniorensport
Bankverbindung Flessabank Jena DE63 7933 0111 0002 3303 66
Treuhänderisch verwaltet durch die
Stiftung „Annedore – Lebenshilfe im Alter“ in Jena