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25
04
2020

Hartwig Gauder - Foto: Christel Schemel

Erinnerungen an Hartwig Gauder – Hans-Joachim Schemel betreute beim New York City Marathon Olympiasieger Hartwig Gauder. Der ging trotz Spenderherz zu schnell und flog aus der Wertung

By GRR 0

Es war 1998. Als fast 50-jähriger, passionierter Freizeitläufer flog ich erstmals zum legendären New-York-City-Marathon. Als Aktiver, aber zugleich auch als Betreuer einer Läufergruppe der Berliner Laufreisen-Agentur ReiseZeit.

Da kam bei mir neben Freude auch etwas Unruhe auf. Denn auf der Reiseliste stand ein berühmter Name: Hartwig Gauder – Deutschlands erfolgreichster Geher, Olympiasieger über 50 Kilometer. Ginge das überhaupt, auf unbekanntem Terrain bis zur eigenen Erschöpfung zu laufen und „nebenbei“ die vielfältigen Aufgaben eines Betreuers zu erfüllen?

Und das mit einem Olympiasieger und seinem namhaften Begleiter-Teams, welches bei einer Promotion-Veranstaltung Goethes Lieblingsbier „Köstritzer Schwarzbier“ dem US-Bierkenner-Markt präsentieren wollte! Hartwig, seine herausragenden sportlichen Erfolge aber vor allem sein Leben mit dem zweiten und dritten Herzen nach seiner aktiven Laufbahn waren mir natürlich bekannt.

Kurz vor unserer New York-Reise hatte seine zutiefst beeindruckende und fesselnde Lebensgeschichte gelesen: „Die zweite Chance. Mein Leben mit dem dritten Herzen““ Von der Lektüre dieses Buches wusste ich um das eigentliche Unterfangen, das er so beschrieb: „Sollte ich die unabdingbare Einpflanzung eines fremden Spenderherzens (30.01.1997, Dr. Yo Guo Wenig) überleben, so werde ich nochmals den New-York-City Marathon absolvieren. Im Gedenken, zu Ehren und im Sinne meines langjährigen, unvergesslichen Freundes Ron Barber.“

Dieser war ebenfalls Kunstherz-Träger, wartete indessen vergeblich auf ein passendes Spenderherz und verstarb einen Monat vor Hartwigs Herz-Einpflanzung.

Schon beim ersten Zusammentreffen im Hotel beruhigten Hartwig und seine Begleiter meine aufgeregte Betreuer-Seele: „Du kümmerst dich um die anderen Aktiven. Wir agieren separat.“ Diese Beruhigungspille nahm ich gern an. Für Hartwig galt es, alle Risiken vor, beim und nach dem geplanten Sieben-Stunden-Geh-Lauf-Stakkato über den für Marathonläufer welligen Lauf-Kurs zu vermeiden. Während des gesamten New-York-City Aufenthaltes stand er auch im regelmäßigen Kontakt mit Ärzten und Schwestern zu Hause.

Die Lebenszeit-Prognosen für Transplantations-Patienten besagten seinerzeit, dass etwa. 70 % die nachfolgenden fünf Jahre und etwa. 50 % die nächsten zehn Jahre überleben.

Doch für solche Zahlenspielereien hatte Hartwig wenig übrig. Das zeigte sich auch beim akribisch, mittels Pulsmeter kontrollierten „Gehen-Laufen“ am Wettkampftag. Die Sieger, der Kenianer John Kagwe und die Italienerin Franca Fiacconi, hatten sich längst geduscht, als Gauder umdrängt von Reportern und Fotografen nach 6:15 Stunden ins Ziel trabte. Begleitet von Barbers 21jährigen Sohn Matthew. „Ganz langsam musste ich anlaufen“, erzählte er allen, die es wissen wollten, „denn der Takt des fremden Herzens erhöht sich bei Anstrengungen zeitverzögert. Ich habe mich also bewusst unterfordert.“

Das Ziel erreichte er schließlich nach 6 Stunden und 16 Minuten als 3 422. Ein unter diesen Umständen überragendes sportliches Ergebnis.  Erreicht durch unbändigen Lebenswillen und eiserner Disziplin beim gut dosierten Training. Ihm vor alle wichtig war, mit seinem Beispiel Mut machen.

Ende gut, alles gut? Denkste!

Foto: Schnappschuss 2019 beim 80. Geburtstag von 20-km-Olympiasieger in München (1972) Peter Frenkel (lks.) in Potsdam. Foto: Christel Schemel

Kurz nach meinem eigenen Zieleinlauf erfuhr ich nämlich offiziell, er wäre kurz nach Überschreiten der Ziellinie disqualifiziert worden. Begründung? Mit seiner Geh-/Laufzeit war er 15 Minuten zu schnell! „Sportler mit Herzschädigungen“ durften laut Reglement nämlich nicht schneller als 6:30 Std. sein!

Natürlich unsererseits Protest.

Und tatsächlich, bei der Sieger-Gala am Abend wurde eine Revision der Disqualifikation bekannt gegeben. Seine Urkunde sollte ihm baldmöglichst nachgesandt. Übrigens war der „zu schnelle“ Geher-Olympiasieger nicht der einzige Transplantations-Empfänger unter den rund 31. 000 im Ziel. Es waren insgesamt sechs.

Darunter der norwegische Herzchirurg Dr. Niloo Edards mit einer neuen Lunge. Sein Kommentar: „Die Marathon-Alternative als richtige Therapie für Menschen mit Organeinpflanzungen? Keineswegs. Der Start von Hartwig Gauder und der anderen sei vor allem ein Symbol der Hoffnung für jene, die auf ihre Operation warten.“

(Buch-Widmungseintrag zum Abschluss: „Mit den besten Wünschen und einem herzlichen Dankeschön für die Betreuung in New York. Hartwig Gauder“. Nachsatz: Im vergangenen Jahr erfuhr ich von Hartwig, dass er eine Urkunde, wie uns versprochen, bis heute nicht erhalten hat!)

Epilog: Ein Jahr später beim BERLIN-MARATHON gab es eine Premiere. Power-Walker nahmen zum ersten Mal teil. Aushängeschild war kein Geringerer als Hartwig Gauder.

Von 48 Gemeldeten erreichten 31 das Ziel. Hartwig, von den Berliner Zuschauern an der Strecke erkannt und kräftig unterstützt, schaffte die 42,195 km in 5:48. Doch wie schon in New York war die Laufzeit für ihn absolut nebensächlich.

(Dieser Beitrag von Hans-Joachim Schemel erschien in dem Buch „Weltweit laufend unterwegs. 68 ungewöhnliche Geschichten aus 48 Ländern“)

Zur Person Hartwig Gauder. (entnommen WIKIPEDIA)

Geboren am 10. November 1954 in Vaihingen an der Enz, Baden-Württemberg) war Hartwig Gauder  ein deutscher Leichtathlet und Olympiasieger, der – für die DDR startend – in den 1980er und 1990er Jahren zu den weltbesten 50-km-Gehern gehörte. Seine größten Erfolge sind die Titelgewinne bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau und bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 1987.
Hartwig Gauder verbrachte seine frühe Kindheit in Süddeutschland, bis seine Familie 1960 in die DDR nach Ilmenau (Thüringen) übersiedelte, weil seine Mutter dort ein Haus geerbt hatte. Als Geher startete er zunächst auf der 20-km-Strecke. Er wurde 1975 sowie 1976 DDR-Meister und stellte 1978 einen Europarekord im 20.000-Meter-Bahngehen (1:24:22,7 Stunden) auf. Nachdem er bei der Europameisterschaft nur Siebenter geworden war, stieg er auf die 50-km-Strecke um. Bei seinem Olympiasieg 1980 bestritt er erst seinen vierten Wettkampf auf dieser Strecke.
Die Olympischen Spiele 1984 entgingen ihm wegen des Boykotts der DDR.
Nach seinem Abschied vom Hochleistungssport nach der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 1993 blieb er weiter aktiv und betrieb Walking. 1994 stellte sich ein zunächst unerklärliches Absinken seiner Leistungsfähigkeit ein, das sich 1995 als Virusinfektion seines Herzens erwies – ausgelöst bei der Besichtigung einer ehemaligen Geflügelfarm, wie Ärzte später vermuteten. 1996 war klar, dass sein Leben nur durch eine Herztransplantation zur retten war. Er erhielt zunächst ein künstliches Herz und 1997 ein Spenderherz, mit dem er mehrmals den New-York-City-Marathon bestritten hat. Hartwig Gauder arbeitet als Architekt bei der Thüringer Landesregierung. In seiner aktiven Zeit startete er für den SC Turbine Erfurt und trainierte bei Siegfried Herrmann. Er war in dieser Zeit 1,86 Meter groß und wog 71 kg.

Hartwig Gauder starb am 23. April 2020 im Alter von 65 Jahren an einem Herzinfarkt.

Erfolge im Einzelnen: 1978, Europameisterschaft: Platz 7 (1:25:15,7), 1980, Olympische Spiele: Platz 1 (3:49:24), 1982, Europameisterschaft: Platz 4 (4:04:51), 1986, Europameisterschaft: Platz 1 (3:40:55), 1987, Weltmeisterschaft: Platz 1 (3:40:53), 1988, Olympische Spiele: Platz 3 (3:56:47), 1990, Europameisterschaft: Platz 3 (4:00:48), 1991, Weltmeisterschaft: Platz 3 (3:55,14), 1992, Olympische Spiele: Platz 6 (3:56:47). (siehe Quelle: Wikipedia)

Hans-Joachim Schemel

https://germanroadraces.de/?p=150862

 

author: GRR