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09
04
2021

Michel Bréal, es war seine Idee von Marathon nach Athen zu laufen - Foto: Sportmuseum Berlin

Faszination MARATHON: Von der antiken Legende über die Idee eines Pfälzers, Michel Bréal, zur Weltbewegung – Prof. Dr. Norbert Müller

By GRR 0

Am Sonnabend, dem 10. April 1896, also vor 125 Jahren,  gewann der griechische Läufer Spiridon Louis bei den 1. Olympischen Spielen in Athen den MARATHON-Lauf auf der klassischen Strecke von Marathon nach Athen.

Am Vortag, dieses für den Laufsport so wichtigen Jubiläums, sollte hier die historische Bedeutung dieses Laufes vor 125 Jahren  noch einmal aufgezeigt werden.

GRR hat hier auf der website die historischen Hintergründe der Schlacht von Marathon und die Entwicklung des Marathonlaufes in vielfältiger Hinsicht beleuchtet und dokumentiert.

Wir wiederholen hier den Vortrag von Prof. Dr. Norbert Müller vom 7. Mai 2010, den er beim Festakt  „2500 Jahre Marathon“ in Mainz  hielt und der sich zum Teil auf die Eröffnung der Ausstellung des Sportmuseums Berlin – AIMS Marathon Museum of Running – bezog.

Horst Milde

„Wir eröffnen heute eine Ausstellung „2500 Jahre Marathon“, die sich auf 32 Bildtafeln im Wesentlichen mit der modernen Geschichte und hier besonders mit dem Marathonlauf in Deutschland beschäftigt. 

Die Geschichte des Marathons ist so vielfältig und spannend, dass unter dem Stichwort „Marathon“ oder vielen verwandten Suchbegriffen wie:

Marathonlauf, Marathon Geschichte, Marathon Griechenland,  Marathon Training, Marathon Vorbereitung, Marathon Länge, Marathon Weltrekord, Marathon km, Marathon Berlin, Marathon Mainz , Marathon Frankfurt , Marathon New York , Marathon Trainingsplan und Halbmarathon

… hunderttausende von Eintragungen in Google zu finden sind. Wir sind hier unter Insidern, die besser als ich berichten können, wie die Marathon-Idee in den letzten 40 Jahren zu einer Weltbewegung geworden ist und die Hitliste der nationalen und internationalen Stadt-Marathons immer länger wurde.

Würde ich mir anmaßen, die Geschichte des Marathonlaufs nur in groben Zügen erzählen zu wollen, Sie müssten sich auf viele Stunden einstellen. Allein die Geschichte des Marathonlaufens in Deutschland füllt diese drei stattlichen Bände meines Kölner Historikerfreundes Karl Lennartz.

Wenn ich an die ungeschriebene Geschichte des internationalen Marathons denke, kämen unzählige  weitere Bände dazu, denn der Marathonlauf hat in fast jedem Land seine eigene Entwicklung genommen.

Wer die olympische Text-Datenbank in L.A per Internet unter „Marathon“ konsultiert, erhält dort 2.360 Textnachweise. Wenn wir die virtuelle sportwissenschaftliche Literaturdatenbank SPOLIT aufrufen, so erscheinen dort unter „Marathonlauf“ 1.130 deutsche Bücher- und Zeitschriftenaufsätze und 23 Forschungsprojekte.

Da Sie verehrte Gäste auch der Ausstellung Zeit widmen und auch unsere hochkarätigen Zeitzeugen aus 40 Jahren deutscher Marathongeschichte treffen wollen, möchte ich in meinen „Festvortrag“ speziell die olympische Geschichte des Marathonlaufs streifen, doch auch diese ist weit vielschichtiger als angenommen.

Zunächst zum Titel unserer heutigen Veranstaltung: „2500 Jahre Marathon“

Streiten wir uns nicht darüber, wie begründet für den Deutschen Leichtathletik-Verband ein Jubiläum „2500 Jahre Marathon“ wirklich  ist. Es klingt einfach gut.

Dass die heutige Marathonbewegung auf den Lauf des Siegesboten vom Schlachtfeld von Marathon nach Athen im Jahre 490 v. Chr., also vor genau 2500 Jahren zurückgeht, ist unbestritten.

Der  berühmte griechische Geschichtsschreiber Plutarch hat diese Geschichte 600 Jahre nach der Schlacht ersonnen und seit Erfindung des Buchdrucks an Millionen von Lesern als legendenumwobenes Geschichtsereignis weitergegeben. Damit hat er den „Läufer von Marathon“ letztlich wegen seines Heldentods unsterblich gemacht.

Ich zitiere ihn:

„Thersippos, der Ercheier berichtet von der Schlacht bei Marathon: Die meisten aber sagen, dass Euklees, noch erhitzt von der Schlacht, mit schwerer Rüstung hergelaufen, zur Türe der ersten hereingestürzt sei, und nachdem er nur soviel gesagt habe: ‚Freut Euch, auch wir freuen uns’, hierauf sofort gestorben sei.“

Im gleichen nachchristlichen Jh. berichtet dies auch der Philosoph Lukian von Samosata, der dem Läufer den Namen  Philippides gibt. Das muss eine Verwechslung mit jenem Botenläufer, der den Spartaner das Hilfsersuchen Athens überbrachte und für die 245 km 2 ½  Tage gebraucht haben soll. So  berichtet der antike Geschichtsschreiber Herodot, der die Schlacht noch selbst erlebt hatte.  (In Griechenland findet in Erinnerung hieran  jährlich ein sog. „Spartathlon“ über diese Distanz satt)

Bedeutende Althistoriker des 19. und 20.Jahrhunderts messen dem Sieg der Griechen in der Schlacht von Marathon eine noch in unsere Zeit hineinreichende Bedeutung zu. Der prominente deutsche Gelehrte Hermann Bengtson schreibt dazu im Handbuch der Altertumskunde (1969):

„Die welthistorischen Perspektiven des griechischen Sieges über die Perser sind fast unabsehbar. Dadurch, dass die Hellenen den Ansturm des Ostens meisterten, haben sie der politischen und kulturellen Entwicklung des Westens auf ein volles Jahrhundert hinaus Ziel und Richtung gegeben. Erst durch den siegreichen Freiheitskampf der Griechen ist Europa als Idee und Wirklichkeit ge-boren worden.“

Ist das nicht eine Leistung, die man in diesen für die Nachfahren der alten Griechen bedrängenden Tagen lobend erwähnen sollte?  

Diese Leistung war es auch, welche das Wort „Marathon“ schon vor den 1. Olympischen Spielen der Neuzeit zum Gegenstand für zahllose Literaten und Künstler im 18. und 19.Jahrhundert gemacht hat.

Ich komme zum zweiten Punkt: Von der antiken Legende zur Idee eines Pfälzers

Stolz können wir darauf sein, dass ein Pfälzer namens Michel Bréal, 1832 in Landau geboren, die Urheberschaft für den olympischen Marathonlauf für sich beanspruchen kann.

Der Spross der jüdischen Kaufmannsfamilie Liebmann aus Pirmasens wird bis  heute von Marathonfans und den meisten Sporthistorikern fälschlicherweise als Franzose gefeiert. Schuld daran ist sein Name: Bréal. Als die Pfalz und Rheinhessen von 1803 bis 1815 als Département Mont-Tonnerre (heute Donnersberg) zu Frankreich gehörten, wurde sein Vater durch das Namensdekret Napoleons gezwungen, den Namen Liebmann in einen französisch klingenden neuen Familiennamen umschreiben lassen.

Als gläubiger Jude wählte er den Namen „Bréal“,  die Anfangsbuchstaben der biblischen Vornamen Benjamin-Rachel-Elias-Abraham und Levi.

Der Vorname Michel war sowohl in der Pfalz als auch in Frankreich beliebt, doch die Zeit Napoleons war bei seiner Geburt 1832 auch schon lange vorbei und die Pfalz gehörte nun zu Bayern.

Da Michel Bréal ab 1873 in Paris lebte und als Sprachprofessor lehrte, wo er auch 1915 verstarb und auf dem Friedhof Montparnasse begraben liegt, haben die Franzosen ihn wie selbstverständlich zu einem der ihren gemacht.

Das Grab von Michel Breal auf dem Friedhof Montparnasse in Paris, restauriert durch Gelder von IAAF und AIMS – Foto: AIMS

Sein Name bleibt entscheidend für die Geschichte des olympischen Marathonlaufs, denn Bréal war es, der dem jungen Olympiagründer Pierre de Coubertin am 15.9.1894 einen Brief mit dem Vorschlag schickte, einen Lauf vom 40 km entfernten Schlachtfeld von Marathon zum Pnyx, dem historischen Versammlungsplatz der Athener neben der Akropolis, innerhalb des Wettkampfprogramms der 1. Olympischen Spiele 1896 durchzuführen. Er selbst wollte hierfür den Pokal stiften. Der Vorschlag, wurde von den Athener Olympia-Organisatoren freudig begrüßt, berührte mit dieser Idee die patriotische Gefühle aller Athener und Griechen in dem 1828 neu begründeten griechischen Staat und damit deren Identität.

Wie kam Bréal dazu?

Als Archäologen 1890 überraschend den Grabhügel der 300 gefallenen Marathonkrieger entdeckten, gab diese Weltsensation dem am berühmten Collège de France (1866-1905) lehrenden Sprachwissenschaftler Michel Bréal den entscheidenden Impuls für seine Idee. Er schrieb gerade an zwei Unterrichtshilfen für neue Methoden im Griechisch- und Lateinunterricht der Oberschulen. Was lag ihm da näher, als die Schüler nicht mit dem trockenen klassischen Text von der Schlacht zu Marathon zu langweilen, als vielmehr an der Idee eines realen Marathonlaufs zu begeistern. Die Laufbewegung hatte von England kommend an Pariser Gymnasien gerade erfolgreich Einzug gehalten.

Coubertin hatte den hoch angesehenen väterlichen Freund Bréal drei Monate zuvor, im Juni 1894 als Ehrengast zum IOC-Gründungskongress gebeten, sozusagen als Kronzeuge für seine Idee der Wiedergeburt der Olympischen Spiele. Nun erwies sich Bréal als Ideengeber für den Marathonlauf  als besonders nützlich.

Die weitere Geschichte ist bekannt:

Der griechische Schafhirte Spiridon Louis gewann überraschend den 1. Marathonlauf und wurde zum griechischen Nationalhelden.

Er brachte am 4. Tag der Spiele den sehnlichst erhofften ersten Sieg für Griechenland im Olympiastadion vor 60. 000 Zuschauern  – ausgerechnet in der geschichtsträchtigsten aller olympischen  Disziplinen. Louis sollte 1936 nochmals einen olympischen Auftritt haben, indem er an der Spitze der Hellenen ins Berliner Olympiastadion einmarschierte.

Der Marathonlauf ist bis heute die einzige olympische Disziplin, die exklusiv für die Spiele geschaffen wurde. (Straßenläufe über noch viel längere Distanzen – bis zu 500 Kilometern –  gab es schon vorher, meist für Preisgeld.)

Der Breal-Pokal, Siegespreis 1896 für Spyridon Louis, in einer Vitrine im Museum „Niarchos“ in Athen – Foto: Horst Milde

Schon wenige Wochen nach Athen veranstaltete eine Pariser Zeitung  einen Marathonlauf für Profis und 1897 gab es bereits den ersten Boston-Marathon.
Seit Athen entwickelte sich in vielen Ländern ein regelrechter Marathonboom verbunden mit der Suche nach der endgültigen Streckenlänge.

3. Dimensionen einer olympischen Marathongeschichte

Wenn wir von Athen 1896 ausgehend die olympische Geschichte des Marathons hinterfragen, so haben wir zahlreiche Ansatzpunkte:

1.    Die Sieger oder auch die unglücklichen Verlierer und die Anteilnahme der Bevölkerung ihrer Länder.

2.    Die Laufstrecke mit ihren Höhenformationen und der lange Zeit nicht normierten Länge; so stand in Athen zunächst 48 km, später 40 km als Distanz im Programm, letztendlich waren es 37 km.

3.    Können wir an den Trainingsmethoden der Marathonläufer trainingswissenschaftliche Entwicklungsschritte  im 20. Jh. nachzeichnen; z.B. von der einfachen Ausdauerform der frühen Jahre über das Fahrtspiel der Skandinavier in den 20iger und 30iger Jahren bis zur Intervallmethode, und heute wieder zur Dauermethode oder Mischformen aus beiden.

4.    Der Stellenwert des Marathonlaufs bei den jeweiligen Olympischen Spielen innerhalb der Kultur des Ausrichterlandes. Da werden Unterschiede, z.B. zwischen Europa  und Asien, besonders deutlich.

5.    Wir können auch  den olympischen Marathonlauf aus dem Blickwinkel der politischen Einflüsse auf die Olympischen Spiele betrachten.  Es gibt Historiker, die behaupten, der Sieg von Louis 1896 hätte das Selbstbewusstsein der Griechen so angestachelt, dass sie auf Kreta ein Jahr später einen Aufstand gegen die dort noch verblieben Türken wagten, der zu einem Fiasko führte.
Oder betrachten wir die Marathonsausschnitte im Olympiafilm von Leni Riefenstahl von 1936, welche den Durchhaltewillen der zwei führenden Japaner bis zum „Endsieg“ des einen dramatisch dokumentiert.

6.    Ein weiterer Punkt wäre das öffentliche Interesse an den jeweiligen olympischen Marathonläufen von Seiten der nationalen und internationalen Medien; bereits von London 1908 und Stockholm 1912 haben wir mitreißende Filmaufnahmen. Kein offizieller  Olympiafilm kommt bis heute ohne die Bilder vom Marathonlauf aus.

7.    Ein ganz wichtiges Kapitel stellt der erst spät 1984  in L.A. verwirklichte  Frauen-Marathon dar, der sich lange gegen männliche Vorurteile und  leichtathletischen Verbandsoberen durchsetzen musste.

8.    Und in den letzten 30 Jahren wäre auch über den Kommerz in Bezug auf die großen Marathonstars nachdenkenswert.

9.    Vielleicht spielt  aber auch die Frage der steigenden Luftverschmutzung und hier der Streit um die Atembelastungen der Marathon-Läufer wie in Peking 2008 eine auch für manchen Stadtmarathon überdenkenswerte  Rolle.

10.    Und nicht ganz zuletzt wäre auch der Marathonlauf als sinnliche Lebensgestaltung zu betrachten. Vielleicht kennen Sie den Erfolgsroman des Japaners Haruki Murakami, der soeben auf Deutsch erschienen ist, mit dem bezeichnenden Titel:
 „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede.“

Diese 10 Punkte können zeigen, unter wie vielen Perspektiven (und die Aufzählung ist noch lange nicht zu Ende!) sich allein die Olympiageschichte des Marathonlauflaufs betrachten lässt.

4. Besondere Ereignisse beim olympischen Marathonlauf

Aus der Fülle der  historischen Ereignisse möchte ich nur wenige herausgreifen:

1904 in St. Louis/USA lies sich Fred Lorz nach einem Wadenkrampf  bei km 15 von einem PKW mitnehmen, stieg bei km 32 wieder ins Rennen ein und kam als erster ins Ziel, bekannte jedoch sogleich seine Untat.  Über den  siegreichen Amerikaner Thomas Hicks schreibt der offizielle Bericht, dass begleitende Ärzte ihn bei einem Schwächeanfall mit einer Mixtur aus Brandy, Eiern und Strichnin „behandelten“. Heute würde man sagen dopten.

1908 in London startete der Marathonlauf an Schloss Windsor, damit die Königskinder  direkt von ihrem Balkon aus zusehen konnten. Seither ist die Streckenlänge exakt 42,195 Meter lang.

Doch London hatte noch einen anderen Vorfall: Englische Kampfrichter trugen und schoben den als ersten ins Stadion kommenden Italiener Dorando Pietri über die Ziellinie, er war kollabiert. Die US-Mannschaft protestierte, da der nachfolgende Hayes ein Amerikaner war. Den englischen Kampfrichtern wurde antiamerikanische Parteiname zugunsten des Italieners unterstellt.

Pietri wurde schließlich disqualifiziert, als Sieger der Herzen jedoch von der Königin mit einem extra Goldpokal geehrt. Diese in der Presse hochgespielte Affäre führte zu einem zweiten Marathonboom in Europa und den USA.

Die in London vermessene Strecke von 42,195 Metern wurde von da an verbindlich und die Zeit des  Siegers der erste inoffizielle WR. (Erst 2003 führte die IAAF offizielle Rekorde ein, was leider die Strecken uniformisiert hat.)

In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhundert nahm die Popularität des Marathon weiter zu, besonders Dank starker skandinavischer Läufer und deren neuer Fahrtspiel-Traningsmethode.

Als Kolonialfranzose gewann 1928 in Amsterdam überraschend der Algerier El Ouafi. Für die olympischen Historiker der erste afrikanische Olympiasieger.
In Amsterdam waren alle bedeutenden Sportmediziner versammelt, um Messungen der Herzfunktionen an Sportlern vorzunehmen. Marathonläufer waren ihr besonderes Klientel.

Nachdem 1928 erstmals Japaner unter den Weltbesten auftauchten, waren vier Jahre später in Los Angeles bereits zwei von ihnen ganz vorne. Diese hatten amerikanische YMCA-Sportmissionare als Trainer.

Der Finne Pavo Nurmi wurde kurz vor dem Start wegen überhöhter Spesenabrechnungen disqualifiziert; seinen vier früheren Langstrecken-Goldmedaillen konnte er keinen Marathonsieg mehr hinzufügen.

Der Marathonlauf von Berlin 1936 wurde zum  Highlight im Olympiafilm von Leni Riefenstahl stilisiert. Es  gewann der  Koreaner Sohn Kee-chung, der unter dem japanischen Namen Kitei Son, wegen der damaligen Besetzung Koreas für Japan starten musste. Er wurde nach der Befreiung Koreas zum Nationalhelden und trug bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul als 76jähriger die Olympische Flamme ins Olympiastadion.

Neben den Leistungen von Jesse Owens zog 1936 der Marathonlauf die größte Medienaufmerksamkeit auf sich; schon zuvor waren ganz im nationalsozialistischen Sinne der Heldentod des Läufers von Marathon in einem Kinofilm und in Buchpublikationen verherrlicht worden.

Dazu passte auch eine andere Entscheidung: Mit einem Gedicht „Der Läufer (von Marathon)“ gewann  der Deutsche Felix Dhünen die Goldmedaille im olympischen Literaturwettbewerb 1936.

In Helsinki 1952 gewann der tschechische Wunderläuder Emil Zatopek, der  wegen seines Laufstils „Die Lokomotive“ genannt wurde; er hatte als erster die Intervall-Methode im Training angewandt. Als  Nationalheld stellte er sich beim Prager Frühling 1968 auf die Seite des Protests.  

1960 Rom erlebten wir mit  Begeisterung die erste Liveübertragung von  Olympischen Spielen. Von der Stimmung  her war das römische Marathonrennen das bis heute wohl eindrucksvollste. Die Überraschung für die Fachwelt der barfußlaufende  unbekannte Äthiopier Bikila Abebe, der bei Fackellicht in den späten Abendstunden die Ziellinie unter dem Konstantinsbogen als Sieger erreichte.

1964 siegt Bikila Abebe erneut, dieses Mal mit Schuhen. 1968 in der schwierigen Höhenlage von Mexiko City siegte ein weiterer Äthiopier: Mamo Wolde.

1972 war Bikila Abebe Ehrengast der Spiele von München. Nach einem schweren Unfall saß er im Rollstuhl, zwei Jahre später starb er.

1972 in München nahm ein junger deutscher Hochstapler
dem überlegenen amerikanischen Olympiasieger Frank Shorter zunächst die Schau, als er kurz vor dessen Ankunft die Absperrung überwand und als erster ins Münchner Olympiastadion einlief.

1976, vier Jahre später begann die große olympische Karriere von Waldemar Cierpinski aus der DDR, der als erster deutscher Läufer den olympischen Marathon gewann und dies  in Moskau 1980 sogar wiederholte.

In den frühen achtziger Jahren begannen die Stadtmarathon-Läufe:  43 waren es im Jahr 1981, bereits 90 ein Jahr später.

1984 kam es zum ersten olympischen Frauen-Marathonlauf, nachdem beim New York Marathon 1971 erstmals Frauen dabei waren.  Doch auch viel  kürzere Strecken waren lange Zeit für Frauen verpönt. Als 1928 erstmals Frauen bei Olympia die 800 m-Strecke liefen und mehrere nach dem Ziel erschöpft auf den Boden sanken, wurde diese „Langstrecke“ wieder aus dem Programm genommen und erst 1960 neu eingeführt.

Die Ausstellung widmet diesem Thema der Frauenemanzipation im Langlauf mehrere Tafeln.

Der deutsche Arzt Dr. van Aaken hat für den Frauen-Langlauf die entscheidende Pionierarbeit geleistet: Frauen nahmen bald an 100 km-Läufen teil, deren unzureichende Herz- und Lungenkapazitäten entpuppte sich als Ammenmärchen.

Doch ausgerechnet der erste olympische Marathonlauf 1984 bestätigte alte Vorbehalte, als eine Schweizer Läuferin auf der letzten Runde bei brütender Hitze kollabierte und eine ganze Stadionrunde dem Ziel entgegentorkelte. Die Veranstalter hatten die Mittagshitze im August in L.A. für die Läuferinnen unterschätzt; der Männerlauf wurde daraufhin in die Abendstunden verlegt.

Der Siegeszug der Frauen-Marathonläufe war zum Glück nicht mehr aufzuhalten. Mit Liane Winter und Christa Vahlensieck haben zwei  prominente deutsche Läuferinnen die Marathongeschichte der Frauen mitgestaltet.

1983 kam es zu den ersten Leichtathletik-Weltmeisterschaften, welche dem Marathon für Männer und Frauen weltweit neue Impulse gaben.
Die Zeit von Herbert Steffny (und Manfred Steffny) beginnt, dem Herausgber und Verleger der Marathonzeitschrift Spiridon, benannt nach dem Sieger von Athen Spiridon Louis.

1983 ist auch das Jahr, in dem der Verfasser im noch völlig ungeordneten IOC-Archiv in Lausanne unter verstaubten Dokumenten den berühmten Bréal-Brief vom 15. September 1894 mit der Idee der Einführung des Marathonlaufs fand.

5. Schlussbemerkungen

Erlauben Sie mir, die olympische Geschichte des Marathonlaufs an dieser Stelle abzuschließen, unsere Zeitzeugen können sie weiterspinnen.

Die Faszination Marathon nahm in Athen 1896 ihren Anfang und hat alle Olympischen Spiele der Neuzeit geprägt.  Seit den achtziger Jahren ist die „Weltbewegung Marathon“ Realität, die Millionen von Menschen als aktive Läuferinnen und Läufer, und noch mehr  Zuschauer am Wegesrand anzieht.

Ich komme zum Schluss nochmals auf das großartigen Buch des Japaners Murakami  „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ zurück. Der heute Sechzigjährige schreibt nach 20 Jahren eigener Lauferfahrung und ebenso vielen Marathonläufen:

„Manchmal verstehe ich die Welt nicht, dass Leute so etwas wirklich tun!“
„Bis km 30 bin ich zuversichtlich, eine gute Zeit  laufen zu können. Nach km 35 jedoch geht meinem Körper der Sprit aus, und ich beginne, mich über alles zu ärgern. Am Ende fühle ich mich dann wie ein Auto mit leerem Tank. Aber nachdem ich es geschafft habe und etwas Zeit vergangenen ist, vergesse ich das ganze Elend und die Schmerzen und plane schon, beim nächsten Mal eine bessere Zeit zu laufen. Ganz gleich wie viel Erfahrung ich sammle und wie viel älter ich werde, letztlich wiederholt sich alles.

Ich glaube, bestimmte Abläufe lassen keine Änderung zu. Wenn man Teil eines solchen Ablaufs sein muss, wird man wohl oder übel durch permanente Wiederholdung geformt (oder verbogen) und muss den Ablauf in die eigene Persönlichkeit integrieren. Donnerwetter!“

Schön, dass der Landessportbund Rheinland-Pfalz mit dem DLV aus Anlass des Mainz-Marathons 2010 die Idee einer Wanderausstellung verwirklicht.

Dem Pfälzer Bréal, an dessen Geburtshaus in Landau/Pfalz seit 4 Jahren eine neue Erinnerungstafel angebracht ist, in dem er nicht nur als Sprachforscher, sondern auch als Ideengeber des Olympischen Marathonlaufs geehrt wird, sei vor allem für seine Idee gedankt, ohne die die Welt ärmer wäre.

Prof. Dr. Norbert Müller

author: GRR