Partner lehren Tempogefühlstraining - Foto: A. Rigal
Frühentwickler – Spätentwickler – Normalentwickler – Lothar Pöhlitz in Leichtathletik Coaching-Academy
© Lothar Pöhlitz – 11. Februar 2019 – Viele Fachbeiträge, Trainingserfahrungen oder Trainer-Empfehlungen gehen davon aus, dass im Kinder- und Jugendtraining oder später auch noch bei den U-20igern keine Entwicklungs-Differenzierungen notwendig sind und es normal ist, wenn im Gruppentraining alle gleich, gemeinsam trainiert werden.
Dabei haben die Spätentwickler nicht selten das Nachsehen, hören sogar – uninformiert über ihre mögliche Zukunft – frühzeitig auf.
Alles dreht sich um die Normalentwickler, dafür scheint das Wissen ums Training verfügbar, sowohl aus sportmedizinischer-, als auch trainingsmethodischer Sicht. Deshalb soll mit diesem Beitrag das Problem der Früh- und Spätentwickler einmal thematisiert werden.
Die größeren Chancen haben die, die mehr üben als ihre stärksten Gegner
Am besten wäre deshalb, wenn Eltern ihre Kleinen schon früh in den Verein ins Kindertraining bringen. Immer wieder begegnen uns im Kindersport unterschiedlich entwickelte, kleine und große, zurückhaltende und vorlaute, schnelle und langsam-ausdauernde und auch Talente. Und wir wissen, dass sie sich auch unterschiedlich schnell entwickeln.
Eine Norm gibt es nicht, die sich uns präsentierenden Unterschiede gleichen sich aus sportlicher Sicht in etwa zwei Jahren, in Ausnahmefällen auch erst in 3-4 Jahren aus. Auch die alle Trainer tangierenden Probleme mit der Pubertät lassen sich nicht altersabhängig festlegen. Der eine kommt spät, die andere ist sehr früh in dieser zum Teil schwierigen Phase. Erst danach wissen wir, ob ein Weg in den Hochleistungsbereich gangbar wäre.
Spätentwickler sind Kinder, die sich in wesentlichen Entwicklungsmerkmalen durch einen deutlichen Entwicklungsrückstand (Retardation) im Vergleich zu normal entwickelten ihres jeweiligen kalendarischen Alters unterscheiden.
Frühentwickler im Sport sind den Normalentwicklern um 1,5 – 2 Jahre voraus, in der Körperkonstitution, hin und wieder auch im intellektuellen Auftreten, in den Leistungen und damit auch in der Wertschätzung ihres Umfeldes.
In der Geschichte der Leichtathletik gab es in allen Disziplinen immer wieder Zeiträume mit Ideal-Vorbildern, vor allem in der Konstitution, bis eines Tages „der kleine Dicke oder die große Dürre“ kam und sie alle in Grund und Boden liefen. Wie damals, die geschädigte Konkurrenz in der DDR kann sich sicher noch erinnern, an die Zeit der „Gazelle“ Wilma Rudolph. Bis Renate Stecher aus Jena kam und siegte.
Meist ist das auch der Altersbereich in dem die Talente für die Vereine oder Sportgymnasien gesichtet und ausgewählt werden. Und es sind in der Regel die besten, größten, schnellsten, die auch in den Wettkämpfen ihren Gleichaltrigen wegliefen, die gegenüber dem „Durchschnitt“ unter dem sich auch die „Spätzünder“ mit ihren noch verborgenen Qualitäten befinden, bevorzugt.
Dabei findet man in der Literatur, dass etwa 20 % der Kinder als Spätentwickler auf die Welt kommen. Oft sind es dann auch die, die zwischen 15-18 Jahren mit erfreulichen Ergebnissen glänzen weil die Frühentwickler (etwa 20 %) den „späten“ lange keinen Stich ließen.
Foto: M. Schneider
Oft werden sie auch in der Talentbeurteilung überschätzt und das größere Problem nicht ihrem Vorsprung entsprechend in der komplexen sportlichen Ausbildung belastet. Nicht so selten hat dann auch der Trainer das Problem, wenn sein „scheinbares Talent“ stagniert und die geplante Leistung nicht abliefert.
Die entscheidende Erfahrung aber ist, dass sie – wenn ihr Vorsprung gegenüber den Normalen aufgebraucht ist – nicht ausreichend mit höheren, sie nun weiterentwickelnden Belastungen konfrontiert werden. Spätestens beim Eintritt ins Erwachsenenalter müssen sie sich ungewohnt einordnen – die Mädels entsprechend ihres Entwicklungsvorsprungs von bis zu 2 Jahren früher. Erfahrung ist, dass die dem Leistungssport oft auch früher adé sagen „wenn nun das Training zu hart wird und es sich für sie nicht länger lohnt“.
Wer denkt schon darüber nach ob die Babys bei der Geburt 2000 oder 4000 Gramm wogen und 35 – 45 cm groß waren, die Genetik andere Anlagen für die Intelligenzausprägung, das Wachstum oder ihre Emotionalität den Kleinen mitgab oder die Hormone im frühen Jugendalter, bei einer längeren Verletzungs-Trainingspause für die plötzlichen 10 cm Wachstum verantwortlich waren.
Wer lässt das Baby schon möglichst oft barfuß laufen, auf allen möglichen Untergründen und verhindert das Oma zuerst ein paar süße kleine Schühchen schenkt. Das prägt nicht nur den Unterbau, sondern auch die Nervenbahnen zum Gehirn. Dabei glauben wir fälschlicherweise zu oft, dass bei in den Familien unterschiedlichen Starts ins Leben, und vor allem einer unterschiedlichen Erziehung schon im Vor-Kita-Alter, das alle gleich sein müssen.
Immer wieder trifft man auf verwöhnte, zu wenig geforderte Jungen gegenüber Mädchen, sicher auch weil sie bis zum Schuleintritt von Frauen erzogen, geschont und zu wenig gefordert wurden. Jeder Mensch ist anders und zugleich Produkt seiner Erziehung. Am besten spüren es die Eltern an den Charakteren ihrer 3-6 in der Regel sehr unterschiedlichen Kinder, auf ihren langen Weg ins Erwachsenenalter.
Spätentwicklern mit Defiziten sollte man in einer Trainingsgruppe Zeit geben ihre Rückstände aufzuholen, keinen Druck auf sie ausüben und ihnen „trotzdem“ nie die Aufmerksamkeit und die Trainingsbelastung verweigern. Viele haben ihren Eltern und Trainern später noch viel Freude gemacht.
Besser ist sie in einer passenden Partnergruppe auch ihre Leistungsentwicklung spüren zu lassen. Auch sie haben Stärken, oft können sie den „schon schnellen Großen“ bei Ausdauerläufen weglaufen. Das muß man sie spüren lassen und das große Lob nicht verpassen. Wichtig ist ihnen eine komplexe Basis für später mitzugeben und ein steigendes Selbstbewusstsein auf ihrem Niveau, das schützt und fördert auch sie.
Ein großer Fehler ist also auf sie frühzeitig Druck auszuüben und sie enttäuscht, auch nach misslungenen Wettkämpfen nach Hause zu schicken. Stärken verstärken, sie bei der Stange halten und die Schwachstellen parallel dazu auf später vorbereiten wäre ein hilfreicher Trainerauftrag. Schon in zwei Jahren kann alles anders aussehen. Auch weil die Eltern mit ihrem Ehrgeiz oft die Ruhe nicht bewahren können.
Spätentwickler holen bei richtigem Vorgehen oft den Rückstand auf und laufen eines Tages den Frühentwicklern weg und sind sogar zu außergewöhnlichen Leistungen fähig. Sie danken es ihren Trainern, die mehrere Jahre Geduld mit ihnen hatten, die Voraussetzungen für Qualitätstraining schufen und für Wettkampferfahrung sorgten. Spät, aber noch rechtzeitig machen sie auch noch ihre Eltern stolz.
Die Mädchen–Jungen Problematik nicht übersehen.
Weil sich Mädchen schneller entwickeln als Jungen – im Prinzip 1-2 Jahre Vorsprung haben – ihr Möglichkeitspotenzial früher zeigen – sollten ihnen auch früher ihre Stärken – ihr Laufpotenzial deutlich gemacht werden. Das bedeutet zugleich, dass sie früher mit dem Grundlagentraining beginnen müssten.
Dabei ist Erfahrung, dass die Anzahl der früh absolvierten Übungsstunden über die Qualität der späteren Leistungen entscheiden. Deshalb muss es Ziel sein, Kinder möglichst früh an den Sport zu binden um so Gewohnheiten aufzubauen. Dafür werden C-B-A Trainer in Vereinen gebraucht um möglichst viele Stunden mit den Kleinen zu üben.
Bei Weineck in „Optimales Training“ 1996, S. 99-118 findet man ergänzend dazu:
- Wachstumsschübe bei Mädchen im Alter von 11-13, Jungen 13-15, bis zu 1,65 cm/Tag und 2,5 cm/Woche
- Peripherie wächst schneller als Zentrum (d.h. den inneren Organen Entwicklungs-Zeit geben)
- Die Differenz von biologischem zu kalendarischem Alter kann bis zu 3 Jahren betragen.
- Akzelerierte (Frühentwickler) sind größer und kräftiger als Normal- und Spätentwickler
- Akzelerierte verfügen im konditionellen Bereich (Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer) über eine wesentlich höhere Belastbarkeit und Leistungs-fähigkeit. Vermeintliche „Talente“ sind daher in vielen Fällen nur Frühentwickler
- Training der konditionellen Faktoren nur in dem Maß zu empfehlen, wie es die umfassende koordinative Ausbildung erforderlich macht: keine maximale, sondern optimale Ausbildung
- Dem Alter von 10-14 Jahren wird die beste Lernfähigkeit zugeschrieben: das ZNS ist in der Entwicklung, das Gleichgewichtsorgan hat fast Erwachsenenwerte erreicht, auch Motivation, Mut und Risikobereitschaft sind sehr ausgeprägt.
- Daher die Forderung nach intensiver koordinativer Schulung in diesem Alter.
Lothar Pöhlitz in Leichtathletik Coaching-Academy
*Lothar Pöhlitz – Dipl.- Sportlehrer für Leistungssport/Sportwissenschaftler/1971 -1979 Leiter des Wissenschaftlichen Zentrums des DVfL/DLV-Bundestrainer 1980 – 1998 i. R./3x Olympia-Trainer für Deutschland/Langjährige Lehre an der Trainerakademie und DLV-Trainerschule
Siehe auch: