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17
02
2020

1964 Olympic decathlon champion Willi Holdorf from German - Foto: picture-alliance dpa

Erster deutscher Zehnkampf-Olympiasieger Willi Holdorf wird 80 Jahre alt – Als am 20. Oktober 1964 in Tokio für einem Moment die Welt still stand …

By GRR 0

Der Zehnkampf-Olympiasieger von Tokio 1964, Wilhelm-Heinrich („Willi“) Holdorf vollendet am Montag, dem 17. Februar, sein 80. Lebensjahr.

Willi Holdorf war der erste deutsche Olympiasieger in der Königsdisziplin der Leichtathletik und einer von insgesamt zehn Goldmedaillengewinner in Tokio, wo damals letztmalig ein gesamtdeutschen Team am Start war. Angesprochen auf den Moment seines größten Erfolges antwortete Willi Holdorf vor einiger Zeit in einem Interview für das Fachmagazin „Leichtathletik“:

„Was für eine Leistung ich da vollbracht hatte, war mir in Japan noch gar nicht klar. Das habe ich irgendwie nicht mitbekommen. Erst als ich nach Deutschland zurückkam, spürte ich, dass ich etwas Spezielles geleistet hatte“. Dieses (bescheidende) „etwas Spezielles“ geleistet zu haben, begleitet ihn nun in das neue Lebensjahrzehnt …

Willi Holdorf wurde in Blomesche Wildnis bei Glücksstadt (Kreis Steinburg) in Schleswig-Holstein geboren und spielte zunächst Fußball und Handball. Erst durch Zufall kam er zur Leichtathletik, als er mit 17 Jahren Landesmeister im Sprint wurde. Schnell sollten sich weitere Erfolge in anderen Disziplinen einstellen, so dass es nahelag, das „Paket“ Zehnkampf für ihn zu schnüren. Willi Holdorf verpasste als 20-Jähriger die Olympia-Qualifikation für die Spiele 1960 in Rom nur knapp, wurde aber 1961 und 1921 Deutscher Meister im Zehnkampf und über 200 m Hürden.

Und dann sollte endlich am 19. und 20. Oktober 1964 in Tokio der absolute Höhepunkt seiner Karriere folgen:

Das Duell lautete Willi Holdorf gegen den gleichaltrigen Rein Aun (geb. 5.10.1940), seinen ärgsten Widersacher aus der Sowjetunion. Beim abschließenden Lauf über 1.500 m durfte Holdorf höchstens 18 Sekunden verlieren. Der Ausgang ist bekannt und geht ungefähr so: Willi Holdorf torkelt mit einer ungeheuren Willensanstrengung in der letzten Runde auf der Zielgeraden mit allerletzter Kraft ins Ziel und bricht völlig entkräftet zusammen, liegt auf der Aschenbahn und schnappt nach Luft.

Noch ist nichts entschieden, es dauert, bis feststeht, ob die Zeit (4:34,3 min.) zum Olympiasieg reicht – doch dann steht die Welt still (wie später ein Buchtitel lautet) … „nur“ zwölf Sekunden nach Aun hatte Willi Holdorf das Ziel erreicht und ist damit der erste deutsche Goldmedaillengewinner in der leichtathletischen Königsdisziplin. Fast ein Vierteljahrhundert später Jahre bei den Olympischen Spielen in Seoul (Südkorea) im Jahre 1988 folgt ihm Christian Schenk (geb. 1965), damals (noch) für die DDR startend.

Während seiner großartigen Karriere als Leichtathlet bestritt Willi Holdorf insgesamt 23 Zehnkämpfe, die meisten endeten mit einer Platzierung auf dem berühmten Treppchen (Platz 1 bis 3), insgesamt acht Zehnkämpfe beendete er wie in Tokio als Sieger.

Der statistischen Vollständigkeit halber seien zu seinem 80. Geburtstag noch einmal die Ergebnisse des Zehnkampfes von Tokio 1964 der Reihe nach in Erinnerung gerufen: 10,7 sec. über 100 m, 7,00 m im Weitsprung, 14,95 m im Kugelstoßen, 1,84 m im Hochsprung, 48,2 sec. über 400 m, 15,2 sec. über 110 m Hürden, 46,05 m im Diskus, 4,20 m im Stabhochsprung, 57,37 m im Speerwurf sowie die schon besagten 4,34,3 min. im abschließenden Lauf über 1.500 m. Das ergab genau 7887 Punkte, sein Konkurrent Aun brachte es auf 7842 Punkte. Fast überflüssig zu erwähnen: Für Willi Holdorf war das zugleich das beste Zehnkampfergebnis seiner Karriere. Aber nicht vergessen werden darf: Mit Hans-Joachim Walde (1942-2013) vom USC Mainz gewann ein weiterer (west-)deutscher Athlet im Zehnkampf von Tokio die Bronzemedaille (7809 Punkte).

Willi Holdorf erlernte als Jugendlicher den Beruf des Starkstromelektrikers, später studierte er an der Deutschen Sporthochschule Köln. Nach Beendigung seiner leichtathletischen Laufbahn wechselte er kurzfristig zum Wintersport – nicht minder erfolgreich: Mit Horst Floth (1934-2005) wurde er Vize-Europameister im Zweierbob. Seine erste und letzte Station als Interimstrainer beim Fußball-Bundesligisten Fortuna Köln vom 21. Januar 1974 bis zum 30. Juni 1974 hatte er da schon hinter sich. Holdorf war auch als Trainer bei SV Bayer 04 Leverkusen erfolgreich tätig, wo er u.a. den Stabhochspringer Claus Schiprowski (geb. 1942) und den Hürdensprinter Günther Nickel (geb. 1946) in die Weltspitze führte. Später arbeitete er als Repräsentant für ein Unternehmen der Sportartikelbranche in Norddeutschland und wechselte schließlich zum Handball als Mitgesellschafter der THW Kiel Handball-Bundesliga GmbH & Co. KG, die die wirtschaftliche Basis für den Handball-Bundesligisten THW Kiel bildet.

„Die Welt steht still“ – so überschreibt genau 50 Jahre nach Tokio der Holdorf-Biograf Knut Teske (geb. 1942), dem wir auch Bücher über Armin Hary (geb. 1937) und Martin Lauer (1937-2019) verdanken, sein Werk über Willi Holdorf (arete: Hildesheim 2014). Die Biografie enthält insgesamt fünf Kapitel (von „Jugend bis „Danach“) und ist den beiden früheren Holdorf-Zehnkampf-Trainern Friedel Schirmer (1926-2014) und Bert Sumser (1913-2009) gewidmet. Schon ein Jahr nach Tokio hatte Karl Seeger mit „Willi Holdorf, König der Athleten“ eine erste Biografie über den Olympiasieger von Tokio verfasst.

Willi Holdorf, der als Leichtathlet für den MTV Herzhorn, ETSV Glückstadt 1860, den SV Bayer 04 Leverkusen und für die SG Obererlenbach startete, war im Olympiajahr 1964 in der Bundesrepublik „Sportler des Jahres“ und wurde im Jahre 2011 in die (virtuelle) „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen: „Willi Holdorf war 1964 mein besonderer Olympiasieger, gleichfalls ein sympathischer Vorzeigeathlet im damals noch gesamtdeutschen Team, über dessen Olympiasieg ich mich damals riesig gefreut habe. Ich schätze seitdem eine sehr persönliche Verbundenheit zu ihm“, gratuliert Prof. Walther Tröger, langjähriges IOC-Mitglied und NOK-Ehrenpräsident.

Sportdeutschland wünscht Willi Holdorf in diesen Tagen und speziell an seinem 80. Geburtstag nach schwerer Krankheit baldige und möglichst vollständige Genesung. An seinem Ehrentag ist er mit Ehefrau Sabine „unbekannt verreist“.

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

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