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13
05
2019

S25 Berlin 2019 - 25 km - kurz nach dem Start auf der Olympischen Straße - Foto: Horst Milde

FREI fühlen – 25 Kilometer durch Berlin – Impressionen vom S25 am 12. Mai 2019 von Dr. Erdmute Nieke

By GRR 0

Am Samstag beim Frühstück lese ich die Wochenend-TAZ und darin Auszüge aus der  Verteidigungsschrift von Deniz Yücel. Vor zwei Jahren bin ich zum BIG25 – wie der große Straßenlauf durch Berlin vor zwei Jahren noch hieß – im FREE-DENIZ-T-Shirt gelaufen.

Damals saß Deniz in Silivri in Unterschuchungshaft.

Ich finde es in meinem Kleiderschrank wieder und beschließe am Sonntag in diesem Shirt zu laufen.

Am Sonntag bei Frühstück höre ich den Verkehrsfunk und höre: „Weiträumige Sperrungen in Charlottenburg, Mitte und Schöneberg wegen einer Laufveranstaltung.“

Dann Aufbruch zum Olympiastadion. Alles ist wie alle Jahre. Toilettenbesuch und Kleiderbeutelabgabe vollkommen stressfrei und auf zum alljährlichen Fototermin mit dem LT Bernd Hübner. Vor fünf Jahren bei meinem ersten BIG25 hatte ich nach dem Ziel meine Erstbegegnung mit den Hübis, die vielen roten T-Shirts hatten mich neugierig gemacht. Seit dem hat mein Training eine neue Qualität.

DANKE an Bernd Hübner und alle anderen Hübis!

Der Lauftreff Bernd Hübner vor dem Start – Foto. Bernd Hübner

Dann geht es an den Start auf den Olympischen Platz, der ist heute autoFREI! Es gibt vier Startblöcke. Schnell geht es für alle Läufer*innen über die Startlinie. Wie alle Jahre laufen wir der Sonne entgegen in Richtung Osten. Die ersten zwei Kilometer laufen sich noch nicht wirklich gut. Die Reichsstraße ist zu eng für die vielen Läufer*innen. Denn alle Wettkampfdistanzen starten gemeinsam: 25 km, HM, 10 km und 5×5 km-Staffeln.

Doch dann am Theodor-Heuss-Platz spielt eine Band. Das ist neu! Nach dem Heuss-Platz kommt wieder dieser wunderbare Berg hinunter – die Bismarckstraße. Ich kann das Läuferfeld vor mir lang ausgestreckt sehen, dazu Siegessäule und Fernsehturm. So weit muss ich gar nicht rennen. Doch das Beste am Blick ist die große Ost-West-Achse von Berlin ist vollkommen autoFREI! Es ist still und die Luft ist frisch!

Auf der Straße des 17. Juni nutzen viele Radfahrer die autoFREIE Gegenspur zum entspannten Radfahren. Die Goldelse grüßt uns von ihrer Säule. Was ihr wohl besser gefällt: Läufer*innen oder Autos unter ihren Füßen? Kurz vor dem Brandenburger Tor, schon in Hörweite der Trommelgruppe ein Blick zum Sowjetischen Ehrenmal. Der Soldat steht auf dem Sockel und wacht über viele Blumengebinde. Es war gerade der 8. Mai…

Das Berlin-Sightseeing geht weiter, durch das Brandenburger Tor zum Gendarmenmarkt: Deutscher und französischer Dom leuchten in der Sonne. Dann über die Leipziger Straße zum zweiten Mal über den markierten Mauerstreifen – im Herbst werden es 30 Jahre, dass Berlin FREI ist und ungeteilt.

Der Potsdamer Platz mit seinen Hochhäusern, das Wetter ist so schön, dass die Hochhäuser genau den Blick zu den neuen Hochhäusern hinter dem Breitscheidplatz freigeben. Moderne Architektur! Dann eine Rechts-Links-Kurve um die Philharmonie und in der Tiergartenstraße die Botschaften.

Wir erreichen die Türkische Botschaft. Sie liegt im sonntäglichen Dornröschenschlaf. Zeit für mein Kopfkino. Ob Deniz je wieder FREI sein wird? Drei Tage Folter verändern ein Leben für immer. Am Morgen beim Fototermin hatten einige gemeint, dass Deniz Yücel doch frei sei. Ist er das?

Vorbei geht es an der CDU-Parteizentrale, auch da Sonntagsruhe, weiter zum Wittenbergplatz. Die historische U-Bahn-Station vor dem KaDeWe ist komplett eingerüstet. Gegenüber vom Kaufhaus Läderach-Schweizer Schokolade. Da kommen die Erinnerungen an den Zürich-Marathon vor zwei Wochen auf.

Auf dem Kurfürstendamm ist leider die Gegenspur für den Autoverkehr nicht gesperrt. Gleich ist die Luft schlechter und die Stille fehlt. Am Breitscheidplatz ist die ständige Sicherheitsabsperrung inzwischen fertig. Ein freier Platz ist das nicht mehr, Erinnerungen an das Weihnachtsmarktattentat.

Der Gebäudekomplex von der Komödie am Kurfürstendamm ist inzwischen vollkommen verschwunden. Hinter dem Bauzaun ragt ein Bagger aus den Hausresten.

Dann geht es über die Leibniz- zur Kantstraße. Was würden diese beiden Herren wohl zu dieser laufenden Menge sagen? Haben wir wirklich die schlechteste aller Welten? Die Kantstraße bietet buntes Leben mit Cafes und Restaurants, die ersten indischen Lokale kochen wahrscheinlich schon Mittag. Leckerer Duft zieht durch die Kantstraße, bevor wir den Berg wieder hinauf müssen, den wir morgens hinab durften.

Bei Kilometer 20 zum letzten Mal Wasser trinken und dann am Funkturm über die Stadtautobahn und zurück zum Heuss-Platz. Die Band spielt immer noch!

Dann wieder über Reichsstraße zurück zum Olympischen Platz. Noch zwei Kilometer und dann – jedes Jahr dieses Gänsehautgefühl – durch die Katakomben, vorbei an der lauten Trommelband mit den Lichteffekten hinein ins Olympiastadion, eine knappe Runde auf der blauen Bahn und Zieleinlauf!

Vorbei – Medaille – die Treppe hinauf durch die Ränge zum Kleidersack.

25 Kilometer durch Berlin – jedes Jahr entdecke ich auf der Laufstrecke Neues und Verändertes. Ein Dank an den Veranstalter, der das jedes Jahr möglich macht.

In diesem Jahr bleiben zwei Wünsche: Möge Deniz ein gerechtes Urteil erhalten, damit er sich wieder FREI fühlen kann und möge Berlin viele solcher autoFREIen Tage haben, denn dann fühlt sich Berlin irgendwie wirklich FREI an.

Dr. Erdmute Nieke

 

 

 

 

 

 

 

 

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