Dr. Dr. med. Lutz Aderhold ©privat
Gesundheit ist kein Zufall – was Sport bewirkt – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Neue Studien (Leyk et al. 2008) haben gezeigt, dass sich gesundheitlich ungünstige Lebensgewohnheiten zunehmend früher etablieren.
Nur ein Viertel aller Frauen und Männer weist keine Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Die Mehrheit der Bewohner Deutschlands durchläuft mittlerweile den schleichenden Prozess hin zur Wohlstandskrankheit.
Eine Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland des Robert-Koch-Instituts (RKI) belegt, dass Zivilisationskrankheiten weiter zunehmen (Richter-Kuhlmann 2012).
Die sicherste, natürlichste und effektivste Heilmethode für sämtliche Krankheiten, die wir kennen, ist Bewegung (Blech 2007; Halle 2014 u. 2016; Strunz 2014). Ausdauertraining hat in der Prävention den größten gesundheitserhaltenden Effekt.
Merksatz
Laufen ist hervorragend geeignet zur Prävention und Behandlung von Bewegungsmangelkrankheiten wie Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Stoffwechsels, des Bewegungsapparates und des vegetativen Nervensystems sowie zur Steigerung der Lebensqualität. Laufen hat eine äußerst günstige Nutzen-Risiko-Relation.
Laufen hat einen ganzheitlichen Heileffekt, wie er vielen Regulationsverfahren zugeschrieben wird. Laufen bewegt und bringt vieles in Fluss, was durch Inaktivität blockiert wurde. Entspanntes Laufen – im eigenen Rhythmus, ohne außer Atem zu kommen – hat meditativen Charakter, bringt Energien zum Fließen und eint Körper und Geist. Hier kann man durchaus eine Verbindung zu den fernöstlichen Bewegungsübungen des Yoga, Tai-Chi und Qigong sehen.
Es gilt als bewiesen, dass
- Langläufer weniger Bewegungsmangelkrankheiten haben,
- auch im Alter noch leistungsfähig sind,
- weniger zu Depressionen neigen und
- eine längere Lebenserwartung aufweisen.
Ausdauersport ist das wirksamste „Medikament“ gegen die Hauptfeinde eines langen Lebens: Bluthochdruck, Stoffwechselstörung und Bewegungsmangel. Bei Ausdauersportlern ist seltener ein Krankenhausaufenthalt erforderlich. Sie werden nicht nur älter, sie sterben offensichtlich auch gesünder.
Durch regelmäßiges Lauftraining fühlen Sie sich relativ schnell kräftiger, ausdauernder und leistungsfähiger. Das Wohlbefinden verbessert sich und es stellt sich eine schnellere Erholungsfähigkeit ein. Ganz von „allein“ kommt es zu einer natürlicheren Ernährung, Verdauungsbeschwerden verschwinden und Infekte treten seltener auf. Mit der gewonnenen Leistungsfähigkeit trauen Sie sich auch im Alltag mehr zu. Nachstehend erhalten Sie eine Übersicht, wie sich regelmäßiges Lauftraining auf die verschiedenen Körperfunktionen und -organe auswirkt (Tab. 1).
Tab. 1 Auswirkungen eines regelmäßigen Lauftrainings auf verschiedene Organe und
Körperfunktionen (↑ = Vergrößerung, Erhöhung, Verbesserung; ↓ = Verkleinerung, Erniedrigung,
Verschlechterung).
Organ, Auswirkung
Körperfunktion
Allgemeinzustand
● Sterblichkeit (Mortalität) ↓
● Ökonomisierung vieler Lebensvorgänge
● Gewicht ↓
● Fitness ↑
● Schlaf ↑
● Körperbewusstsein, Wohlbefinden ↑
● Lebensqualität, Lebenszufriedenheit ↑
Herz/Kreislauf
● Herzhypertrophie (Sportherz) ↑
● Herzkammern ↑
● Herzfrequenz (Vagotonie) ↓
● Herzfrequenzerholungszeit ↓
● Herzfrequenzvariabilität ↑
● diastolische Füllung ↑
● Schlag- und Herzminutenvolumen ↑
● Koronar- und Myokarddurchblutung ↑
● Sauerstoffbedarf/Belastungsstufe ↓
● Baroreflexsensitivität ↑
● Ruhe-, Belastungs- und Erholungsblutdruck ↓
● Vorhofflimmern ↑
Gefäße
● Durchmesser ↑
● peripherer Widerstand ↓
● Stickstoffmonoxid (NO) ↑
● Endothelfunktion ↑
● Gefäßflexibilität ↑
● Atherosklerose ↓
● Gefäßneubildung ↑
● Organ- und Gewebsdurchblutung ↑
● Mikrozirkulation ↑
Blut
● Blutvolumen ↑
● Hämatokrit/Viskosität ↓
● Fließeigenschaften ↑
● Erythrozyten und Hämoglobin ↑
● Thrombozytenaggregation ↓
● Fibrinolyse ↑
● arteriovenöse Sauerstoffdifferenz ↑
● Pufferkapazität ↑
● Entzündungszeichen (CRP) ↓
Lunge/Atmung
● Atemmuskulatur ↑
● Durchblutung ↑
● Atemzug- und Atemminutenvolumen ↑
● Atemfrequenz ↓
● Sekundenkapazität ↑
● Gasaustauschfläche und Diffusionskapazität ↑
● Sauerstoffausnutzung ↑
● maximale Sauerstoffaufnahme ↑
Muskulatur/passiver Bewegungsapparat
● Muskelmasse, Muskelkraft ↑
● ST-Muskelfasern ↑
● Kontraktionsgeschwindigkeit ↑
● Ermüdungsresistenz ↑
● Mitochondrien ↑
● Enzymaktivität ↑
● Energiespeicher (ATP, CP, Glykogen, Triglyzeride) ↑
● Myoglobingehalt ↑
● O2-Aufnahme, -Speicherung, -Verarbeitung ↑
● Kräftigung von Knochen, Sehnen, Bändern ↑
Stoffwechsel
● Glykogenspeicherung Leber ↑
● Laktatspiegel/Belastungsstufe ↓
● anaerobe Schwelle ↓
● ATP-Resynthese ↑
● Glykogenabbau/Belastungsstufe ↓
● Fettsäureoxidation/Belastungsstufe ↑
● Grundumsatz ↑
● Enzymaktivität ↑
● LDL-Cholesterin ↓
● HDL-Cholesterin ↑
● Triglyzeride ↓
● Harnsäure ↓
● HbA1c-Wert ↓
hormonelles System
● Sympathikusaktivität ↓
● Katecholamine/Belastungsstufe ↓
● Katecholamine-Maximalausschüttung ↑
● Parasympathikusaktivität ↑
● Kortisol/Belastungsstufe ↓
● Kortisol-Maximalausschüttung ↑
● Thyroxin bei Belastung ↑
● Wachstumshormon (STH) basal ↓, Belastung ↑
● Aldosteron zeigt keine Erschöpfung bei Belastung
● Insulinempfindlichkeit ↑
● Glukagon ↑
● Testosteron kurze Belastung ↑, lange Belastung ↓
Immunsystem
● Atemwegsinfekte ↓, bei erschöpfender Belastung ↑
● Immunzellenfunktion (Killerzellen, T- und B-Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen) ↑
● protektive Zytokine (Interleukin 6) ↑
● Hitzeschockproteine ↑
Gehirn/Psyche
● Neurogenese/Plastizität ↑
● Neurotransmitter (Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Endorphine) ↑
● Lernen, Gedächtnis ↑
● kognitiver Leistungsverlust im Alter ↓
● Körperwahrnehmung ↑
● Stresstoleranz, Stressreaktivität ↑
● Depressivität, Ängste ↓
● Selbstbewusstsein ↑
Nur mit ausreichend Bewegung, guter Ernährung und den richtigen Gedanken haben Sie Zugang zu mehr Gesundheit (Aderhold u. Weigelt 2018). Regelmäßige körperliche Aktivität durch Ausdauersport senkt die kardiovaskulären Risikofaktoren Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Diabetes mellitus, Übergewicht (in Kombination als metabolisches Syndrom – „Wohlstandssyndrom“ – bezeichnet) und stellt bei Erkrankung eine effektive, preisgünstige und nebenwirkungsarme Therapie dar (Berg u. König 2005; von Stengel et al. 2009; von Stengel u. Kemmler 2013; Löllgen 2015). Außerdem kommen als Nebeneffekt noch günstige Einflüsse hinsichtlich Osteoporose, Depressionen, Abfall der Gehirnleistung sowie Brust- und Dickdarmkrebs hinzu. Es konnte gezeigt werden, dass Ausdauertraining eine Zunahme der grauen und weißen Gehirnsubstanz bewirkt.
Die nachfolgende Tabelle (Tab.2) zeigt mittels Gegenüberstellung eines trainierten Ausdauersportlers und einer untrainierten Person, wie ausgewählte physiologische Parameter, durch Bewegung positiv beeinflusst werden können.
Tab. 2 Unterschiede zwischen Normalperson und Ausdauersportler in Bezug auf einige physiologische Parameter (Mann).
Physiologische Parameter Normalperson Ausdauersportler
Herzvolumen (ml) 700 bis 1 600
Herzvolumen (ml/kg) 10 bis 20
Herzschlagvolumen (ml) 80 bis 220
Herzminutenvolumen (l) 20 bis 50
Ruhepuls (Schläge/min) 70 bis 30
Vitalkapazität (l) 5,5 bis 7
Atemminutenvolumen (l) 120 bis 240
VO2 max (ml/kg × min) 40 bis 90
Blutvolumen (l) 5,0 bis 7,5
Leberglykogen (g) 90 bis 120
Muskelglykogen (g) 300 bis 600
ST-Faser (%) 50 bis 85
Muskelkapillaren (Anzahl/mm2) 250 bis 500
Körperfettanteil (%) 25 bis 6
Unter gesundheitlichen Aspekten ist ein wöchentliches Ausdauertraining mit einem Verbrauch von 2.000 kcal zu empfehlen, das entspricht ungefähr einer Strecke von 30 km (Gesundheitsläufer).
Laufen! – Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer – Lutz Aderhold und Stefan Weigelt – Foto: Elsevier Verlag
Der erreichbare Fitnessgrad ist durch Lauftraining gegenüber Walking höher und auch mit weniger Zeitaufwand erzielbar. Walking verbraucht in gleicher Zeit nur ungefähr halb so viel Energie (kcal) wie Laufen. Zusätzlich sollte 2-mal in der Woche ein Kraft- und Flexibilitätstraining durchgeführt werden, um neben der Ausdauer auch die Muskelkraft und Beweglichkeit zu verbessern. Damit wird ein Zustand erreicht, den man landläufig als Fitness bezeichnet.
Fitness bedeutet eine gute Leistungsbereitschaft im physischen und psychischen Bereich.
Die Durchführung eines regelmäßigen Trainings jenseits des 40. Lebensjahres bedingt eine funktionelle Verlangsamung des Einflusses von Alterungsvorgängen und gestattet Ihnen gewissermaßen, „20 Jahre lang 40 Jahre alt zu bleiben“ (Hollman u. Strüder 2009; Last u. Weisser 2015).
Mit zunehmendem Alter werden die Telomere (Schutzkappen der Chromosomen) in sämtlichen Körperzellen immer kürzer und dieser grundlegende Mechanismus trägt zu den meisten Alterskrankheiten und einer früheren Sterblichkeit bei (Blackburn et al. 2015; Rode et al. 2015). Allerdings lässt sich diese Abnutzung verlangsamen bzw. sogar umkehren.
Wer regelmäßig Ausdauersport treibt aktiviert das Enzym Telomerase, welches die Telomere vor Verschleiß schützen und den Alterungsprozess verlangsamt (Werner et al. 2008, 2009, 2019; Borghini et al. 2015; Mundstock et al. 2015; Blackburn u. Epel 2017; Kiechle u. Gorkow 2017; Bachl et al. 2018). Krafttraining hat allerdings keinen Einfluss auf die Telomere (Werner et al. 2019).
Körperliche Aktivität in Form von Sport ist das beste Anti-Aging-Mittel. In diesem Prozess spielen auch epigenetische Faktoren eine Rolle, wo Training als Modulator der gesundheitsförderlichen Effekte dient (Spork 2017). Laufen lohnt sich also mehr als Krafttraining. Der kluge Mensch macht beides!
Laufen ist eine grundlegende physiologische Handlung menschlichen Seins.
Dazu benötigen wir keine Anleitung, keinen Kurs und keine besondere Lifestyle-Ausrüstung. Laufen ist überall und jederzeit in jedem Lebensalter möglich. Außerdem ist Laufen eine umweltverträgliche Sportart.
Das Laufen kann seine positiven Wirkungen besonders dann entfalten, wenn man es im persönlichen Rhythmus betreibt und die Bewegung bewusst genießt. Ausdauertraining durch Laufen soll nicht erschöpfen, sondern erfrischen, erholen und eine wohlige Müdigkeit erzeugen.
Dr. Dr.med. Lutz Aderhold
Literaturverzeichnis
Aderhold L, Weigelt S. Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. München: Elsevier 2018.
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